Kritik an Patriarch Kyrill I.

Bischof Overbeck: Ukraine das Recht auf Widerstand nicht absprechen

Veröffentlicht am 22.06.2022 um 11:56 Uhr – Lesedauer: 

Berlin/Moskau ‐ Die Ukraine habe das Recht auf militärischen Widerstand gegen den russischen Angriff: Das betont Militärbischof Franz-Josef Overbeck. Zugleich bekräftigt er seine Kritik am russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I.

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Militärbischof Franz-Josef Overbeck hat das Recht der Ukraine auf militärischen Widerstand gegen den russischen Angriff verteidigt. "Pazifismus darf nicht politisch oder religiös verordnet werden", betonte er am Dienstagabend bei einer Veranstaltung in der Berliner Katholischen Akademie. Ein christlich oder auch anders begründeter Verzicht auf jegliche Gewalt gegen einen Angreifer müsse eine individuelle Entscheidung bleiben.

Overbeck bekräftigte seine Kritik an der Unterstützung des Angriffskriegs durch den russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I. Dessen Begründung, dass die Politik seines Landes damit dem "westlichen Werteverfall" entgegentrete, sei "auf keinen Fall gerechtfertigt". Der Militärbischof bezeichnete es als "extrem gefährlich", wenn sich wie im Falle des nationalistischen Kurses von Russland "Staat und Kirche wechselseitig instrumentalisieren". Stattdessen müssten "alle Christen mit einer Stimme für den Frieden eintreten".

Der Essener Bischof bezeichnete den Ukraine-Konflikt als einen "Systemkrieg", in dem es auch um die westliche Werteordnung mit ihrer Hochschätzung von Frieden, Freiheit und Menschenrechten gehe. Die rund 170 evangelischen und katholischen Militärseelsorgerinnen und -seelsorger sollten diese Wertebasis etwa in ihrem Lebenskundlichen Unterricht für Soldatinnen und Soldaten so thematisieren, "dass möglichst viele einen Zugang dazu haben". Das betonte Overbeck vor allem mit Blick darauf, dass viele Bundeswehrangehörige keiner Kirche angehören.

"Seelisch sehr belastend"

Der Militärbischof betonte weiter, dass der sich verschärfende Ost-West-Konflikt für viele Soldatinnen und Soldaten "seelisch sehr belastend" sei, weil sie sich mit Szenarien des Falles auseinandersetzen müssten, dass Russland einen Nato-Staat angreift.

Overbeck würdigte die "Tapferkeit der Ukrainerinnen und Ukrainer" und nannte sie ein "Lebensbeispiel" für die Gesellschaften in anderen Staaten. Er äußerte die Vermutung, dass der Krieg auch vom Westen in Zukunft "im wirtschaftlichen Sinne mehr Tapferkeit verlangen" werde. Overbeck sprach bei einer Veranstaltung mit dem Titel "Friedensethik und Militärseelsorge" des Berliner Zentrums für Intellektuelle Diaspora an der Akademie.

Bild: ©Сергей Власов/patriarchia.ru (Archivbild)

Patriarch Kyrill I.

Patriarch Kyrill bei einem Besuch in einem Militärkrankenhaus bei Moskau verwundete russische Soldaten für ihren Einsatz. Das Kirchenoberhaupt dankte ihnen am Dienstag nach Angaben des Moskauer Patriarchats dafür, dass sie bei "der Verteidigung der Heimat" den Tod oder Verwundung nicht fürchteten, "sondern dass Sie Ihre militärische Pflicht erfüllen". Wenn ein Soldat nicht in der Lage sei, sich der Gefahr oder gar dem Tod zu stellen, höre er auf, ein Soldat zu sein.

"Heiliger Kampf von Recht gegen Unrecht"

"Deshalb verneigen wir uns vor Ihnen allen, weil wir wissen, dass Ihr in den Tod gegangen seid, um euer Vaterland zu verteidigen", so Kyrill. "Und je mehr ein Mensch anderen von sich gibt, desto mehr erhält er von Gott." Damit beschrieb der Patriarch Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine erneut als heiligen Kampf von Recht gegen Unrecht. Die Worte Krieg und Ukraine nahm er dabei abermals nicht in den Mund.

Kyrill übergab den Patienten in der Klinik in Krasnogorsk, etwa 25 Kilometer nordwestlich von Moskau, Bilder des heiligen Erzengels Michael. Er wird als Schutzpatron der Soldaten verehrt. Vizeverteidigungsminister Timur Iwanow begleitete den Patriarchen bei seinem Besuch.

Der 75 Jahre alte Patriarch hat immer wieder Russlands Einmarsch in der Ukraine gerechtfertigt. In der Armee-Kathedrale in Kubinka vor den Toren Moskaus schwor er Soldatinnen und Soldaten persönlich auf den Kampf ein. Die britische Regierung fror deshalb Vermögenswerte Kyrills in Großbritannien ein und verhängte ein Einreiseverbot gegen ihn. EU-Sanktionen gegen den Moskauer Patriarchen waren am Widerstand der ungarischen Regierung von Viktor Orban gescheitert. (tmg/KNA)