Mit Adam und Eva in das Weihnachtsfest starten?
"Hallo, Herr Adam!" So hörte ich letztens die Stimme eines Bekannten auf der Straße. Er kam näher. "Hallo, Herr Adam!", sagte er nochmal, und ich dachte schon, ich hätte mich verhört oder er meinen Namen vergessen. "Adam heißt doch Erdmann", sagte er da. Und ich war verblüfft, denn noch niemals im Leben hatte ich daran gedacht. Tatsächlich, "Mensch, von der Erde genommen"... So hört man plötzlich seinen Namen neu und fängt an, von Anfang an darüber nachzudenken.
Adam und Eva stehen am 24. Dezember auf meinem 'liturgischen Abreißkalender'. Es ist natürlich kein Zufall, wenn man es tiefer überlegt, dass unsere biblischen Stammeltern an Christi Geburt ihren Namenstag haben. Aber liturgisch wird ihrer doch nicht gedacht. Jedenfalls gibt es keine Messe und kein Stundengebet zu Ehren von Adam und Eva. Eigentlich merkwürdig. Im Exsultet der Osternacht wird allerdings die "wahrhaft heilbringende Sünde des Adam" erwähnt. Und ostkirchliche Ikonen zeigen, wie Jesus bei seiner Auferstehung Adam und Eva aus der Unterwelt ans Licht zieht.
Liturgisch nur drei Geburtstage
Doch darum soll es heute nicht gehen. Wir wollen ja an einen Geburtstag denken. Die Kirche ist mit Geburtstagen sehr zurückhaltend. Neben Jesus gedenkt sie nur der Geburten Mariens und Johannes des Täufers. Dafür gibt es Gründe. Bei Maria geht Gott ganz zurück an den Anfang der Menschheit, er setzt ausnahmsweise alles nochmal auf null, so dass wir sogar ihre Empfängnis ohne Erbsünde feiern. Ein Vertrauensvorschuss Gottes. Wir könnten spekulieren, dass Gott auch die Freude spüren wollte, eine Mutter zu haben, und er darum umso vertrauensvoller und – sollten wir sagen: hoffnungsvoller? – diesen freien Schöpferakt gesetzt hat. Johannes, der schon im Mutterleib hüpfte, als er dem ebenfalls noch ungeborenen Jesus begegnete, zeigt uns zweierlei: Person ist der Mensch schon im unbewussten Stadium im Mutterleib. Und zudem: Berufung und Erwählung sind individuell und haben nichts mit Positionen im Leben zu tun. Denn Jesus wird später sagen, unter den von einer Frau Geborenen sei niemand größer als Johannes der Täufer, aber im Himmelreich sei der Kleinste größer als er (Mt 11,11). Was ja auch folgerichtig ist, denn Johannes sagte über Jesus: Er muss wachsen, ich aber kleiner werden (Joh 3,30).
Was den ersten Menschen fehlte
Zurück zu Adam und Eva. Was unterscheidet eigentlich den Beginn ihres Lebens von unser aller Leben und auch von Jesu Geburt? Richtig! Sie sind nicht geboren worden, sondern wurden von der Erde genommen. Hier müssen wir im geistigen Bild der Bibel bleiben, um den Sinngehalt zu verstehen. Gleich als Erwachsene mussten sie sich in der Situation als Geschöpfe Gottes mit Bewusstsein und Freiheit zurechtfinden. Man hat nicht den Eindruck, wenn man in der Genesis nachliest, dass sie jemals so richtig glücklich und geborgen waren.
Sie hatten keine Mutter, deren Wärme sie hätten spüren können. Urvertrauen, ein Kapital für das ganze Leben, wird im ersten Lebensjahr aufgebaut, wenn alles gut geht. Und wenn nicht, dann fehlt etwas für die gesamte Zukunft des betreffenden Menschen, wie eine Hypothek. Könnte es sein, dass gerade das Urvertrauen wichtig war als Start unserer Erlösung? Hat Gott mit seiner Menschwerdung am Menschen etwas nachgeholt, ergänzt, was verhängnisvollerweise am Anfang gefehlt hat? Er kam als Säugling auf die Welt, eben nicht als Gott in einer imposanten, opernhaften Inszenierung vom Himmel her. Dieser Mensch Jesus, der zweite oder neue Adam, konnte Urvertrauen von Anfang an bei fürsorglichen Eltern lernen und daraus leben.
Weihnachten existenziell erleben
Spekulative Gedanken, das gebe ich zu. Doch für mich wird daraus klar, was Jesus gemeint hat mit seinen Worten: Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, könnt ihr nicht in das Himmelreich gelangen (Mt 18,2). Kindlich, nicht kindisch. Was aus der Welt wird durch Menschen, die ihre kindliche, vertrauensvolle, arglose Haltung abgelegt haben, das sehen wir jeden Tag, in unmittelbarer Nähe und in der Ferne: alle Formen von Neid, Leid und Traurigkeit. Die Evangelien berichten uns keine Situation, in denen Jesus sich an seine Kindheit erinnert. Umso bemerkenswerter ist es, dass er seine Ethik am Bild eines Kindes entwickelt, und zwar nicht nur als Gleichnis, sondern mit einem echten Kind, das er in die Mitte stellt.
Das ursprüngliche, arglose Vertrauen, wie Gott es sich schon bei Adam und Eva gewünscht hatte, ist nach Jesu Worten Voraussetzung für das Heil. Der Blick auf das Kind an Weihnachten ist damit tief existenziell, nicht nur eine süße Verzierung. Deswegen: Denken wir doch an Weihnachten an dieses Beispiel Jesu, das er aus seinem Urvertrauen geschöpft haben mag. Fragen wir uns, was an unserem Leben unkindlich geworden ist und wo wir daran mitwirken, unheilvollen "Ernst des Lebens" – unsere Frustrationen, Aversionen und Bitterkeiten – weiterzugeben. Halten wir dann inne, stoppen wir diese Gedanken und Gewohnheiten, und beten wir ganz einfach und kindlich diesen Psalm:
Herr, mein Herz ist nicht stolz,
nicht hochmütig blicken meine Augen.
Ich gehe nicht um mit Dingen,
die mir zu wunderbar und zu hoch sind.
Ich ließ meine Seele ruhig werden und still;
wie ein kleines Kind bei der Mutter
ist meine Seele still in mir. (Psalm 131)
Der Autor
Martin Erdmann, 1970 in Lippstadt geboren, lebte 1989/90 als Novize in der Abtei Gerleve und studierte anschließend Literatur- und Kunstwissenschaften in Göttingen. 2000 bis 2022 arbeitete er als Produktmanager und Katalogredakteur. Inzwischen bietet er als selbständiger Persönlichkeits- und Unternehmensberater seine Expertise an. Er lebt und arbeitet in Berlin.