Weibliche Dämonin oder erste Feministin?

Lilith: Der Horror-Mythos um die erste Frau Adams

Veröffentlicht am 31.10.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Ob als Herrscherin über das Böse oder erster Vampir: In Horrorfilmen kommt in dieser Rolle häufig die berüchtigte Lilith vor. Nach jüdischem Volksglauben war sie die erste Frau Adams. Ihre Darstellung reicht dabei von einer männerhassenden Verführerin bis hin zur Feministin.

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Fans von Horror-, Fantasy- und Vampirfilmen dürfte dieser Name sehr bekannt vorkommen: "Lilith". Mal wird sie der Ursprung aller Dämonen dargestellt, mal als eine männerhassende Rächerin. In der HBO-Serie "True Blood" gilt sie beispielsweise als erster Vampir. In der Netflix-Serie "Shadowhunters" ist sie die Königin von Edom, einem verfluchten Reich, in dem die Dämonen hausen. Doch auch in der Literatur kennt man sie. Im "Zauberberg" von Thomas Mann gilt sie als "Nachtspuk" und Gefahr vor allem für junge Männer.

Dabei ist Lilith keine neuzeitliche Erfindung, sondern geht auf uralte Mythen zurück. Auch in der Bibel findet sich Lilith – wenn auch ohne große Rolle. Tatsächlich kommt Lilith nur an einer Stelle der Bibel vor, nämlich beim Propheten Jesaja: "Wüstentiere treffen auf Hyänen, Bocksgeister begegnen einander. Ja, Lilit macht dort Rast und findet für sich einen Ruheplatz." (Jes 34,14) Hier geht es auch um Edom, einen Ort, der dem Untergang geweiht ist – ein Ort, der so schrecklich ist, dass nur Lilith sich dort wohlfühlt und Rast macht. Sie muss wohl ziemlich böse sein, wenn sie sich in all dem Verderben um sie herum ausruht. Der Name "Lilith" hat seinen Ursprung in der akkadischen Sprache und steht für ein weibliches, dämonisches Wesen. In der "Gute Nachricht Bibel" wird der Name mit "Nachtgespenster" übersetzt.

Lilith, die sich Adam nicht unterwerfen wollte

Ihr Name kommt bereits im Gilgamesch-Epos vor, einer der ältesten bekannten Dichtungen. Das Epos, das einige Parallelen zum Alten Testament aufweist, stammt aus dem babylonischen Raum und ist vor der Bibel entstanden. Im jüdischen Volksglauben und von jüdischen Gelehrten wie Ben Sirach in seinem mittelalterlichen Werk "Alphabet" wird Lilith als erste Frau Adams beschrieben. Sie will nach diesen Erzählungen gleichberechtigt an Adams Seite stehen und Adam nicht untergeben sein, wie er es von ihr verlangt. Sie flieht aus dem Garten Eden, Gott schickt drei Engel, die sie zur Vernunft bringen sollen, doch sie gibt nicht nach und wird für immer aus dem Paradies verbannt. Außerdem sollte sie nur noch dämonische, todgeweihte Kinder zur Welt bringen. In den Apokryphen wird beschrieben, dass sie von Gott durch Eva ersetzt wird.

Die Deutung von Lilith kommt nicht aus dem Nichts: Schon früher gab es in unterschiedlichen Kulturen Legenden über eine Dämonin mit ähnlichen Eigenschaften. Im weiteren Verlauf der Geschichte stand sie oft als Sinnbild für das Unreine und wurde in der Kunst als zügellose Verführerin dargestellt. Manchmal verschwimmen hier auch die Geschichten und sie wird als Freundin der Schlange im Paradies gezeichnet, oder gar als Schlange selbst. Außerdem wurde ihr Vergehen gegen Adam häufig als Erklärung für die hohe Kindersterblichkeitsrate im Mittelalter genutzt.

Garten Eden
Bild: ©picture alliance/Godong/Fred de Noyelle

In einer alten Bibel sieht man die Schlange personifiziert als Lilith.

Die Legende um Lilith wurde von unzähligen Filmen und Büchern repliziert. Eines der bekanntesten Beispiele ist wohl Goethes Faust. Faust sieht sie auf dem Blocksberg, wo sich Hexen und Gespenster versammeln:

Faust: Wer ist denn das?
Mephisto: Betrachte sie genau! Lilith ist das.
Faust: Wer?
Mephisto: Adams erste Frau

In Horrorfilmen möchte Lilith sich oft für ihre Verbannung aus dem Paradies rächen. Sie ist eine Kindermörderin, Männermörderin – oder beides. In dem Film "Lilith" aus dem Jahr 1964 (Regie: Robert Rossen) treibt sie einen Therapeuten in den Wahnsinn und lässt ihn zum Mörder werden. Lilith ist lange ein Zeichen und Symptom des männlichen Blickes auf das personifizierte Böse in Form der gefährlichen Verführerin. Der "männliche Blick" (auch "male gaze") beschreibt in der Filmwissenschaft das Phänomen, dass Filme und andere kulturelle Produkte lange Zeit (und teilweise auch noch heute) von einer männlichen Perspektive auf die Welt geprägt sind, alleine dadurch, dass viele Filme von Männern produziert wurden (und werden).

Die Darstellung der Lilith ändert sich

Spätestens in den 70er Jahren ändert sich die Rezeption der Lilith. Die Geschichte wird feministisch umgedeutet. Die Theologin Judith Plaskow erzählt, was Eva von Lilith hätte lernen können: Sie bezeichnet sie als erste Feministin, weil sie sich geweigert hat, sich Adam zu unterwerfen, obwohl sie das alles gekostet hat. Der Name wurde in der Folge für feministische Zeitschriften, Cafés und Musikfestivals gebraucht.

Auch in Filmen und Serien wird ihre Rolle zum Teil immer komplexer. Gerade der Streaming-Dienst Netflix arbeitet sich auf unterschiedlichste Art und Weise an der Figur der Lilith ab – kaum eine Horror-Serie kommt ohne sie aus. Dabei werden zahlreiche Facetten von ihr gezeigt. In "Chilling Adventures of Sabrina" gilt sie als erste Hexe. Zunächst auf Luzifers Seite, bemerkt sie bald seine Lügen und kämpft gegen ihn, um selbst Königin der Hölle zu werden. In "Warrior Nun" wird mit der Frage gespielt, ob Schwester Lilith auf die Seite des Bösen wechselt – doch sie tut es nicht. In "Shadowhunters" wird die Tragik ihrer Figur betont. Dass sie keine Kinder bekommen kann, hat sie dazu gebracht, mit dem Bösen zusammenzuarbeiten und selbst Böse zu werden, nur um einen Sohn zu bekommen. Dann tut sie alles für ihn, weil sie ihn liebt, zerstört dabei aber das Leben vieler anderer.

Der Mythos um die erste Frau Adams ist also noch lange nicht auserzählt. Er passt sich in der Pop-Kultur und den Geschichten der jeweiligen Zeit an, wie er es schon immer getan hat.

Von Meike Kohlhoff