Der Belesene: Kurienkardinal Gianfranco Ravasi wird 80 Jahre alt
Er äußert sich gerne und zu vielen Themen. Migration, Frauenrechte, Schwund an Kirchenmitgliedern oder Mode: Gianfranco Ravasi hat in seiner Funktion als Leiter der vatikanischen Kulturbehörde selten ein Blatt vor den Mund genommen. Dabei geht es dem Norditaliener vor allem darum, die gesellschaftliche Rolle von Kunst und Kultur hervorzuheben. Am 18. Oktober wird Ravasi 80 Jahre alt. Seine Position an der Spitze der Kulturbehörde erlosch Ende September mit der Ernennung seines Nachfolgers – wobei mit der Kurienreform vom Juni die Behörden für Kultur und Bildung verschmolzen sind.
Ravasi wurde 1942 im norditalienischen Merate geboren. Als ältestes von drei Kindern eiferte er früh seiner Mutter nach, einer Lehrerin, und widmete sich dem Studium der Sprachen. In Rom und Jerusalem studierte er Theologie und Archäologie und wurde 1966 in Mailand zum Priester geweiht. Er war Dozent für biblische Exegese und viele Jahre Leiter der berühmten Mailänder "Biblioteca Ambrosiana". In ihr werden vorrangig mittelalterliche Schriften und Dokumente verwahrt.
Spätestens seit dieser Zeit gilt der Mann mit der breiten Stirn als einer der belesensten und gebildetsten Köpfe in der katholischen Kirche Italiens. Die Liste seiner eigenen Buchveröffentlichungen, die meisten davon zu biblischen Themen, umfasst mehr als 70 Titel. In manchen Jahren publizierte er neue Bücher im Zweimonatsrhythmus.
Benedikt XVI. holte ihn in den Vatikan
2007 holte ihn Papst Benedikt XVI. (2005-2013) in den Vatikan. Ravasi übernahm nicht nur die Leitung des damaligen Päpstlichen Kulturrates, sondern führte zugleich die Päpstliche Archäologie-Kommission. Drei Jahre später machte ihn Benedikt XVI. zum Kardinal.
Als Kulturrats-Chef erwarb sich Ravasi in Deutschland vor allem einen Namen durch die 2011 begonnene Initiative "Vorhof der Völker", die dem Austausch glaubender wie nicht glaubender Denker und Kulturschaffender dienen soll. Der Name spielt auf den Vorhof des antiken Jerusalemer Tempels an, in dem Juden und Heiden zum Gedankenaustausch zusammenkamen. Für seine Verdienste um die Vermittlung deutscher Kultur und den Dialog zwischen Kunst und Kirche erhielt er 2019 das Bundesverdienstkreuz.
Der Päpstliche Kulturrat war zudem die erste Vatikanbehörde mit einem Beratungsgremium nur aus Frauen. Unter den mehr als 375 Mitgliedern des Frauenrates sind Unternehmerinnen, Schauspielerinnen, Sportlerinnen, Ordensfrauen und Universitätsdozentinnen. Kultur- und Kommunikationsinstitutionen könnten seiner Meinung nach mehr zur Bekämpfung von Frauenhass tun, erklärte Ravasi in einem Interview. Sie sollten sich nicht darauf beschränken, über einzelne Fälle zu berichten, sondern den Ursachen auf den Grund gehen.
Er führte den Vatikan zur Biennale
Auch die Teilnahme des Vatikan an der Architektur-Biennale in Venedig fiel in Ravasis Ägide. Die vor über 150 Jahren begonnene Trennung zwischen Kunst und Kirche gelte es wieder zu heilen, erklärte er dazu; und kritisierte nicht nur Entwürfe der Sakralarchitektur, die Bekanntes kopierten, sondern auch ein großes Defizit bei der ästhetischen Bildung des Klerus.
Zu letzterem gehört für den Italiener auch die Mode. Ravasi verteidigte entsprechend die Beteiligung des Vatikan an einer Ausstellung über Luxusmode. Mode sei eine bedeutende Form der Gegenwartskommunikation, sagte er der italienischen Ausgabe des Magazins "Vogue".
Doch auch mit weniger erfreulichen Dingen musste sich Ravasi befassen; etwa mit der Nutzung leerstehender Kirchen. Bei einer Vatikan-Veranstaltung zum Thema fiel seine Diagnose vor einigen Jahren nüchtern aus: Viele wollten immer noch nicht wahrhaben, dass gläubige Menschen im Westen eine Minderheit seien. Viele Kleriker meinten, "wir lebten in einem Dorf, in dem sonntagmorgens, wenn die Glocken läuten, die Leute zur Kirche rennen". Dabei herrsche im einst christlichen Westen "religiöse Apathie", so Ravasi. Bei einer Debatte über die auch in Italien schrumpfenden Ordensgemeinschaften plädierte er folglich unlängst dafür, die "Last der Bewahrung" zu einer "Gelegenheit der Erneuerung" werden zu lassen.