Strafverfolger ermitteln in weiterem Fall gegen den Kardinal

Vertrauenskrise in Köln: Woelki juristisch und moralisch unter Druck

Veröffentlicht am 26.11.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ Seit Mittwoch läuft ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Köln gegen Kardinal Woelki – es ist bereits das zweite. Im Zentrum steht die Frage: Wusste der Erzbischof von Missbrauchshinweisen gegen zwei Priester?

  • Teilen:

Moralisch steht der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki seit mehr als zwei Jahren in der Kritik. Dass er Ende Oktober 2020 die zunächst versprochene Veröffentlichung eines ersten Missbrauchsgutachtens absagte, gilt vielen als Ausgangspunkt der Vertrauenskrise im Erzbistum Köln. Nun gerät der Erzbischof auch rechtlich immer stärker unter Druck. Am Mittwoch teilte die Staatsanwaltschaft Köln der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) mit, ein zweites Ermittlungsverfahren gegen den Kardinal aufgenommen zu haben.

Wie im ersten Verfahren geht es um den Verdacht, der Erzbischof habe in einem Rechtsstreit mit der "Bild" eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben. In der Sache sagte vergangene Woche die langjährige Sekretärin des früheren Kölner Kardinals Joachim Meisner vor dem Landgericht Köln aus. Sie berichtete von einem Telefonat, das sie um das Jahr 2010 mit Woelki geführt habe. Der damalige Weihbischof habe mit ihr über einen Priester sprechen wollen, mit dem sie befreundet war.

Dem Mann wird Missbrauch vorgeworfen. Jahre nach dem Telefongespräch beförderte ihn Woelki. Die "Bild" machte aus dem Vorgang im vergangenen Jahr eine Schlagzeile: Der Kardinal habe zum Zeitpunkt der Beförderung im Jahr 2017 belastende Inhalte aus der Personalakte des Geistlichen sowie eine Polizeiwarnung gekannt.

Das weist der Erzbischof zurück. An Eides statt versicherte er, die Personalakte damals nicht gekannt zu haben. Er habe zwar von einem sexuellen Kontakt des Mannes mit einem Prostituierten sowie von weiteren Gerüchten gehört. Fürsprecher des Pfarrers hätten ihm aber erklärt, dass sich keines der Gerüchte je bestätigt habe.

Blick über den Rhein auf den Kölner Dom
Bild: ©KNA/Adelaide Di Nunzio

Die Krise in der Erzdiözese Köln hat sich in den vergangenen zwei Jahren zugespitzt.

In dem Schriftstück, das KNA vorliegt, erklärt Woelki also offiziell, dass er zwar Gerüchte gegen einen mutmaßlichen Missbrauchstäter kannte, diesen aber dennoch beförderte. Statt selbst einen Blick in die Personalakte zu werfen, um den Anschuldigungen nachzugehen, informierte er sich lediglich bei kirchlichen Funktionsträgern, die sich hinter ihren Mitbruder stellten. Ein Beispiel für Klerikalismus und Männerbünde? Solche Phänomene haben Rechtsgutachter, Historiker und Soziologen in Aufarbeitungsuntersuchungen wiederholt kritisiert.

Zumindest moralisch hat es das Dokument also in sich. In dem presserechtlichen Verfahren gegen die "Bild" könnte Woelki allerdings Recht bekommen. Hier geht es um die Frage, ob der Kardinal – wie von der Zeitung behauptet – belastende Inhalte aus der Personalakte des Priesters kannte. Die Meisner-Sekretärin jedenfalls erklärte, dass sie weder die Akte noch die Polizeiwarnung gesehen und daher mit Woelki auch nicht darüber gesprochen habe.

Aber weitere Aussagen der Zeugin haben vermutlich nun die Staatsanwaltschaft auf den Plan gerufen. Die Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung ist eine Straftat – und hier könnte es für Woelki heikel werden. Die Frau berichtete nämlich zudem, sie sei extra auf Jugendfahrten mitgereist, um den Priester ermahnen zu können, "wenn er wieder anzüglich wurde bei den Jugendlichen". Das habe sie auch Woelki erzählt. Der Kardinal informierte sich also von sich aus bei einer Vertrauten des Geistlichen, die selbst erlebte Erfahrungen schilderte. Ob es sich hier nur um "Gerüchte" handelt, werden die Strafverfolger nun bewerten müssen.

Bild: ©Robert Boecker, Erzbistum Köln

In der Vergangenheit empfing Kardinal Rainer Maria Woelki oft das Kölner Dreigestirn. Damit ist wegen der Vertrauenskrise im Erzbistum zunächst Schluss.

Auch im zweiten Ermittlungsverfahren war ein Artikel der "Bild"-Zeitung der Stein des Anstoßes. Die Zeitung hatte berichtet, Woelki habe bewusst Hinweise gegen den früheren "Sternsinger"-Chef Winfried Pilz zurückgehalten, dem sexuelle Gewalt gegen junge Männer vorgeworfen wird. Der Kardinal wies diese Darstellung zurück und erklärte an Eides statt, er sei erst Ende Juni 2022 mit dem Fall Pilz befasst worden.

Dem widersprach die Assistentin des früheren Personalchefs im Erzbistum, Hildegard Dahm, in einem Interview des "Kölner Stadt-Anzeigers". Bereits 2015 habe sie für ein Arbeitstreffen ihres Chefs mit dem Erzbischof eine Liste mit beschuldigten Priestern erstellt – darunter Pilz. Woelki lässt sich davon nicht beirren: Die Erzdiözese bekräftigte die Darstellungen in beiden eidesstattlichen Versicherungen. Die Äußerungen der Kirchenmitarbeiterinnen widersprächen diesen nicht.

Unterdessen sagte der evangelische rheinische Präses Thorsten Latzel die traditionelle Adventvesper mit Woelki ab. Die "innerkatholische Auseinandersetzung" solle das Fest nicht überlagern. Auch zu einer der wichtigsten Veranstaltungen des Kölner Karneval – der Proklamation des Dreigestirns – wurde der Erzbischof nicht eingeladen. Wegen der von Woelki geförderten Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT) gibt es immer häufiger Kritik inner- und außerhalb der Kirche, mittlerweile auch vonseiten der Landesregierung.

Es wird einsam um Woelki. Immer wieder hat er Vorwürfe zurückgewiesen, Fehler im Umgang mit Missbrauchshinweisen gemacht zu haben. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft könnten diese Selbstdarstellung kippen.

Von Anita Hirschbeck (KNA)