Schwester Gabriela Zmuda über das Loslassen und den letzten Abschied

Ordensfrau: Der Tod ist die Geburt in ein Leben bei Gott

Veröffentlicht am 02.11.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Schwester Gabriela Zmuda ist Augustiner-Chorfrau im Michaelskloster in Paderborn. Weil sie auch Altenpflegerin ist, begleitet die Ordensfrau ihre Mitschwestern auf dem letzten Lebensweg. Im katholisch.de-Interview erklärt die Ordensfrau, was beim Abschiednehmen helfen kann.

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Schwester M. Gabriela Zmunda lebt seit 44 Jahren im Michaelskloster in Paderborn. Die Augustiner-Chorfrau pflegt kranke Mitschwestern. 40 Ordensfrauen hat sie nach eigenen Worten bereits beim Sterben begleitet. Im katholisch.de-Interview spricht sie über das Sterben und den Tod.    

Frage: Schwester Gabriela, Sie begleiten Menschen beim Sterben. Wie können Sie das aushalten?

Schwester Gabriela: Ich kann das gut aushalten. Als ich ins Kloster gegangen bin, war ich 21 Jahre alt. Mir war klar: Hier trete ich ein, hier werde ich auch sterben. Ich war ausgebildete Kinderkrankenschwester. Dann habe ich eine Ausbildung zur Altenpflegerin gemacht. Bald hatte ich es nicht nur mit kranken Schwestern zu tun, sondern auch mit sterbenden. Ich habe bislang 40 Schwestern auf ihrem letzten Weg begleitet. Das Sterben gehört für mich zum Leben im Kloster dazu.

Frage: Was hilft beim Sterben?

Schwester Gabriela: Ich habe gemerkt, dass es einen Satz gibt, bei dem alle Schwestern friedlich einschlafen konnten. Es tut gut, wenn jemand sagt: "Nun ist es gut. Alles ist gut. Du kannst nun gehen." Das erleichtert das letzte Loslassen enorm. Den Tod habe ich nie als etwas Schreckliches, Unheimliches erfahren, sondern immer als etwas Schönes, sofern es nicht ein plötzlicher Tod war oder ein gewaltsamer Schicksalsschlag, der jemanden unvorbereitet trifft.

Bild: ©Burkhard Klein

"Gott schaut uns liebevoll und barmherzig an" – dieser Gedanke helfe vielen Menschen beim Sterben, sagt Schwester M. Gabriela Zmuda. Sie ist Augustiner-Chorfrau und lebt im Michaelskloster in Paderborn.

Frage: Es gibt Menschen, die haben große Angst vor dem Sterben …

Schwester Gabriela: Ja, das erlebe ich auch im Kloster. Eine Mitschwester hatte solche Angst, dass sie sich am Bett festgeklammert hat, als es so weit war. Sie bekam fast keine Luft mehr. Die Ärztin hat ihr dann ein Medikament zur Beruhigung gegeben, bis sie wieder in Ruhe atmen konnte. Das war ein Segen. Ich habe ihre Hand vorsichtig von der Bettkante genommen und sie ganz festgehalten. Das hat ihr gutgetan. Ich glaube sie hatte noch das Bild eines strafenden Gottes in sich, dem sie beim Tod als sündiger Mensch gegenübertritt. Aber Gott schaut uns liebevoll und barmherzig an. Es ist gut, wenn man das vor dem Tod noch miteinander besprechen kann. Manche sind noch bis zuletzt sprachfähig. Manchen hilft es auch, wenn Ihnen ein Priestern diesen Zuspruch Gottes schenkt. Nicht zuletzt hat auch das Sakrament der Krankensalbung eine wunderbare Wirkung.

Frage: Was kann man zu Hause tun, wenn man einen geliebten Menschen beim Sterben begleitet?

Schwester Gabriela: Wenn sich jemand auf seinen letzten Weg macht, signalisiert er das meistens schon vorher: Der Mensch will nichts mehr essen und nichts mehr trinken. Er geht von außen nach innen und wehrt alles ab. Das ist natürlich. Ich beziehe mich hier auf die letzte Sterbephase, das Finale. Die Abwehr von Essen und Trinken sollte man da unbedingt tolerieren, zumal auch der Schluckreflex eingeschränkt ist. Der Sinn der Nahrungsaufnahme hat sich erledigt. Der Sterbende spürt das. Hunger und Durstgefühl sind zurückgefahren. Jetzt ist es wichtig dem Sterbenden nichts aufzuzwingen, manche machen auch den Mund gar nicht mehr auf. Dieses Ohnmachtsgefühl muss ich akzeptieren. Was wohltuend sein kann, die Zunge zu befeuchten oder mit Eiswürfel zu kühlen oder mit Honig zu bestreichen. Mir ist bewusst, dass ich nicht die Führende bin, sondern nur die Begleitende beim Sterbenden. Bei Atemnot, Schmerzen und Unruhe kann heute die Medizin oder der Arzt gut Abhilfe schaffen.

Bild: ©katholisch.de/ Madeleine Spendier

Es sei ein besonderer Moment, wenn ein Sterbender das letzte Mal ausatme und dann eine Stille eintrete. "Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass diese Totenstille sehr tröstlich sein kann", sagt Schwester Gabriela.

Frage: Aber ist es nicht auch ein Konflikt für Sie, die Menschen zu heilen und möglichst lange am Leben zu halten und gleichzeitig den Sterbewunsch ernst zu nehmen?

Schwester Gabriela: Ich leiste keine Sterbehilfe, um Gottes willen. Der Konflikt löst sich auf, wenn ich die Wirklichkeit erkenne, dass es sich nicht um einen Kranken handelt, sondern vielmehr um einen sterbenden Menschen. Und der Sterbeprozess hat seine eigene Gesetzmäßigkeit. Auf natürliche Weise wird der Mensch in einen Sterbeprozess hineingeführt, den ich durch "Leben erhalten" unterstützen kann.

Frage: Was kann man noch tun, wenn man einen sterbenden Mensch begleitet?

Schwester Gabriela: Wichtig finde ich es auch, körperliche Berührungen zu schenken. Von Intensivpatienten weiß man, wie sehr sie das brauchen, um ihren eigenen Körper bewusst zu spüren. Ich habe da keine Berührungsängste. Es tut mir selbst auch gut, wenn ich die Schwester streichle, sie an die Hand nehme oder ihre Füße massiere. Ich lege auch gerne meine Hand auf ihre Brust, um mit ihr im gleichen Rhythmus zu atmen. Das hilft ihr dabei, loszulassen. Wer das nicht vermag, kann einfach nur still danebensitzen. Manche Sterbende genießen es auch, wenn jemand da ist und bleibt. Ein sterbender Mensch ist sehr feinsinnig. Er nimmt alles wahr und hört auch alles. Man kann zum Beispiel leise summen. Oder aus dem gemeinsamen Leben erzählen. Noch einmal seine Dankbarkeit für das gemeinsame Leben aussprechen. Natürlich ist das schwer, weil man ja auch traurig darüber ist, dass der andere geht. Gerade dann, wenn es ein geliebter Mensch ist. Das kann man auch ruhig ansprechen. Es geht aber vor allem darum, dem sterbenden Menschen zu helfen, sich dem Tod zu übergeben. Denn das Sterben ist ein passives Geschehen.

Frage: Das klingt nicht so angenehm …

Schwester Gabriela: Aber es ist etwas sehr Besonders, wenn der Sterbende das letzte Mal ausatmet und dann so eine Stille eintritt. Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass diese Totenstille sehr tröstlich sein kann. Das ist wie eine Geburt in ein neues Leben hinein, in ein Leben bei Gott. Ich würde auch nie jemanden daraus zurückholen wollen. Denn das ist ein Weg, den derjenige weitergehen muss. Manche sprechen auch schon lange vor ihrem Tod von dieser Sehnsucht nach dem Sterben. Sie sagen dann vielleicht: "Ich werde bald sterben." oder "Ich will sterben. Es ist genug gelebt. Es ist genug gekämpft." Dann wünscht man sich auch, dass derjenige hinübergehen darf in das Reich des Vaters und in den letzten Atemzügen sein ganzes Leben friedlich aushauchen kann.

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Video: © Alpha-Entertainment

Sterben muss jeder einmal – für die meisten Menschen ist der Tod ein bedrohliches und beängstigendes Thema. Doch hat der Tod auch etwas Positives an sich?

Frage: Wie stellen Sie sich dieses Reich des Vaters vor?

Schwester Gabriela: Da lasse ich mich überraschen. Aber ich sage den sterbenden Schwestern oft, wir sehen uns ja wieder bei Gott. Und das meine ich auch so: Bei Gott gibt es für alle Platz.

Frage: Wie kann man den Abschied vom Sterbenden gestalten?

Schwester Gabriela: Im Kloster lassen wir uns ganz viel Zeit fürs Abschiednehmen. Man kann einen Verstorbenen bis zu 36 Stunden nach seinem Tod zu Hause behalten. Wir kommen erstmal alle am Sterbebett zusammen, singen und beten gemeinsam und segnen die verstorbene Schwester mit Weihwasser. Jede zeichnet ein Kreuz auf ihre Stirn. Das ist ein wichtiges Ritual für uns. Die Verstorbene bleibt mitten unter uns. Und wir lassen sie in ihrem Zimmer, damit ihre Seele auch genügend Zeit hat sich zu verabschieden. Wir brauchen diese Zeit auch. Erst am nächsten Tag kommt der Bestattungsdienst mit dem Sarg. So kann die Tote noch mindestens einen Tag und eine Nacht bei uns bleiben. Das ist immer eine besondere Zeit für uns alle. Da gibt es keine Eile.

Frage: Wie kann ich mich selbst auf mein Sterben vorbereiten?

Schwester Gabriela: Jeder Mensch macht in seinem Leben bestimmte Entwicklungen durch. Immer wieder geht es dabei auch um das Loslassen. Man lässt die Kinder los, die Arbeitsstelle, geliebte Menschen. Das sind alles Abschiede, die uns dabei helfen, uns vom Leben zu lösen. Wir sollten den Tod nicht ausweichen, sondern immer mit in das Leben einbeziehen. Wir gehen jeden Tag auch ein Stück unserem eigenen Tod entgegen. Ich hatte erst kürzlich eine Operation am Knie. Meinen Rosenkranz hatte ich immer dabei und kurz vor der Narkose habe ich ein Stoßgebet zum Himmel geschickt: "Gott, ich vertraue dir. In deine Hände lege ich nun mein Leben. Ich habe mein Leben geschenkt bekommen, ich übergebe mich jetzt dir." Diese Worte haben mir in diesem Moment geholfen, mich dem hinzugeben, was jetzt kommt. Wie das dann bei meinem Sterben eines Tages sein wird, weiß ich nicht. Ich hoffe nur, ich kann dann dankbar am Ende mein Leben loslassen und mich ganz in Gottes Geborgenheit anheimgeben.

Von Madeleine Spendier