Ungarns Primas feiert 70. Geburtstag

Kardinal Erdö: "Ratzingerianer" und Mann des nüchternen Wortes

Veröffentlicht am 25.06.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Budapest ‐ Das Getöse der Sozialen Medien ist nicht seine Sache. Und über die Gesellschaft seiner ungarischen Heimat spricht er schnörkellos: Der Kommunismus habe den "bürgerlichen Anstand ausgelöscht. Heute wird Kardinal Peter Erdö 70.

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Er zählt zu den profiliertesten Kirchenvertretern in Mittel- und Osteuropa. Von 2006 bis 2016 war er Vorsitzender des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) – und als theologisch hochgebildeter Anhänger von Benedikt XVI. (2005-2013) durchaus ein Kandidat für das Papstamt. Am 25. Juni wird der katholische Primas von Ungarn und Erzbischof von Esztergom-Budapest, Kardinal Peter Erdö, 70 Jahre alt.

Als intellektuell und theologisch beschlagener Jurist und Kirchenrechtler bringt Erdö ein klares Verständnis für Strukturen sowie politisches Kalkül mit. Das Konkordat zwischen dem postkommunistischen Ungarn und dem Heiligen Stuhl, das der Kirche heute wieder ein breites Engagement im Bildungs- und Sozialwesen ermöglicht, trägt auch seine Handschrift.

Ein Mann des Wortes und der Wissenschaft

Kirchenpolitisch und theologisch gilt Erdö als "Ratzingerianer". Der sprachbegabte Primas ist vor allem ein Mann des Wortes und der Wissenschaft, nicht der großen Öffentlichkeit. Dennoch hat er hat sich in seinen Ämtern zu zahlreichen gesellschaftlich und kirchlich relevanten Themen geäußert: Postkommunismus, Habgier, Ausländerfeindlichkeit, Sekten.

Über die Gesellschaft seiner ungarischen Heimat spricht Erdö schnörkellos: Der Kommunismus habe den "bürgerlichen Anstand ausgelöscht"; die freiwillige Befolgung von Rechtsnormen sei sehr niedrig. Heute seien die Menschen viel stärker durch Bilder und elektronische Medien zu manipulieren als durch ein Parteiprogramm oder eine durchdachte Rede zu überzeugen.

Kirche im östlichen Mitteleuropa: Zwischen Aufbruch und Stagnation

Beim Zerfall der kommunistischen Diktaturen Ostmitteleuropas vor 30 Jahren spielte die katholische Kirche eine wichtige Rolle. Was ist aus der Euphorie von damals geworden? Katholisch.de hat die Situation der Kirche in Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn genauer unter die Lupe genommen.

Geboren am 25. Juni 1952 in Budapest als erstes von sechs Kindern, studierte Erdö in kommunistischer Zeit in Budapest und Rom Jura und Theologie. Eine Anwaltskarriere war ihm als Angehöriger einer bekannterweise religiös lebenden Familie verwehrt.

In den 80er Jahren lehrte Erdö Theologie in Esztergom und an der päpstlichen Universität Gregoriana. Nach dem Sturz des Kommunismus wurde er Dekan und später Rektor an der katholischen Peter-Pazmany-Universität Budapest, an deren Wiederaufbau er maßgeblichen Anteil hatte.

Vielzahl von Funktionen im Vatikan

2003 wurde Erdö mit nur 50 Jahren überraschend Erzbischof von Esztergom-Budapest und Primas von Ungarn. Im selben Jahr nahm ihn Johannes Paul II. als damals jüngstes Mitglied ins Kardinalskollegium auf. Von 2005 bis 2015 leitete Erdö als Vorsitzender die nationale Bischofskonferenz. Im Vatikan hat er eine Vielzahl von Funktionen inne, war unter anderem Richter am höchsten Gericht, Mitglied der Bildungs- und der Gottesdienstkongregation sowie im Päpstlichen Kulturrat.

Erdös Vater war ein katholischer Ungar aus dem heute rumänischen, orthodox und protestantisch geprägten Siebenbürgen; seine Mutter stammte aus dem heutigen Grenzland zur Slowakei. Bis heute sei es dumm, einen Osteuropäer nach seiner Nationalität zu fragen, sagt Erdö – denn über Jahrhunderte sei es dort gang und gäbe gewesen, auch über ethnische Grenzen hinweg zu heiraten. Auch heute gelte es, über Grenzen hinweg zu leben und zu denken.

Von Alexander Brüggemann (KNA)