Scharfe Kritik am Vorgehen der deutschen Bischöfe

Lüdecke: Missbrauchsaufarbeitung in Deutschland nur "Ablenkungs-PR"

Veröffentlicht am 04.10.2022 um 13:57 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Der Kirchenrechtler Norbert Lüdecke hält nichts von einer kirchlich initiierten Aufarbeitung von Missbrauch. Aus seiner Sicht lenken die von der Kirche in Gang gesetzten Untersuchungen lediglich von der Verantwortung der Bischöfe ab.

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Der emeritierte Bonner Kirchenrechtler Norbert Lüdecke sieht in der Aufarbeitungsstrategie der deutschen Bischöfe eine auf Aussitzen gerichtete "Ablenkungs-PR". In einem Interview mit dem Queer-Magazin "Fresh" stellte er am Sonntag fest, dass die Bischöfe "von Anfang an das Heft in der Hand behalten" hätten: "Bis heute lässt man ihnen durchgehen, dass sie Aufklärung und Aufarbeitung einfach zu ihrer ureigenen Aufgabe erklären." Die Aufarbeitung durch von den Bischöfen selbst gewählte Anwaltskanzleien mit je eigenen Fragestellungen führe dazu, dass die amtierenden Bischöfe im Vergleich zu ihren Amtsvorgängern relativ gut bewertet würden. "Und dann stellen sie sich hin und nennen das 'unabhängige' Aufarbeitung. Warum man diese eigentlich durchtriebene Selbstzuschreibung duldet und medial übernimmt, habe ich nie verstanden", so der Kirchenrechtler weiter.

Bereits die Auswahl der Kanzlei sei keine "unschuldige Angelegenheit". "Wer etwa Entschädigungen fürchtet wie der Teufel das Weihwasser, na der nimmt halt eine Kanzlei unter Vertrag, die jede Organisationshaftung restriktiv sieht", erläuterte Lüdecke. Die Verantwortung der "bistumsmonarchischen" Entscheider zerstäube so auf Amtsvorgänger und auf einzelne leitende Mitarbeiter. Das Ergebnis ist nach Ansicht des Theologen eine "fatale Schlussstrichpragmatik", durch die der amtierende Bischof entlastet werde. Die Vielfalt der diözesanen Gutachten erzeuge außerdem eine "komplexe Unübersichtlichkeit".

Einzelne Personalkonsequenzen und die Beteuerung, es künftig besser zu machen, lenkten den Blick nach vorn "und damit wieder von den Betroffenen ab". Der Erfolg dieser Strategie zeigt sich für ihn darin, dass noch kein Bischof seinen Platz räumen musste. Norbert Lüdecke war bis zu seiner Emeritierung mit Ende des Sommersemesters 2022 Inhaber des Lehrstuhls für Kirchenrecht an der Universität Bonn. In den Bistümern Limburg und Mainz war er Diözesanrichter. Er gehört zu den schärfsten Kritikern des Synodalen Wegs, der er angesichts der hierarchischen Struktur für eine "Täuschung" der Gläubigen hält. (fxn)