Mann wurde laut Medienberichten mehrere hundert Male von Priester missbraucht

Klage auf 725.000 Euro Schmerzensgeld gegen das Erzbistum Köln

Veröffentlicht am 05.08.2022 um 10:54 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ Als Messdiener wurde er laut Medienberichten mehrere hundert Male von einem Priester sexuell missbraucht: Es handelt sich wohl um die deutschlandweit erste Schmerzensgeldklage eines Betroffenen sexualisierter Gewalt gegen die Kirche als Institution.

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Ein Missbrauchsbetroffener hat das Erzbistum Köln auf 725.000 Euro Schmerzensgeld verklagt. Beim Landgericht Köln ging am Freitag die Klage des 63-jährigen Mannes ein, wie Gerichtssprecherin Michaela Brunssen der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sagte. Der Betroffene sehe eine Amtspflichtverletzung des Erzbistums durch Unterlassen. 25.000 Euro habe er bereits erhalten, so dass eine Gesamtsumme von 750.000 Euro im Raum stehe.

Es handelt sich wohl um die deutschlandweit erste Schmerzensgeldklage eines Betroffenen sexualisierter Gewalt gegen die Kirche als Institution. Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, begrüßte den Schritt. "Natürlich dient es dazu, eine Rechtsklarheit zu haben: Gibt es einen Anspruch wegen Amtspflichtverletzungen?", sagte sie im Interview des WDR. Das Erzbistum selbst wollte auf KNA-Anfrage keine Stellung beziehen, da ihm die Klage noch nicht zugegangen sei.

Der Mann, der selbst seit vielen Jahren als Pastoralreferent im Erzbistum Köln gearbeitet hatte, ist Medienberichten zufolge als Messdiener in den 1970er-Jahren mehrere hundert Male von einem mittlerweile verstorbenen Priester sexuell missbraucht worden. Der Fall kommt auch in dem Aufarbeitungsgutachten vor, das die Kanzlei Gercke Wollschläger im Auftrag des Erzbistums Köln erstellte.

Ab 2014 keine priesterlichen Aufgaben mehr ausgeübt

Demnach wurden der Erzdiözese erstmals 1980 Vorwürfe gegen den Priester bekannt, die dieser einräumte. Nach einer Therapie durfte er ab Dezember 1982 wieder als Pfarrer arbeiten. 2010 wurden dem Erzbistum erneut Anschuldigungen gemeldet, die der Geistliche wieder zum Teil zugab. Es folgte eine Meldung beim Vatikan. Ab 2014 durfte der Mann keine priesterlichen Aufgaben mehr ausüben und Kindereinrichtungen des Erzbistums nicht mehr betreten. Zudem musste er 15.000 Euro Strafe zahlen.

Joseph Kardinal Höffner war von 1969 bis 1987 Erzbischof von Köln.
Bild: ©KNA

Kardinal Joseph Höffner war von 1969 bis 1987 Erzbischof von Köln.

Die neu gegründete Interventionsstelle der Erzdiözese machte den Fall 2016 bekannt, um weitere mögliche Opfer zu finden. Im Dezember 2018 meldete das Erzbistum die Vorwürfe zudem an die Staatsanwaltschaft.

Die Gutachter kamen zu dem Schluss, dass der damalige Kölner Erzbischof Joseph Höffner (1906-1987) sowie sein Generalvikar Norbert Feldhoff 1980 nicht konsequent genug den Verdachtsfällen nachgingen und sich nicht genug um die Opfer kümmerten. 2010 hätte die damalige Justiziarin der Erzdiözese zudem die Vorwürfe an die Staatsanwaltschaft melden müssen.

Klagen gegen hochrangige Kirchenvertreter

Gegen hochrangige Kirchenvertreter persönlich – nicht jedoch die Institution Kirche – gibt es bereits Klagen. So hatte im Juni ein Betroffener Klage gegen den früheren Papst Benedikt XVI. und weitere Personen beim Landgericht Traunstein eingereicht. Demnach soll der emeritierte Papst in seiner Zeit als Münchner Erzbischof "verantwortlich zugestimmt" haben, einen Geistlichen wieder in der Gemeindearbeit einzusetzen, obwohl sexuelle Übergriffe durch den Mann bekannt gewesen seien. Benedikt XVI. bestreitet dies.

Bild: ©picture alliance / Stefano Spaziani

Der emeritierte Papst Benedikt XVI. bestreitet die Vorwürfe.

Auch im Erzbistum Köln hat es schon den Versuch rechtlicher Schritte gegeben. So lagen der Staatsanwaltschaft zwischenzeitlich mehr als 30 Strafanzeigen mit dem Verdacht auf Beihilfe zum Missbrauch gegen Kardinal Rainer Maria Woelki und weitere Personen vor. Die Amtsträger hätten zu wenig zur Verhinderung von Taten getan, so der Vorwurf. Die Staatsanwaltschaft entschied im Juli aber, mangels Anfangsverdacht keine Ermittlungen aufzunehmen.

Missbrauchsbetroffene erhalten von den zuständigen Bistümern Zahlungen in Anerkennung des erlittenen Leides. Es handelt sich hier nicht um Schmerzensgeld, sondern um freiwillige Leistungen der Kirche.

Mögliche Wendemarke

Die Betroffenenorganisation Eckiger Tisch sprach beim Kölner Fall von einer möglichen Wendemarke. Demnächst könnte es "eine Welle von Verfahren gegen Bistümer und Ordensgemeinschaften" geben, sagte Sprecher Matthias Katsch. Entscheidend werde jedoch sein, ob sich die Politik für Wiedergutmachungen einsetzt. 

"Je nach dem, was das Landgericht Köln entscheidet, herrscht zumindest für die Zukunft Klarheit über die Haftungsmaßstäbe, übrigens nicht nur in der katholischen Kirche", sagte der Kölner Staatsrechtslehrer Stephan Rixen auf KNA-Anfrage. Das habe eine vorbeugende Wirkung, vor allem, wenn es finanziell weh tue. "Für die Betroffenen sexueller Gewalt geht es nicht nur ums Geld, sie wollen endlich gehört und gesehen werden", betonte Rixen zugleich. (cph/KNA)

5.8., 15:20 Uhr: Aktualisiert und ergänzt um weitere Details. 18:20 Uhr: Ergänzt um die letzten beiden Absätze.