Missbrauch: Erzbischof Zollitsch räumt Fehler und Schuld ein
Der frühere Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und Freiburger Erzbischof, Robert Zollitsch (84), hat nach langem Schweigen große Fehler und persönliche Schuld bei der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und Missbrauch in der katholischen Kirche eingeräumt. In einem am Donnerstag in Freiburg veröffentlichten neunminütigen Video bittet Zollitsch die Opfer und ihre Familien um Verzeihung, "für das zusätzliche Leid, das Ihnen mein Verhalten bereitet hat". Er wisse, dass er nicht erwarten könne, dass sie seine Entschuldigung annähmen.
Zollitsch sagte, er sei Missbrauchsbetroffenen nicht mit ausreichender Anteilnahme begegnet. "Ich habe das große Ausmaß und vor allem die Folgen für die Betroffenen der Verbrechen sexualisierter Gewalt und des Missbrauchs nicht erfasst und der Wahrheit nicht in die Augen geschaut." Auch habe er es versäumt, Missbrauchsfälle offenzulegen und stattdessen versucht, Missbrauchsvorwürfe "intern" zu behandeln. Er habe fälschlicherweise zu sehr das Wohl der Kirche und zu wenig die Fürsorge und Anteilnahme für die Betroffenen im Blick gehabt. Zu lange, so der 84-Jährige, sei er im Umgang mit Missbrauchstätern "zu naiv und zu arglos" gewesen, indem er den Aussagen und Versprechungen von Tätern "nur allzu gerne geglaubt" habe. Zollitsch sprach von "gravierenden Fehlern", die er "von ganzem Herzen" bereue.
Im zweiten Teil des Videos argumentiert Zollitsch, er sei als Verantwortlicher im Erzbistum Freiburg eingebunden gewesen in ein "System, das im Umgang mit sexualisierter Gewalt von einer gewachsenen und einvernehmlich getragenen Kultur des Schweigens und der Verschwiegenheit nach außen, des Korpsgeistes und des Selbstschutzes" geprägt gewesen sei. Er übernehme die persönliche und moralische Verantwortung, so Zollitsch. Er verwies zugleich darauf, dass er immer im Austausch mit anderen Leitungsverantwortlichen im Bistum gestanden habe. Zollitsch sagte zu, er wolle künftig zur weiteren Aufarbeitung von Missbrauch beitragen. Diejenigen, die Leid und Missbrauch erfahren haben, müssten "Gehör, Anerkennung und Unterstützung" der Kirche finden. Er kritisierte, "allzu lange ohne Erfolg" um Akteneinsicht in die laufende Aufarbeitung des Bistums gebeten zu haben.
Erzbistum Freiburg und Betroffene reagieren
Das Erzbistum Freiburg begrüßte Zollitschs Erklärung. "Die konsequente und unabhängige Aufarbeitung des früheren Umgangs mit Missbrauch hat für uns als Bistumsleitung in der Erzdiözese Freiburg oberste Priorität", sagte Generalvikar Christoph Neubrand am Donnerstag. "Das sind wir in besonderer Weise den Betroffenen schuldig, an deren Seite wir ohne Einschränkungen stehen." Daher begrüße die Erzdiözese, dass sich Zollitsch mit seiner Verantwortung auseinandersetze. "Fundiert und umfassend wird eine Bewertung der Versäumnisse und Fehler im früheren Umgang mit Missbrauch nach der Fertigstellung und Veröffentlichung des Missbrauchsberichts im Frühjahr 2023 möglich sein", so Neubrand.
Der Betroffenenbeirat im Erzbistum Freiburg erklärte, es müsse sich jetzt zeigen, ob Zollitsch die ausgedrückte Reue ernst meine. Sein Schuldeingeständnis komme überraschend. Jetzt müsse er sich dafür engagieren, dass die Aufarbeitung schneller vorankomme. Bislang habe Zollitsch jedoch nichts Konkretes unternommen, um das Leid der Betroffenen zu schmälern, kritisierte der Beirat. Denkbar wäre etwa die Gründung einer Stiftung für Betroffene. Und Zollitsch sollte im direkten Gespräch mit Betroffenen jene Fragen beantworten, "die seit Jahrzehnten nicht beantwortet wurden". Die bundesweite Betroffenen-Organisation Eckiger Tisch bezeichnete das Video Zollitschs als bemerkenswert. Die klare persönliche Übernahme von Verantwortung sei bei kirchlichen Amtsträgern selten, so Eckiger-Tisch-Sprecher Matthias Katsch. Auch er forderte, der Erklärung müssten Taten folgen.
Bereits 2018 hatte Zollitsch Fehler im Umgang mit Missbrauchstaten katholischer Priester eingeräumt. Aus heutiger Sicht hätte er die Pflicht gehabt, "entsprechende Täter" anzuzeigen, sagte er damals unter anderem. Zuvor hatte der amtierende Freiburger Erzbischof Stephan Burger seinem Amtsvorgänger Fehleverhalten vorgeworfen. Kürzlich wurde bekannt, dass sich die Veröffentlichung des Gutachtens zu Missbrauch und sexualisierter Gewalt im Erzbistum Freiburg erneut verzögert. Dem Vernehmen nach wollen sich die Autoren gegen mögliche Klagen absichern. Die Studie umfasst auch die Jahre, in denen Zollitsch in verschiedenen Funktionen Verantwortung im Erzbistum Freiburg trug. Bis zuletzt war unklar, wie er sich zu der Untersuchung verhält. Seit 2010 wurden ihm öffentlich Fehlverhalten bei mehreren Missbrauchskomplexen vorgeworfen. So hat im Fall Oberharmersbach ein Priester über Jahre dutzende Jugendliche missbraucht.
Zollitsch leitete das Erzbistum Freiburg von 2003 bis 2014. Zuvor war er 20 Jahre lang Personalchef der Diözese und in dieser Position vielfach mit Menschen befasst, denen Missbrauch zur Last gelegt wurde. Von 2008 bis 2014 war Zollitsch zudem DBK-Vorsitzender. Ab 2010 begann die katholische Kirche in Deutschland mit der Aufarbeitung von Missbrauch und sexualisierter Gewalt durch Priester und Kirchenmitarbeiter. (tmg/KNA)
6.10., 11:40 Uhr: Ergänzt um weitere Details. 13:35 Uhr: Ergänzt um Reaktion des Erzbistums. 16:15 Uhr: Ergänzt um Betroffenen-Organisationen.