Landesbischof Meister: "Judensau" entfernen und "radikal vernichten"
Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister hat sich für die Entfernung und Zerstörung der "Judensau" an der Fassade der evangelischen Stadtkirche Wittenberg ausgesprochen. "Man sollte sie nicht nur entfernen, sondern radikal vernichten, zerstören und kaputt machen", sagte Meister am Sonntagabend in der Marktkirche in Hannover. Dies sei der richtige Umgang mit einer fehlgeleiteten, vernichtenden Ästhetik. Meister reagierte damit auf den Vorschlag des Antisemitismus-Beauftragten der Bundesregierung, Felix Klein, derartige Skulpturen ins Museum zu stellen. Beide diskutierten am Vorabend des Reformationstages bei der Veranstaltung "Was gesagt werden muss. Judentum und Reformation".
Der Wittenberger Gemeindekirchenrat hatte am vergangenen Dienstag nach jahrelangem Streit beschlossen, dass die judenfeindliche Schmähplastik aus dem Mittelalter an Martin Luthers Predigtkirche nicht entfernt werden, sondern als Mahnstätte und Lernort erhalten bleiben soll. "Als wenn wir sonst nicht genug Lernorte hätten", kommentierte Meister diese Entscheidung. Der leitende Theologe sagte, er habe seinerzeit die Bemühungen um eine Kontextualisierung der Wittenberger "Judensau" inklusive einer erklärenden, distanzierenden Texttafel für "sehr plausibel" gehalten. Inzwischen habe er seine Meinung aber geändert. "Ich habe mit vielen Jüdinnen und Juden gesprochen, die das Relief weiterhin unerträglich finden."
Klein: Gerichte sollten nicht darüber entscheiden
Felix Klein hatte sich zuvor in seinem Impulsvortrag skeptisch gegenüber einem "Bilderverbot" gezeigt. Zudem sollten nicht Gerichte über diese Frage entscheiden – wie im Falle von Wittenberg der Bundesgerichtshof. Dieser hatte im Juni geurteilt, dass die "Judensau" trotz des antijüdischen Inhalts an seinem historischen Ort verbleiben kann, da die Distanzierung der Gemeinde ausreichend sei. Gegen die Entscheidung des Bundesgerichtshofes legte ein jüdischer Kläger gegen einen Verbleib an der Fassade der Stadtkirche Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein, das darüber noch nicht entschieden hat.
Klein argumentierte nun, die sich distanzierende Wittenberger Tafel von 1988 setze zu viel Wissen voraus und sei heute nicht mehr allgemein verständlich. Er hoffe auf einen gesamtgesellschaftlichen Dialog, wie er in einem ähnlichen Fall in Regensburg gelungen sei. "Gebieten es nicht allein Moral und Anstand und Rücksicht auf die Empfindungen der Geschmähten, beleidigende und schmähende Darstellungen zu entfernen?", fragte der Beauftragte der Bundesregierung.
Unterdessen sprach sich der Antisemitismus-Beauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Christian Staffa, für vielfältige Lösungen im Umgang mit judenfeindlichen Darstellungen an Kirchenbauten aus. Es gebe "keine einheitliche Lösung für alle Orte und Kontexte", sagte Staffa in einem am Montag veröffentlichten Interview des Online-Magazins "Die Eule" (Bad Frankenhausen). Informationstafeln zu solchen Darstellungen seien aber in jedem Fall richtig. Staffa gehörte einem vom Wittenberger Gemeindekirchenrat einberufenen Expertengremium an, das empfohlen hatte, die Skulptur abzunehmen und in unmittelbarer Nähe auszustellen.
Die sogenannte "Judensau" ist in etwa vier Metern Höhe angebracht. Dargestellt ist eine als Rabbiner karikierte Figur, die den Schwanz eines Schweins anhebt und das im Judentum als unrein geltende Tier von hinten betrachtet. Zwei weitere als Juden gezeigte Figuren saugen an den Zitzen. Eine vierte Figur hält Ferkel von der Muttersau fern. Dazu gibt es bereits eine Bodenplatte und eine Stele mit Texten auf Deutsch und Englisch, die den antisemitischen Charakter erklären. Der Gemeindekirchenrat will das Informationsangebot weiterentwickeln. Ähnliche judenfeindliche Darstellungen sind europaweit an schätzungsweise 50 weiteren Kirchen vorhanden.
Staffa erklärte, er habe der Empfehlung des Expertenbeirats, die Plastik abzunehmen, zugestimmt. Vor allem plädiere er aber für eine Verhüllung der Skulptur, da sie "so obszön und gotteslästerlich ist". Zugleich wandte er sich dagegen, sie in einem Museum auszustellen, weil "die Verbindung zum Kirchlichen bleiben muss, sonst stehlen wir uns aus der Verantwortung". Der EKD-Beauftragte äußerte Verständnis, dass sich die Debatte über solche Darstellungen auf Wittenberg konzentriert, da die Lutherstadt das "Jerusalem des Protestantismus" sei.
LutherMuseen-Direktor: Geschichte nicht entsorgen
Der Direktor der LutherMuseen, Stefan Rhein, bekräftigte indes sein Votum für einen Verbleib des "Judensau"-Reliefs an der Wittenberger Stadtkirche. "Geschichte kann nicht entsorgt werden", sagte Rhein dem Magazin "Zeitzeichen" in einem Montag online veröffentlichten Interview: "Das Relief abzunehmen, macht nichts besser." Er habe immer dafür plädiert, das "Schandmal" an seinem Ort zu belassen, und bleibe dabei, fügte Rhein hinzu.
Die Wittenberger Gemeinde habe sich vor allen anderen in Deutschland mit der antijüdischen Schmähplastik beschäftigt und die damit verbundene Schuld sichtbar gemacht. "Es gab hier schon 1988 eine Ausstellung über jüdisches Leben und Antisemitismus in Wittenberg zur Zeit des Nationalsozialismus", sagte Rhein. Wer die Gemeinde, die sich dieser Schuld unter schwierigen politischen Vorzeichen gestellt habe, auf die Anklagebank setzen will, sollte diese Vorgeschichte nicht außer Acht lassen. Inwieweit das Ensemble erweitert oder neugestaltet werden könne, "steht auf einem anderen Blatt", erklärte Rhein: "Es bleibt eine offene Wunde in der Geschichte, die wir nicht verstecken können und mit der wir uns immer wieder auseinandersetzen müssen." (tmg/epd/KNA)
31.10., 12:55 Uhr: Ergänzt um Rhein.