Die Kuba-Krise löste auch päpstliche Friedensaktivitäten aus

Vor 60 Jahren: Als der Atomkrieg beinahe Wirklichkeit geworden wäre

Veröffentlicht am 22.10.2022 um 12:15 Uhr – Lesedauer: 
Zweites Vatikanisches Konzil: Papst Johannes XXIII. bei einer Ansprache, links Kardinal Ottaviani.
Bild: © KNA

Havanna/Vatikanstadt ‐ Die Päpste der jüngeren Vergangenheit stellen die Erhaltung des Friedens in den Mittelpunkt ihrer diplomatischen Aktivitäten. Besonders deutlich zeigte sich das während der Kuba-Krise, bei der vor 60 Jahren ein Atomkrieg drohte.

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Der Atomkrieg wäre vor 60 Jahren beinahe Wirklichkeit geworden. Damals hatte die sowjetische Regierung Raketen auf Kuba – als Reaktion auf die Stationierung von US-Raketen in der Nähe von Izmir in der Türkei. Heute droht sich ein Krieg Russlands in der Ukraine in Europa festzufressen – die Hürden sinken für das Ausspielen der atomaren Karte, nicht nur auf russischer Seite. US-Präsident John F. Kennedy forderte am 22. Oktober 1962 den sofortigen Abzug dieser Waffensysteme aus dem Vorhof der USA in der Karibik. Angesichts des drohenden nuklearen Weltuntergangs wandte sich Papst Johannes XXIII. (1958-1963) vor 60 Jahren schon mit einem Friedensappell an die Supermächte.

Ab dem 10. Juli 1962 stationierte die Sowjetunion heimlich mehr als 42.000 Soldaten und über 60 Mittelstreckenraketen, die mit Atomsprengköpfen ausgerüstet waren, auf Kuba. Doch die geheime Mission scheiterte. Am 14. Oktober veranlasste der US-Präsident Luftaufnahmen von Kuba, die die Aufrüstung und den Bau von Startrampen aufdeckten. Es folgte Kennedys Fernsehansprache. Der erste katholische US-Präsident berichtete der Weltöffentlichkeit von eindeutigen Hinweisen auf die Stationierung von Nuklearraketen. Die strategische Militärbasis der Sowjetunion sei eine Bedrohung für die Amerikaner – aber auch für die gesamte westliche Hemisphäre. Das Vorgehen der UdSSR sei eine Provokation. Die Folge war eine Seeblockade, um den Sowjet-Schiffen den Zugang nach Kuba zu versperren.

"Wir flehen alle Regierenden an ..."

Die Reaktion des Papstes ließ nicht lange auf sich warten. Am Morgen des 24. Oktober ließ der Papst in der amerikanischen und in der sowjetischen Botschaft seinen Friedensappell überreichen: "Wir flehen alle Regierenden an, vor dem Schrei der Menschheit nach Frieden nicht taub zu bleiben (...), die Verhandlungen wiederaufzunehmen (...). Gespräche auf allen Ebenen und zu jeder Zeit in Gang zu bringen, zu begünstigen und zu akzeptieren, ist eine Regel der Weisheit und Klugheit (...)." Diese Botschaft sei "der einzige Hoffnungsschimmer" gewesen, sagte später der ehemalige Ministerpräsident der Sowjetunion, Nikita Chruschtschow.

John F. Kennedy besteigt im Dezember 1961 ein Flugzeug in West Palm Beach.
Bild: ©picture alliance / AP Photo

John F. Kennedy war der erste katholische Präsident der USA und zur Zeit der Kuba-Krise im Amt.

Am 26. Oktober 1962, als Chruschtschow sich zum Abzug seiner Raketen aus Kuba bereit erklärte, druckte die Moskauer "Prawda" den Friedensappell des Papstes. Wie heute Papst Franziskus enthielt sich auch Johannes XXIII. der Parteinahme – sicher damals auch nicht zur Freude aller, die im römischen Bischof zu gern den "Kaplan der Nato" gesehen hätten.

Dass der Vatikan einen Dialog mit der Sowjetunion begann, war unter den streng antikommunistischen Vorgängern von Johannes XXIII. noch undenkbar gewesen. Für die katholische Kirche und ihr Verhältnis zur säkularen Welt hatte das Friedensengagement des Papstes weitreichende Folgen. Seine 1963 veröffentlichte Enzyklika "Pacem in terris" (Friede auf Erden) richtete er erstmals nicht nur an die Katholiken, sondern an alle "Menschen guten Willens". Päpstliche Versöhnungsappelle und Friedensinitiativen hatte es früher schon gegeben: Benedikt XV. bemühte sich im Ersten Weltkrieg ebenso vergeblich wie Pius XII. im Zweiten Weltkrieg, dem sinnlosen Töten Einhalt zu gebieten. Doch das Atomzeitalter stellte neue Herausforderungen – und die Notwendigkeit, dass ein Krieg strukturell unmöglich werde.

Werden die Aktivitäten des Vatikan im Ukraine-Konflikt Früchte tragen?

An diesem Prinzip orientieren sich seitdem die Päpste, mag es der westlichen Öffentlichkeit passen oder nicht. So traf die Verurteilung der Irak-Kriege oder der Interventionen in Syrien auf Widerstand in neokonservativen Kreisen diesseits und jenseits des Atlantiks – und die Päpste behielten recht. Kritik an der zurückhaltenden Haltung des Heiligen Stuhls gegenüber Russland in der Ukraine-Frage kam ebenso frühzeitig auf – diesmal aus der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche. Als Papst Franziskus und der Moskauer Patriarch Kyrill 2016 eine gemeinsame Erklärung ausgerechnet auf Kuba unterzeichneten, hätten sie die Hauptursachen der "Auseinandersetzungen in der Ukraine" ignoriert, so das Kiewer Patriarchat. Das Ziel der antiukrainischen Aggression Russlands sei eine Verhinderung der europäischen Integration des Landes. In der Ukraine geschehe das Gleiche "wie in der Tschechoslowakei 1938 und 1968, Ungarn 1956 und Afghanistan 1979".

Ob die Zurückhaltung und die diplomatischen Aktivitäten des Vatikan auch im Konflikt um die Ukraine am Ende Früchte tragen werden – oder gar einen Atomkrieg zwischen dem Westen und Russland verhindern, kann heute keiner sagen. Aber in der Sicht der Päpste auf Konflikte und Kriege schimmert die übernatürliche Perspektive des Christen auf die Geschichte durch: Sie kalkuliert die Vorsehung Gottes mit ein. Hieraus erklärt sich der Verzicht auf explizite Verurteilung einer Partei. Und das ermöglicht dem römischen Pontifex, als Friedensvermittler eine besondere Rolle zu spielen – damals bei Johannes XXIII. in der Kuba-Krise und heute bei Franziskus angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine.

Von Simon Kajan (KNA)