Warum der christliche Glauben zur Bewahrung der Schöpfung verpflichtet

Welt retten: Muss (ich) das jetzt sein?

Veröffentlicht am 04.12.2022 um 12:00 Uhr – Lesedauer: 

Dresden ‐ Klima- und Umweltschutz sind nicht nur die zentralen Herausforderungen unserer Zeit, sondern für die Theologin Julia Enxing eine Frage des Glaubens. Sie ist überzeugt: Ernsthafte Nachfolge Christi geht nicht ohne Verantwortung für die Schöpfung.

  • Teilen:

Es ist elf Jahre her, dass Tim Bendzkos Song "Nur kurz die Welt retten" mir zum Ohrwurm wurde. Nicht nur die 148.713 Mails, die Tim Bendzko checken muss, bevor er weitergehen, weiterreden, weiterreisen kann, kommen mir bekannt vor. Auch die Katastrophe, die Bendzko sieht, wenn er singt: "Die Zeit läuft mir davon / Zu warten wäre eine Schande für die ganze Weltbevölkerung / Ich muss jetzt los, sonst gibt's die große Katastrophe / Merkst du nicht, dass wir in Not sind?" benennen Fachleute aus der Klimaforschung, der Soziologie, Ethologie, Biologie – ja, immer mehr und öfter auch aus der Theologie.

Vor wenigen Wochen sorgte der "Appell an die Verantwortungsträger*innen und Theolog*innen in der katholischen Kirche in Deutschland" angesichts der Aktionen gegen die Klimakatastrophe, initiiert von der katholischen Theologin Ute Leimgruber und den Theologen Jörg Alt SJ und Jürgen Manemann für Aufsehen in der katholisch-theologischen Landschaft. Auch ich gehöre zu den knapp 900 Erstunterzeichnenden, die sich dem Aufruf angeschlossen haben, angesichts der planetaren Katastrophe, friedliche Aktionen zivilen Ungehorsams solidarisch zu unterstützen. Nicht, um aufzufallen, sondern um einer Katastrophe die Aufmerksamkeit zu schenken, die sie verdient, um ernst genommen zu werden.

Wieso retten?

Diese Welt, so die Überzeugung des christlichen Glaubens, ist kein zufälliges Durchgangsstadium, das sich ohnehin von selbst erledigt, dieser Planet ist Gottes Schöpfung, genauer: Teil der göttlichen Schöpfung. Der Gott der Christ:innen ist kein weltabgewandter Tyrann, sondern fleischgewordene Liebe (Joh 1,14).

Wenn wir das Durchwobensein allen Lebens mit dem Lebensatem Gottes ernst nehmen und davon ausgehen, dass "alles, was atmet", des Lobes Gottes imstande ist, dann müssen wir umgekehrt davon ausgehen, dass es für Gott einen Unterschied macht, ob Gottes Geschöpfe Teil eines vitalen und co-kreatürlichen Lebensprozesses sind, oder ob sie ausgerottet werden, krepieren, ermordet werden, verbrennen, ertrinken, verhungern oder verdursten. In der päpstlichen Enzyklika Laudato sí heißt es, dass jedes Geschöpf "den Hymnus der Existenz Gottes singt" (LS 85). Mehr "Gott in der Schöpfung" geht nicht. Mehr Immanenz der Transzendenz kann nicht gedacht und auch nicht formuliert werden.

Theologin Charlotte Cremer bei einer Klimademonstration
Bild: ©KNA/Privat

Theologin Charlotte Cremer bei einer Klimademonstration am 24. September 2021 vor dem Reichstagsgebäude in Berlin. Sie hält ein Schild mit einem Auszug aus "Laudato Si".

Wann, wenn nicht jetzt? Wer, wenn nicht wir?

Dass die Welt, ich übersetze "Welt" hier der Einfachheit halber mit "unser Planet Erde", der Rettung bedarf, ist nichts Neues. Schon im Brief des Apostels Paulus an die Römer heißt es, dass die ganze Schöpfung seufzt und ihrer Erlösung harrt (8,22-25). Die gesamte Schöpfung, nicht bloß die Menschen. Alles muss neu werden, um des Himmelsreiches Willen. Da das Reich Gottes jedoch keine bloße Fiktion, sondern bereits angebrochen und mitten unter uns ist, müssen wir uns die Frage stellen: Worauf warten wir (noch)? Dies hier, das Hier und Jetzt, ist bereits Reich Gottes … noch nicht vollkommen, aber begonnen. Das Reich Gottes als eine planetarische Hausgemeinschaft, darf den voranschreitenden Ökozid nicht länger dulden. Gunda Werner hat treffend darauf hingewiesen, dass angesichts des Artensterbens keinesfalls von einem zufälligen und ohnehin so stattfindenden "Schwund" gesprochen werden kann, sondern von dem Tod von Individuen, der – nicht in allen, aber in vielen Fällen – hätte verhindert werden können. Das Artensterben, so Werner, ist streng genommen ein Morden.

Wie bei jedem Verbrechen, ist es nicht so einfach, Täterinnen, Täter und Opfer genau zu bestimmen. Für uns, so wir das privilegierte Leben in den reichen Industrienationen genießen, ist es jedoch so, dass wir den Preis für diesen Komfort selten selbst zahlen. Wir sind auch nicht dazu bereit. Deutschland ist Exportmeister: Wir exportieren unseren Müll, unsere Schwermetalle, unser Plastik, unseren Elektroschrott, die nicht so schmackhaften Teile des Hähnchens ebenso wie die krumm gewachsenen Karotten. Was mittlerweile nicht mehr so gut funktioniert, ist der Export unseres schlechten Gewissens und unseres Verantwortungsbewusstseins. Dank Aktivisten und Aktivistinnen, meist junge Menschen, die ihre Stimme gegen Klimakrise, Artensterben, Emissionshandel, und Ausbeutung von Mensch, Tier und Böden erheben, werden wir wach, wachen wir auf, wachen wir, halten wir Wache: Mahnwache. Christlich motivierte Aktivisten und Aktivistinnen wie jene von Churches for Future machen zudem deutlich: Christlich-Sein geht nicht ohne ein Sich-Berühren- und Wachrütteln-Lassen von den Ungerechtigkeiten dieser Welt. Es gibt kein unpolitisches Christentum. Dies kann es auch nicht geben, denn das jüdisch-christliche Glaubensgut ist gespeist von Warnrufen der Prophetinnen und Propheten, von einem Anprangern ungerechter Verhältnisse, vom Hinterfragen des Status-Quo und dem Mantra einer Metanoia: einer Umkehr, weg vom Tod, hin zum Leben.

Bild: ©picture alliance/AP Photo/Gregorio Borgia

Der Schöpfer als ein Gott des Lebens – dieser Glaubenssatz ruft nach Konsequenzen, ist die Theologin Julia Enxing überzeugt.

An der Seite der Leidenden wurde Christus selbst zum Leidenden, an seinem Körper, an seinem Fleisch hat der Sohn Gottes den Anbruch des Lebens verkündet. Ein postsouveräner Gott, dessen Stärke bei den Schwachen ist, nicht vertröstet, sondern ermutigt, Hoffnung bringt, und Lust. Lust aufs Leben. Und uns – in seiner Spur gehend – genau hierzu aufruft: Zeuginnen und Zeugen einer frohen, vitalen Botschaft zu sein. Hoffnungstragende und Hoffnungsbringende.

Welche Welt eigentlich?

Es ist längst klar, diese Welt, diesen Planeten, so wie er heute ist, werden wir nicht retten können, wenn retten bedeutet, den Status Quo beizubehalten. Aber es gibt sehr viel, das wir tun können, jede und jeder einzelne von uns und wir in Gemeinschaft. Retten bedeutet für mich auch Erlösung, nicht später, nicht einst, nicht irgendwann, sondern im Hier und Jetzt. Es geht darum, einen Beitrag dazu zu leisten, dass Unrecht geschmälert wird. Das kann zum Beispiel heißen, die eigene Rolle als Superkonsumentin und Superemittentin wie einen Stachel im Fleisch täglich neu zu bedenken. Mein Konsumverhalten so zu verändern, dass ich möglichst viele Produkte kaufe, deren Handelsketten transparent sind, für die andere nicht ausgebeutet werden. Produkte zu erstehen, die den sie Produzierenden zumutbare Arbeitszeiten, Schutzkleidung, Gewerkschaftsfreiheit, Sozialversicherung etc. sicherstellen. Oftmals heißt das aber auch: nicht mehr zu kaufen, sondern weniger. Nicht mehr zu geben (zum Beispiel in Form von Spenden), sondern weniger zu nehmen. Dies kann auch heißen: NGOs und Organisationen, die sich beispielsweise für die Achtung von Menschen-, Tier und/oder Pflanzenrechten einsetzen, durch eigenes ehrenamtliches Engagement zu unterstützen. Ja, es gibt kein richtiges Leben im Falschen: Wir töten und beuten aus, leben auf Kosten anderer, weil wir leben oder auch weil wir so leben, wie wir leben, in einem der reichsten Länder, weil wir auf unsere breiten Straßen und unsere gute Infrastruktur angewiesen sind, um unser Leben so fortsetzen zu können. Und dennoch behaupte ich, dass wir etwas ändern können. Es ist nicht zu spät. Wir sind nicht ferngesteuert, sondern entscheiden uns je neu.

Und warum ich?

Es geht nicht darum, unser eigenes Leben zu negieren – im Gegenteil, wir sollten es wertschätzen und feiern. Wir sind Geschöpfe und Ebenbilder Gottes. Die Würde des Menschen resultiert aus theologischer Sicht (auch) aus dem Glauben, als Ebenbild Gottes geschaffen zu sein. Dies bedeutet aber auch, als gestaltendes und nicht vernichtendes, als erhaltendes und nicht ausbeuterisches Individuum durchs Leben zu gehen. Es geht darum, zu verstehen, dass unser Recht auf Leben nicht unabhängig von dem Recht anderer auf Leben gedacht werden kann. Auch andere möchten gut leben, haben ein Recht auf ein gutes Leben, auf soziale und ökologische Gerechtigkeit. Und: Das Recht auf ein gutes Leben, das wir – völlig unverdient für uns geltend machen – gilt nicht nur für Menschen. Jedes Lebewesen, jedes Geschöpf ist als lebendiges Wesen Ausdruck der Liebe Gottes und zum Leben (nicht zum Tod!) bestimmt. Wir haben schlichtweg kein Recht dazu, anderes Leben eigenmächtig und vorzeitig zu beenden. Menschliches Leben nicht und tierliches auch nicht. Erst recht nicht aus dem einzigen hierzulande anzuführenden Grund: weil es lecker sein mag.

Das Leben unzähliger Individuen dieses Planeten müsste nicht gerettet werden, wäre es nicht derart gefährdet. Natürlich ist es fraglich, ob die Gefährdenden zugleich die Rettenden sein können, aber es liegt an uns, uns zu entscheiden auf welcher Seite wir stehen möchten.

Von Julia Enxing

Die Autorin

Julia Enxing ist Professorin für Systematische Theologie am Institut für Katholische Theologie an der Technischen Universität Dresden. Ein breitem Publikum ist sie als Sprecherin im Wort zum Sonntag bekannt.

Literaturhinweis

Klimakrise und Umweltschutz aus theologischer Perspektive – dazu forscht die Dresdner Professorin. Ihre neue Veröffentlichung "Und Gott sah, dass es schlecht war" erschien im November 2022 im Kösel-Verlag.

Adventsspot #weltretten: Jeden Tag – so gut du kannst

Ukraine-Krieg, Inflation, Klimawandel: Die Welt steht durch zahlreiche Krisen vor großen Herausforderungen. Mit unserem Adventsspot #weltretten wollen wir darauf aufmerksam machen – und zeigen, dass jeder seinen kleinen Teil zur Weltrettung beitragen kann. Eine Kooperation der Bistümer, Hilfswerke, Verbände und Orden mit katholisch.de.