In Europa spielt die Musik

Veröffentlicht am 20.11.2012 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Bild: © KNA
Interview

Bonn/München ‐ Von Mittwoch an treffen sich die Delegierten der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (ComECE) in Brüssel zu ihrer Herbstvollversammlung. Für Münchens Kardinal Marx darf Kirche gerade in den Zeiten der Krise auf europäischer Ebene nicht schweigen. Zugleich sorgt sich der ComECE-Präsident im Interview mit katholisch.de, dass Religion in Europa zunehmend an den Rand gedrängt werden könnte.

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Frage: Herr Kardinal, warum ist es für die katholische Kirche wichtig, ein Standbein wie ComECE in Brüssel zu haben?

Marx: Die Europäische Union ist im Zuge der fortschreitenden europäischen Integration zu einem bedeutenden politischen Faktor geworden. Wir bemerken gerade in der Eurokrise, dass die relevanten Entscheidungen zur Krisenbewältigung, die die sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse in den europäischen Ländern beeinflussen, gemeinsam in Europa getroffen werden. Das gilt aber nicht nur in der Krise, sondern mittlerweile für viele andere Politikfelder, beispielsweise im wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Bereich. Die Kirche kann und will da nicht abseits stehen. Sie muss sich mit diesen Fragen befassen und dort präsent sein, wo die Entscheidungen getroffen werden, die für die Menschen relevant sind. Und das ist zunehmend in Brüssel.

Zudem ist es wichtig, dass wir im Rahmen der ComECE als Kirche in Europa gemeinsam auftreten und nicht nur mit der nationalen Brille. Die Katholische Kirche als Grenzen überwindende Glaubensgemeinschaft kann nur Zeugnis ablegen, wenn sie in Europa mit einer Stimme spricht und nicht mit verschiedenen Meinungen von Bischofskonferenzen aus 27, bald 28 Mitgliedstaaten auftritt.

Frage: Die Finanzkrise ist immer noch das bestimmende europäische Thema; eigentlich kein genuines Kirchen-Thema. Kann oder muss Kirche dazu dennoch etwas dazu sagen?

Marx: Natürlich muss die Kirche auch zur aktuellen Krise Stellung beziehen. Zum einen muss sie es, weil es um massive Gerechtigkeitsfragen geht. Schauen Sie sich an, welche erheblichen sozialen Einschnitte zum einen in den Krisenstaaten vorgenommen werden müssen. Und schauen Sie sich an, welche Risiken für die Generationengerechtigkeit in denjenigen Ländern eingegangen werden müssen, die in Form von Rettungspaketen die Haftung für die Staatsschulden anderer Staaten übernehmen. Dazu kann die Kirche nicht schweigen.

Zum anderen geht es aber auch um einen grundsätzlichen Blick auf die Entwicklung Europas. Die Einigung der europäischen Völker hat uns eine 60 Jahre lange Phase des Friedens gebracht auf einem Kontinent, auf dem die Staaten über Jahrhunderte hinweg nur Krieg miteinander geführt haben. Die Frage, wie wir in Europa Solidarität und Eigenverantwortung gestalten, hat eine Dimension von Frieden und Gerechtigkeit, die weit über unsere politischen Alltagsdebatten hinausgeht. Die Kirche hat die europäische Einigung deshalb immer unterstützt. Und wir müssen auch in der Krise deutlich artikulieren, dass das Projekt der europäischen Einheit mehr ist als eine Diskussion über Staatsschulden und Haftung.

Frage: Welchen Beitrag kann ComECE leisten, um der wachsenden Säkularisierung in der EU entgegenzuwirken?

Marx: Die ComECE ist zunächst ein Zusammenschluss, der sich mit den sozialethischen Herausforderungen befasst, die sich durch die politische Integration Europas ergeben. Für pastorale Fragen ist eher der nicht nur auf die EU bezogene Rat der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) zuständig. Aber natürlich hat sich die ComECE mit den Fragen der Beziehungen zwischen Staat bzw. Europäischer Union und Kirche sowie mit der Rolle der Religion in den europäischen Gesellschaften zu befassen. Und da versuchen wir, nicht zu lamentieren, sondern an einem konstruktiven Miteinander zu bauen. Wir sehen die Chance und die Aufgabe der Kirche und der Christen, Europa mitzugestalten. Und deshalb arbeiten wir an einem positiven Verhältnis zwischen den europäischen Institutionen und den Kirchen, das von einer grundsätzlichen Trennung und freundschaftlichen Zusammenarbeit ausgeht, nicht von einem kämpferischen Gegeneinander. Aber wir beobachten kritisch die Tendenzen, Religion in Europa an den Rand zu drängen und zu einer rein privaten persönlichen Sache zu machen. Dagegen wenden wir uns ganz entschieden und deshalb ist es so wichtig, immer wieder selbst in Brüssel präsent und sichtbar zu sein und unsere Stimme hörbar zu machen.

Frage: Welche Themen werden bei der Herbstvollversammlung von ConECE in Brüssel auf der Tagesordnung stehen?

Marx: Natürlich befassen wir uns bei der Vollversammlung mit den aktuellen wirtschaftlichen und sozialen Problemen in Europa und mit zahlreichen anderen politischen Einzelfragen. Wir wollen nach den Neuwahlen des Präsidiums im Frühjahr nun aber auch etwas grundsätzlicher über das Selbstverständnis und die Aufgabe der ComECE in Europa sprechen. Und nicht zuletzt diskutieren wir in einer öffentlichen Abendveranstaltung anlässlich des 50jährigen Jubiläums des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Frage, wie uns die Impulse des Konzils weiterhelfen können, wenn wir als Christen in der heutigen Situation Europas unseren Beitrag leisten wollen. Denn das Konzil hat noch einmal klar gemacht, dass wir angesichts der Sorgen und Nöte der Menschen nicht untätig bleiben dürfen. Ich sehe jedenfalls in den Texten des Konzils eine Ermutigung, als Kirche Zeichen und Werkzeug der Einheit aller Menschen zu sein (cf. LG 1) und das gilt für mich gerade im Blick auf das immer noch faszinierende Friedensprojekt Europa.

Das Interview führte Christoph Meurer

Für Gott in Brüssel: Wie die katholische Kirche in der EU für ihre Interessen wirbt

Zur Person

Kardinal Reinhard Marx (geboren 1953 in Geseke) ist seit 2008 Erzbischof von München und Freising. Am 22. März 2012 wurde er zum Präsidenten der "Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft" (ComECE) gewählt. Dem Gremium gehört er bereits seit März 2006 als Delegierter der Deutschen Bischofskonferenz an. Seit hatte März 2009 hatt er das Amt eines Vizepräsidenten inne.