Gleichgültigkeit oder Gefühl, die Kirche sei irrelevant, würden wachsen

Soziologin: Kirchenaustritte nicht primär wegen katholischer Skandale

Veröffentlicht am 07.02.2023 um 11:39 Uhr – Lesedauer: 

Hannover ‐ Nach Skandalen in der katholischen Kirche steigen die Austrittszahlen – auch auf protestantischer Seite. Die Soziologin Petra-Angela Ahrens sieht zwar einen Zusammenhang, aber die Skandale seien nicht die wahren Ursachen für den Mitgliederschwund.

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Die Soziologin Petra-Angela Ahrens vom Sozialwissenschaftlichen Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sieht Skandale in der katholischen Kirche nicht als wesentlichen Grund für die erhöhte Austrittsrate unter Protestanten. Die aktuell besonders hohen Austrittszahlen in der Region Köln seien unter anderem "Mitnahmeeffekte", erläuterte Ahrens dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Viele haben sich schon seit längerem für einen Austritt entschieden. Sie warten im Prinzip nur noch auf eine passende Gelegenheit."

Die Entscheidung zum Austritt reife oft langsam heran, sie brauche Zeit, sagte Ahrens. Skandale seien dann lediglich die Rechtfertigung für etwas, dessen Ursache ganz woanders liege. Gleichgültigkeit gegenüber der Kirche oder das Gefühl, die Kirche sei irrelevant, seien meist die eigentlichen Gründe für Kirchenaustritte. "Und das ist aus Sicht der Kirchen das Schlimmste überhaupt", sagte Ahrens. Selbst mit einem eingefleischten Atheisten habe man wenigstens noch eine Diskussionsgrundlage, aber nicht mit Menschen, denen die Kirche egal sei.

Die Beschleunigung der Austrittsbewegung könne auf eine Sogwirkung zurückzuführen sein, sagte Ahrens. Wissenschaftlich abgesichert sei dies aber noch nicht. Mittlerweile sei nur noch weniger als die Hälfte der Menschen in Deutschland Mitglied in einer der großen christlichen Kirchen, und die Konfessionslosen könnten eine solche Sogwirkung erzeugen, beschrieb Ahrens.

Freiburger Studie inzwischen überholt

Die sogenannte Freiburger Studie ist Ahrens' Worten zufolge überholt. Diese Studie hatte ein Szenario gezeichnet, demzufolge die beiden großen christlichen Kirchen bis 2060 rund die Hälfte ihrer Mitglieder verlieren könnten. Dieses Szenario erscheine im Licht der aktuellen Austrittszahlen überholt. "Um das zu schaffen, müssten wir dauerhaft unter eine Austrittsquote von einem Prozent kommen", rechnete Ahrens vor. Im Jahr 2021 hätten allerdings knapp 1,4 Prozent der Protestanten ihrer Kirche den Rücken gekehrt.

Gerade im Kölner Raum gab es zuletzt einen hohen Anstieg der Austrittszahlen auch bei den Protestanten. Kirchenvertreter vermuteten einen Zusammenhang mit der Vertrauenskrise im Erzbistum Köln. "Da wird die evangelische Kirche in Mithaftung genommen", hatte Mitte Dezember der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR), Thorsten Latzel, gesagt. Auch der Württemberger Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl sprach Ende Dezember von "Mithaftung" und sagte: "Das hat eindeutig mit den Zuständen im dortigen Erzbistum zu tun." (tmg/epd)