Wie eine Mauer katholische und evangelische Schüler trennte
Der Dumme-Jungen-Streich hat sich ins Gedächtnis von Hermann Straatmann eingebrannt – vor allem die Folgen. Ein Mitschüler hatte es Anfang der 1960er Jahre gewagt, trotz strengem Verbot eine Grenze zu überschreiten: die zwischen der evangelischen und der katholischen Schule im niederrheinischen Ringenberg. Nachdem der Junge die zwei Meter hohe Backsteinmauer überwunden hatte, die die Schulhöfe voneinander trennte, war er im katholischen Teil mit "großem Hallo" empfangen worden. Indes: Zurück in seiner Klasse, bestrafte der Lehrer den Mauerkletterer mit einem derart heftigen Schlag, dass dieser "rückwärts auf die andere Bank flog".
Die Mauer ist ein besonders extremes Beispiel für die getrennte konfessionelle Erziehung in den Nachkriegsjahren. Diese ist Thema der Ausstellung "Unser Land. 75 Jahre Nordrhein-Westfalen" in Düsseldorf, wo ein Stück der Mauer zu sehen ist, und eines Podcasts. Darin berichten der heute 71-jährige Straatmann und andere Zeitzeugen von damals. "Es war normal", so Frank Wernecke, dass die katholischen und evangelischen Kinder keinen Kontakt zueinander hatten - nicht auf dem Schulweg, nicht in der Schulzeit und auch nicht hinterher. Für Gerda van Haren, die im katholischen Part groß wurde, waren die Kinder der anderen Seite Unbekannte: "Insofern hatte ich nie das Verlangen, in der Pause rüberzugehen."
Verweis auf das Elternrecht
Trotz der Mauer galt die Schule in Ringenberg, das heute zu Haminkeln gehört, damals als modern, berichtet Jürgen Peter Schmied, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Haus der Geschichte Nordrhein-Westfalen Ausstellung und Podcast mitgestaltete. In dem Ort waren die beiden maroden konfessionellen Schulen durch einen Neubau ersetzt worden, bei dem die Mauer aber die beiden Bekenntnisse voneinander abriegelte. CDU und katholische Zentrumspartei hätten die Konfessionsschulen damals mit Verweis auf das Elternrecht durchgesetzt, so Historiker Schmied. Nach NS-Diktatur und Zweitem Weltkrieg, als man einen "intellektuellen und kulturellen Neubeginn" gewollt habe, seien die Kirchen in einer sehr starken Position gewesen. Die christliche Prägung habe als Schutzmittel gegen einen Rückfall in die nationalsozialistische Barbarei oder Ähnliches gegolten.
Dossier: Katholische Schulen: Für das Leben lernen
Unter den Schulen in freier Trägerschaft sind katholische Schule besonders beliebt. Doch warum ist das so? Und wie sieht überhaupt der Alltag an einer katholischen Schule aus? Katholisch.de hat in einem Dossier alles Wichtige rund um katholische Schulen zusammengestellt.
Schüler beider Konfessionen hatten damals dasselbe Schulbuch – fast. Die evangelische Version bildete einen Stich von der Wartburg ab, wo Luther wirkte, und die katholische ein Marienbild. Das religiöse Nebeneinander habe noch einen anderen Hintergrund gehabt, führt Schmied aus. Denn durch die Flüchtlingswellen nach dem Zweiten Weltkrieg seien konfessionelle Milieus gemischt worden: So siedelten sich ostpreußische Protestanten in katholischen Orten am Niederrhein an – und mit den "Zugezogenen" habe man sich "irgendwie arrangieren" müssen.
Trennung löst sich allmählig auf
Erst allmählich begannen sich im Schulbereich die starren religiösen Trennlinien aufzulösen. 1968 führte die damalige sozial-liberale Koalition in NRW im Primarbereich neben den Bekenntnis- und Weltanschauungsschulen auch die Gemeinschaftsschule als Regelschule ein. Passend dazu fiel in Ringenberg die Schulmauer Ende der 1960er Jahre.
Bekenntnisschulen in staatlicher Trägerschaft sind aber – im Gegensatz zu anderen Bundesländern – nach wie vor Realität in NRW und im katholisch geprägten oldenburgischen Teil von Niedersachsen. Etwa ein Drittel der rund 2.700 öffentlichen Grundschulen in Nordrhein-Westfalen sind Bekenntnisschulen – 90 Prozent davon katholisch. Nach wie vor ein Politikum. Zwar haben sie sich angesichts wachsender religiöser und weltanschaulicher Pluralität längst geöffnet. Doch weil katholische oder evangelische Schüler an ihrer jeweiligen Bekenntnisschule vorrangig aufgenommen werden, haben nicht-christliche junge Menschen mancherorts das Nachsehen.
In einigen Kommunen drängen Eltern daher auf die Umwandlung von Bekenntnisschulen in Gemeinschaftsschulen. 2015 senkte die rot-grüne Landesregierung die Hürden dafür: Demnach braucht es nur noch die Stimmen der Hälfte der Eltern, um eine Schule umzuwandeln. Zuvor waren zwei Drittel dafür notwendig. Fest zementierte religiöse Verhältnisse im Schulbereich – sie gehören der Vergangenheit an.