Spiritueller Tourismus ist für die Kirchen eine Wachstumschance

Urlaub für Sinnsucher

Veröffentlicht am 07.10.2012 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Reisen

Tutzing ‐ Es kann kalt werden, wenn Johannes Johne Bergmessen feiert - im Winter im Zittauer Gebirge. Dann steht er mit Handschuhen im Schnee hinter seinem improvisierten Altar. Der "Urlauberpfarrer" bietet daneben auch Schneeschuhwanderungen und gereimte Stadtführungen an.

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Spiritueller Tourismus boomt. Darin waren sich die Besucher und Referenten der Fachtagung "Kirche am Weg" einig, die am Freitag in der Evangelischen Akademie Tutzing endete. So besuchten 87 Prozent aller Deutschen im Urlaub eine Kirche, berichtete Gregor Spieß vom Katholischen Auslandssekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. Das Interesse an geistlichen Kirchenführungen sei geradezu "explodiert". Die Leute interessiere nicht, wie alt der Kirchturm sei, sondern was diese oder jene Heiligenfigur zu bedeuten habe. Auf dieses Bedürfnis müsse Kirche stärker reagieren.

Die Frankfurter Kunsthistorikern Karin Berkemann sammelt gerade für ein Buchprojekt, das 2013 abgeschlossen sein soll, 100 spirituelle Reiseangebote in Deutschland. Ökumenisch oder sogar interreligiös sind viele der Initiativen, die sich ihr präsentiert haben: am Wasser, im Grünen, auf dem Markt, manchmal in Kooperation mit Sportveranstaltern oder Trachtenvereinen.

Offen für Neues

Berkemanns Co-Autor Christian Antz aus dem Wirtschaftsministerium in Sachsen-Anhalt hat aktuelle Zahlen zum Potenzial parat, das es zu heben gilt - auch in stark säkularisierten Regionen. Bei einem Bevölkerungsanteil von 94 Prozent Nichtchristen suchten trotzdem ein Fünftel aller Bürger Sachsen-Anhalts religiöse und spirituelle Erfahrungen in ihrer Freizeit. Jeder Dritte könne sich sogar einen Klosterurlaub vorstellen. Auch Menschen, die sich in traditionellen Kirchengemeinden an ihrem Wohnort eher unsicher oder gar ausgegrenzt fühlten, suchten im Urlaub nach Ritualen und Stabilitätsankern für das eigene Leben.

Bild: ©Privat

Auch im Sommer Urlauberpfarrer: Vor dem Gottesdienst auf dem Lilienstein in der Sächsischen Schweiz läutet Johannes Johne mit der Kuhglocke.

Verändertes Freizeitverhalten als neue Kontaktchance für die Kirchen: Vor elf Jahren wurde im thüringischen Reinhardsbrunn, im Mittelalter ein berühmtes Kloster, Deutschlands erste Radwegekirche, eröffnet. Die Idee breitete sich in den ostdeutschen Bundesländern und von dort weiter aus. Inzwischen gibt es mehr als 200 Kapellen und andere Gotteshäuser, die an Radwegen zur Fahrtunterbrechung einladen. Eine offene Tür, Getränke, eine saubere Toilette, ein Buch zum Aufschreiben persönlicher Anliegen - so wollen Christen unaufdringlich Gastgeber sein.

Angebote für Sinnsucher

"Gott hat nicht nur sonntags von zehn bis elf Uhr Sprechstunde", bringt ein Pfarrer die Idee dahinter auf den Punkt. Die Gelegenheitsbesucher bestimmten selbst, wie nahe sie die christliche Botschaft an sich herankommen lassen wollen. Vielleicht spüre ja der eine oder andere: "Ich bin mit Gott noch nicht fertig und er mit mir auch noch nicht."

Der Freiburger Religionssoziologe Michael Ebertz unterstützt eine solche "Seelsorge der Zwischenräume". Die Kirchen sollten nicht den weithin erfolglosen Versuch fortsetzen, spirituell Interessierte für eine dauerhafte Beteiligung am Gemeindeleben zu gewinnen. Stattdessen müsse der Augenblick einer Begegnung als missionarische Chance begriffen werden.

Und wie kommen solche Angebote an? "Die Leute sind offen", sagt Pfarrer Erich Faehling, Veteran der Hamburger Motorradgottesdienste. "Manche spotten, manche kommen wieder, manche lassen sich taufen."

Von Christoph Renzikowski