118-jährige Ordensfrau: "Ich will sterben"
Sie hat zwei Weltkriege überlebt, als Schulkind die Einführung von Elektrizität erlebt und das erste Flugzeug gesehen: Schwester André Randon lebt seit 30 Jahren in einer Seniorenresidenz in Toulon in Frankreich. Ans Telefon kann sie nicht. Sie sei momentan einfach zu müde, entschuldigt sie David Tavella, ihr Betreuer. Schwester André ist blind, hört schlecht und auf den Rollstuhl angewiesen, aber immer bei guter Laune, so Tavella. Ihre Antworten auf die Fragen von katholisch.de hat er daher schriftlich an uns geschickt.
Frage: Schwester André, Sie wollten mit 19 Jahren katholisch werden und wurden getauft. Was war der Grund dafür?
Schwester André: Ich hatte immer das Gefühl, dass es etwas in mir gab, das mich zu Gott und zur katholischen Religion hingezogen hat. Im Leben gibt es Dinge, die wir zwar erspüren, aber nicht erklären können. Es gab für mich damals dafür keinen besonderen Grund. Ich dachte einfach, es passt zu mir. Jetzt werde ich katholisch.
Frage: Sie wurden spät Vinzentinerin. Warum haben Sie sich diese Ordensgemeinschaft ausgesucht?
Schwester André: Ich bin erst mit 40 Jahren ins Kloster eingetreten. Aber ich hatte damals keine besondere "Offenbarung", so wie man sich das gerne vorstellen möchte. Ich wollte Gott so nahe wie möglich sein, mich ganz und gar in seinen Dienst stellen. Die Gesellschaft der Töchter der Nächstenliebe war in Paris sehr bekannt. Auch die Werte dieses Ordens entsprachen meinen. Der heilige Vinzenz von Paul wandte sich an die Armen und sagte: "Sie sind Gott". Das mochte ich an ihm, bis heute.
„Wenn du ein Kind triffst, sei gut zu ihm, damit es später auch ein guter Mensch wird und es Liebe und Frieden in die Welt bringt.“
Frage: Hat Papst Franziskus Sie eigentlich schon einmal persönlich angerufen?
Schwester André: Nein, der Papst hat mich bislang noch nicht angerufen. Warum auch. Ich denke, er hat Wichtigeres zu tun, als so eine alte Frau, die nicht mehr sehen kann und schlecht hört, anzurufen. Ich denke, wir müssen uns an die Kinder wenden. Sie sind die Zukunft, sie müssen mit einem Gefühl des Teilens und der Liebe erzogen werden. Die Waisenkinder, um die ich mich als junge Ordensfrau gekümmert habe, habe ich über alles geliebt, auch wenn sie dumme Dinge taten. Ich hoffe, sie haben mich auch geliebt. Kinder muss man einfach lieben. Es gibt so viele Menschen, die eine schwierige Kindheit hatten, weil sie Liebe in ihrem Leben vermisst haben. Daher ist mein Rat an alle Erwachsene: Wenn du ein Kind triffst, sei gut zu ihm, damit es später auch ein guter Mensch wird und es Liebe und Frieden in die Welt bringt.
Frage: Was ist Ihr sehnlichster Wunsch für sich selbst?
Schwester André: Ich will sterben. Ich möchte meine Brüder und alle, die ich geliebt habe, im Himmel endlich wiedersehen. Ich weiß, dass Gott mich willkommen heißen wird. Momentan bin ich aber froh, dass er mich hier auf der Erde vergessen hat.
Zur Person
Lucile Randon wurde am 11. Februar 1904 geboren. Ihre Familie war protestantisch, ihr Vater Grundschullehrer. Mit 11 Jahren zog Randon zu ihrem ältesten Bruder André. Schon mit 12 Jahren wurde sie Gouvernante in Marseille, später Hauslehrerin in Versailles bei einer Familie. 1923 konvertierte sie zur römisch-katholischen Kirche und empfing Taufe und Erstkommunion. 1944 trat sie der Ordensgemeinschaft der Genossenschaft der Töchter der christlichen Liebe vom heiligen Vinzenz von Paul bei. Bei ihrem Eintritt nahm sie den Ordensnamen "André" an, gewählt nach ihrem Bruder, den sie als "Vater, Mutter und Kindermädchen" zugleich bezeichnet. 1945 ging sie zur Mission ins Krankenhaus von Vichy, wo sie sich um Waisenkinder und ältere Menschen kümmerte. Bis 1979 war Randon im Ordensdienst aktiv. Im Alter von 105 Jahren zog sie in die Seniorenresidenz EHPAD Sainte-Catherine Labouré in Toulon, wo sie bis heute lebt. Sie besucht täglich die Messe, hört Radio, nimmt am Abendgebet teil und mag Ausflüge in den Garten.
Hinweis: Schwester André Randon ist am 17. Januar 2023 verstorben.