Tank oder Teller?

Veröffentlicht am 24.01.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Ernährung

Berlin ‐ Besser hätte der Termin nicht gesetzt werden können: Zur Halbzeit der "Grünen Woche" in Berlin trafen sich auf Einladung der Deutschen Bischofskonferenz hochkarätige Experten aus Politik und Wissenschaft in der Katholischen Akademie Berlin zu einem Streitgespräch über die Welthungerkrise.

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Unter dem Motto "Agrarrohstoffe: Tragen sie zum weltweiten Hunger bei?" diskutierten der Präsident des Münchener Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, der Parlamentarische Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium, Peter Bleser, der Vorsitzende des Bundesverbandes der deutschen Bioethanolwirtschaft, Norbert Schindler, sowie Johannes Wallacher, Präsident der Hochschule für Philosophie München und Vorsitzender der Sachverständigengruppe "Weltwirtschaft und Sozialethik" der Kommission Weltkirche der Bischofskonferenz.

Die Fachdiskussion führte der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick ein, der auch Vorsitzender der Kommission Weltkirche ist. Schick ging dabei auch ein auf die Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz aus dem Juni 2012 zum Thema " Die Geißel des Hungers überwinden " sowie die Ergebnisse der Studie "Den Hunger bekämpfen. Unsere gemeinsame Verantwortung für das Menschenrecht auf Nahrung", die eine interdisziplinäre Sachverständigengruppe unter Leitung von Johannes Wallacher erarbeitet hatte.

Um es vorweg zu sagen: Eine klare Antwort auf die Frage "Teller oder Tank?" konnte keiner der Besucher des Streitgesprächs mit nach Hause nehmen. Aber das Gespräch erweiterte auch bei interessierten Verbrauchern den Horizont, wenn es um eine fundierte Meinungsbildung geht, ob Agrarrohstoffe zum weltweiten Hunger beitragen. Denn vom Thema der Energiegewinnung aus nachwachsenden Rohstoffen sowie vom hohen Flächenverbrauch und der Verknappung von Land und Wasser sind weltweit immer mehr Menschen betroffen.

"Eine Milliarde Menschen leiden an Hunger"

"Die globale Ernährungslage hat sich in den letzten zehn Jahren zugespitzt und knapp eine Milliarde Menschen, vor allem in Afrika, leiden an Hunger", gab der RBB-Moderator Alexander Krahe als Leiter des Gesprächs den Diskutanten auf den Weg. Die Experten erklärten dann jeder aus ihrer Sicht die Hintergründe und Ursachen des Hungers in der Welt, wie zum Beispiel die geringen Anbauflächen der Kleinbauern, schlechte Infrastrukturen in den Entwicklungsländern, Monokulturen oder die Dominanz multinationaler Konzerne. Aber auch Wettbewerbsverzerrungen durch die USA und die Europäische Union am Weltagrarmarkt und die "Landnahme" ausländischer Investoren zum Nachteil der einheimischen Bevölkerung waren Thema der gut zweistündigen Diskussion.

Die Kontroverse entzündete sich vor allem an der Energiegewinnung aus nachwachsenden Rohstoffen wie Mais, Weizen oder Raps zur Kraftstoffbeimischung. Auf der einen Seite stand Norbert Schindler, der als Lobbyist und Landwirt die Gewinnung von Energie durch Nutzpflanzen verteidigte. Er fragte, ob Europa den Schwellen- und Entwicklungsländern deren Landnutzung vorschreiben könne und sah "mehr Chancen als Risiken" in der gegenwärtigen Situation.

Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion in der Katholischen Akademie in Berlin.
Bild: ©Rocco Thiede/katholisch.de

Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion in der Katholischen Akademie in Berlin.

"Wenn dieser Entwicklung nicht Einhalt geboten wird, drohen Mord und Totschlag", konterte ihm mit drastischen Worten Hans-Werner Sinn. Er zeigte einen Zusammenhang auf zwischen dem Anstieg der Lebensmittelpreise und der Energiegewinnung aus Agrarrohstoffen. Die Hungerkrawalle von 2007/08 führte der Ifo-Chef darauf zurück. "Deshalb bin ich dafür, dies zu verbieten", gab Sinn zu Protokoll.

Ihm sprang Johannes Wallacher zur Seite, der die Komplexität der neuen Verteilungskämpfe herausstellte und als Ursachen zum Beispiel die knappen Flächen, die Zunahme der Fleischproduktion und unberechenbare Wetterphänomene anfügte. "Teller und Tank – das schaffen wir auf Weltebene nicht", so sein Fazit.

Populistische Übertreibungsszenarien?

Peter Bleser, der als Vertreter der Bundesregierung auf dem Podium saß, zeigte sich überzeugt, dass "Deutschland keinen Einfluss auf die Entwicklung hat, weil wir nur 0,75 Prozent der weltweiten Ackerfläche bewirtschaften". Deshalb setzt er auf "die Vermittlung von Know-How vor Ort", wie er es in Äthiopien kürzlich gesehen habe. "Dann kann der Zielkonflikt zwischen Ernährung und Energie aufgelöst werden", so Bleser.

Schindler, der im Laufe der Diskussion die Aussagen von Ifo-Chef Sinn "populistisch" nannte und ihm Übertreibungsszenarien unterstellte, behauptete, die "nachwachsende Energie vom Acker sei nicht Schuld am Hunger". Sinn seinerseits konterte mit Zahlen. So seien laut Weltbank Zweidrittel des Preisanstiegs bei Nahrungsmitteln auf die Energiepflanzen zurückzuführen. Bei der anschließenden Öffnung für Fragen aus dem Publikum, verwies ein Mediziner auf Worte des Evangeliums: "Ich bin das Brot des Lebens" und meinte: "Solange Menschen hungern, dürfen keine Lebensmittel verbrannt werden".

Erzbischof Schick ging am Ende der Diskussion noch einmal auf die Verantwortung jedes einzelnen Menschen und seiner tagtäglichen Konsum-Entscheidungen ein, wenn es um den Hunger in der Welt gehe. Denn auch die Verbraucher in Deutschland bestimmten mit ihren Essgewohnheiten sowie mit dem Verzehr statt der Vernichtung von Speisen die zukünftigen Entwicklungen mit. Und besonders Christen sollten daran denken, dass die Natur Gottes Schöpfung sei, die den Menschen zur Nutzung anvertraut sei, so der Oberhirte.

Von Rocco Thiede