Bericht: "Arche"-Gründer Vanier hatte sexuelle Beziehung zu 25 Frauen
Skandale um Jean Vanier: Das Ausmaß der sexuellen Beziehungen des Gründers der christlichen Arche-Gemeinschaften für Menschen mit und ohne geistige Behinderung soll noch viel größer sein als bislang angenommen. Von 1952 bis zu seinem Tod 2019 sollen mindestens 25 Frauen ohne Behinderung eine Situation erlebt haben, die eine sexuelle Handlung oder intime Geste des Kanadiers Vanier beinhaltete, heißt es in einem am Montag in Paris vorgestellten Bericht einer Studienkommission.
Eine erste interne Untersuchung, die 2020 nach Vaniers Tod veröffentlicht wurde, hatte noch von sechs Fällen gesprochen. Menschen mit geistiger Behinderung waren laut der Untersuchung nicht von Missbrauchstaten betroffen. Dem nun veröffentlichten Bericht zufolge stellten sich einige der Frauen als Opfer einer missbräuchlichen Beziehung dar, andere als "willige Partnerinnen in einer regelwidrigen Beziehung".
Vanier, der kein Priester war, und sein 1993 gestorbener geistlicher Mentor, der Ordenspriester Thomas Philippe, hatten demnach eine sektenartige Gruppe gebildet, die einer von Philippe vertretenen erotisch-mystischen Theologie folgte. Die Gruppe habe sich 1963 in Trosly bei Paris zusammengefunden, wo Vanier im Folgejahr die erste Arche gründete. Die Kommission habe zudem zwei weitere Personen aus dem Kreis um Philippe identifiziert, denen ebenfalls Missbrauchstaten vorgeworfen würden.
"Arche"-Leitung nimmt Stellung
Hingegen belege die Studie ferner, dass die vielen Personen, die sich nach 1964 der Arche anschlossen und zu ihrer schnellen weltweiten Verbreitung beitrugen hatten, keine Kenntnis von dem sektenähnlichen Kreis um Philippe und Vanier gehabt hätten, wie es hieß. Die Leiter der Internationalen Arche, Stephan Posner und Stacy Cates-Carney, verurteilten die Taten der Gründer erneut und baten die Opfer um Verzeihung. Die Arche habe als Reaktion auf die Fälle einen für alle Arche-Gemeinschaften weltweit geltenden Referenzrahmen eingeführt, wie mit Missbrauch jeglicher Art umzugehen ist und wie Arche-Mitglieder dagegen geschützt werden können.
Ebenso sei eine zentrale Meldestelle eingerichtet worden, die mit der Untersuchung der ihr vorgelegten Fälle beauftragt ist. Zudem trete die Arche der "Kommission für Anerkennung und Wiedergutmachung" bei, die in Frankreich von der katholischen Kirche eingerichtet wurde und befugt ist, Anträge auf Wiedergutmachung für Missbrauch durch Kleriker oder Laien entgegenzunehmen.
Der charismatische Katholik Vanier wurde 1928 in Genf geboren. 1964 gründete der Philosophie-Dozent und vormalige Marineoffizier in einem Dorf nördlich von Paris die erste von heute mehr als 150 Arche-Gemeinschaften, in der Menschen mit und ohne geistige Behinderung zusammenleben. 2015 erhielt Vanier den Templeton-Preis für Verdienste um die Menschlichkeit und Ende 2016 eine Ehrung der Französischen Ehrenlegion. (KNA)