Welche Bibel darf's denn sein?
Es geht um Geldgier, Eifersucht und Hass. Um Mörder, Lügner und Betrüger. Die Erzählungen der Bibel sind brutal. Und nicht gerade der Stoff für Gute-Nacht-Geschichten. Aber sie können Kindern auch dabei helfen, ihre Gefühle, Gedanken und Sehnsüchte zu verstehen. "Gerade biblische Geschichten haben sich bewährt, um mit Kindern über die großen und kleinen Fragen des Lebens ins Gespräch zu kommen", sagt Reiner Andreas Neuschäfer, Theologe und Experte für Religion im Kinderbuch. "In ihnen wird das zur Sprache gebracht, was sich zwischen Himmel und Erde abspielt und was weniger zu begreifen als vielmehr zu glauben ist. Kinder werden dadurch auch für die Zwischentöne des Lebens hellhörig."
Ein offenes Ohr für das Buch der Bücher haben Jungen und Mädchen schon von klein auf. "Sobald sich Eltern mit ihrem Kind unterhalten können, können sie ihm auch biblische Geschichten erzählen", sagt Herbert Stangl. Der Theologe beschäftigt sich bereits seit Ende der siebziger Jahre mit Kinderbibeln. Wie schwierig es ist, sich im kaum überschaubaren Marktangebot für die richtige zu entscheiden, weiß er nur zu gut. Stangl hat viele Jahre Bibeln für Kinder und Jugendliche rezensiert. Dabei hat er Kriterien entwickelt – zusammengefasst in dem Ratgeber "Mit der Bibel wachsen. Kinderbibeln im Vergleich" –, die bei der Auswahl und Beurteilung der Bücher helfen können:
Welche Texte sind enthalten?
Sowohl Geschichten aus dem Alten wie aus dem Neuen Testament sollten in einer Kinderbibel vorkommen. Gut ist, wenn es neben Erzählungen zum Beispiel auch Gleichnisse, Psalmen und Prophetensprüche gibt, da die jungen Leser so die Vielfalt der biblischen Texte erfahren. Wichtige Geschichten für eine Kinderbibel sind etwa die Schöpfungserzählung, die Dornbuschoffenbarung, die Geburt Jesu und der Besuch der Weisen, die Segnung der Kinder, das Gleichnis vom Verlorenen Sohn, die Zachäusgeschichte sowie eine Kurzfassung von Kreuzigung und Auferstehung. Mit einem Blick ins Inhaltsverzeichnis lassen sich diese Punkte schnell klären.
Wie ist die sprachliche Gestaltung?
Die Bibelsprache in den Übersetzungen für Erwachsene ist oft schwer verständlich. Daher ist sie in den Büchern für Kinder etwas einfacher. Kurze, klar strukturierte Sätze helfen beim Lesen. Gut ist auch, wenn schwierige Begriffe wie etwa Synagoge oder Zöllner umschrieben oder in einem Glossar erklärt werden. "Das Sprachniveau der Kinderbibel kann einfach und natürlich, es sollte aber nicht anbiedernd oder gewollt modernistisch sein", sagt Herbert Stangl. Ein Gespür dafür, wie eine Kinderbibel erzählt, bekommen Eltern und Großeltern am ehesten, indem sie die Weihnachtsgeschichte in der jeweiligen Ausgabe lesen. Aus dieser bekannten Erzählung lässt sich gut erschließen, wie nahe sich der Text an den Übersetzungen für Erwachsene orientiert.
Wie und was wird bebildert?
Schon Jesus sprach in Bildern. Illustrationen sind daher für Kinderbibeln sehr wichtig. Besonders in Ausgaben für die Drei- bis etwa Achtjährigen nehmen sie einen großen Raum ein. "Bilder bilden", sagt Theologe Stangl. "Idealerweise regen sie zum Nachdenken und zum Gespräch zwischen Kind und Eltern an." Deshalb ist es gut, wenn Bilder die Handlung der biblischen Geschichten nicht nur widerspiegeln, sondern auch deren Botschaft zum Ausdruck bringen. Vor allem in Bibeln für Neun- bis Zwölfjährige transportieren Bilder auch Sachinformationen und versuchen, die biblische Welt zu veranschaulichen.
Was macht eine gute Kinderbibel aus?
Für Herbert Stangl ist es das Zusammenspiel einer überlegten Textauswahl, einer sorgfältigen Sprache und einer anregenden Bebilderung - alles dem Alter des Kindes angemessen. "Dass viele gute Kinderbibeln noch andere Elemente wie zum Beispiel Einführungstexte und Erläuterungen enthalten, ist zu begrüßen", sagt der Theologe und betont: "Übrigens, wenn die Kinderbibel gut sein soll, darf sie das jeweilige Kind auch nicht überfordern!" Hilfreich ist es deshalb, sich bereits vor dem Gang in den Buchladen auch Gedanken über das Kind zu machen, das die Bibel geschenkt bekommen soll. Interessiert es sich für Bücher? Ist es neugierig und liest viel? Ist die Bibel zum Selberlesen, Vorlesen oder eher als Erzählhilfe für die Eltern gedacht? Und eines muss schon vor dem Kauf klar sein: Alle Ansprüche kann selbst das Buch der Bücher nicht erfüllen.
Von Beate Spindler