Andrii Vytivskyi über die Situation von Menschen aus der Ukraine

Seelsorger für Ukrainer: "Die Beichte ist wie eine Therapie"

Veröffentlicht am 25.02.2023 um 12:00 Uhr – Lesedauer: 

Münster ‐ Andrii Vytivskyi ist Pfarrer und Seelsorger für Ukrainer im Bistum Münster. Er lebt seit einigen Jahren in Deutschland, anders als seine Eltern, die nach wie vor mitten im Krieg in der Ukraine sind. Als Seelsorger kennt Vytivskyi die Sorgen der Menschen, die aus der Ukraine flüchten.

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Pfarrer Andrii Vytivskyi lebt seit 2018 in Deutschland. Er ist 28 Jahre alt, verheiratet und Priester der griechisch-ukrainischen Kirche. Seit Oktober 2022 ist er nun Seelsorger für die Ukrainer im Bistum Münster. Insgesamt drei Seelsorger kümmern sich im Bistum um Menschen, die vor dem Krieg geflohen sind, der nun schon ein Jahr andauert. Im Interview mit katholisch.de spricht der Seelsorger darüber, was den Menschen Kraft gibt und welche Rolle dabei die Beichte spielt. 

Frage: Herr Vytivskyi, Sie sind Seelsorger für Menschen aus der Ukraine im Bistum Münster. Was genau bieten Sie dort an?

Vytivskyi: Wir sind drei Seelsorger hier in Bistum Münster für die Ukrainer, aber ich bin der Einzige mit einer vollen Stelle. Es werden immer mehr Menschen, um die wir uns kümmern. Die meisten, die wir begleiten, sind wegen des russischen Krieges aus der Ukraine geflüchtet. Wir treffen uns jeden Sonntag im Kapuzinerkloster hier. Es kommen bis zu 100 Leute zu unseren Gottesdiensten. Darüber hinaus besuche ich auch die umliegenden Städte und Dörfer, um mit den Menschen zusammen zu beten und ihnen seelsorgliche Unterstützung anzubieten. Wir bieten geistliche Gespräche an, Katechesen und auch psychologische Beratung. Manche der Geflüchteten – auch die Kinder – sind schwer traumatisiert. Wir treffen uns daher meistens sonntags nach der Liturgie, samstags mit den Kindern und manchmal auch während der Woche nach den Liturgien. Dann haben wir Zeit, um lange und viel über den Krieg zu sprechen. Manchmal ist die Stimmung richtig bedrückt, vor allem nach den aktuellen Bombardierungen. Wir teilen die schweren Gedanken miteinander. Das ist manchmal schwierig, aber wir lachen auch und erleben schöne Momente zusammen. Das Leben muss weiter gehen.

Frage: Der Krieg dauert nun bereits ein Jahr. Bemerken Sie Unterschiede bei den Menschen – und auch bei sich – im Vergleich zu letztem Jahr?

Vytivskyi: Viele Menschen sind gelassener im Umgang mit dem Krieg. Sie haben sich daran gewöhnt. Es ist schrecklich, aber wir haben uns an den Krieg und die Bilder der Zerstörungen und der Gewalt in gewissem Masse gewöhnt.

Frage: Was hören Sie aktuell über den Krieg in der Ukraine von Bekannten oder den Menschen, die nach Deutschland kommen?

Vytivskyi: Am schlimmsten ist es gerade in Bakhmut. Man sagt, das ist momentan der "heißeste Ort der Welt". Dort kämpfen seit einigen Monaten Soldaten gegen Soldaten. Eine Frau aus der Gemeinde hat erzählt, dass in dem Ort viele Tote auf der Straße liegen. Niemand kann sie beerdigen. Es ist furchtbar. Die Menschen dort leben in großer Angst und kämpfen jeden Tag ums Überleben. Ich schaue mir jeden Tag die Nachrichten aus der Ukraine an. Es gibt viele Kanäle, über die man fast live die Kampfhandlungen beobachten kann. Die Soldaten tragen manchmal Kameras und zeigen damit in Echtzeit, wie und wo gekämpft wird. Es ist schrecklich. Denn es ist kein Spiel, es ist echt.

Bild: ©Andrii Vytivskyi

Andrii Vytivskyi bei seiner Priesterweihe im Oktober 2022 in der griechisch-katholischen Kirche in München. Er legt die Hand auf das Evangelium und spricht dabei unter anderem das Glaubensbekenntnis.

Frage: Was verstehen Sie konkret unter psychologischer Betreuung für Geflüchtete?

Vytivskyi: In erster Linie kommen die Leute zur Beichte zu uns. Das Bußsakrament ist für viele Menschen, die aus der Ukraine kommen, sehr wichtig und gehört zu ihrem Glaubensleben dazu. Nach der Beichte ist es üblich, dass die Menschen die Kommunion empfangen. Für manche ist es wie eine Therapie.

Frage: Aber reicht die Beichte für die Verarbeitung von Kriegstraumata aus?

Vytivskyi: Wenn wir merken, dass manche Betroffene mehr Hilfe brauchen, verweisen wir sie an psychologische Beratungsstellen, die weiterhelfen können. Wir haben auch seit Kurzem eine Psychologin aus der Ukraine, die sich bereit erklärt hat, eine Gruppe mit Kindern zu betreuen. Manchen Kindern, aber auch Erwachsenen fällt es sehr schwer, über das, was sie gesehen oder erlebt haben, zu sprechen.

Frage: Was genau sagen Sie den Leuten im Beichtstuhl, wenn sie über den Krieg klagen?

Vytivskyi: Wenn die Leute zu mir in die Beichte kommen, lasse ich sie erstmals erzählen. Manche weinen. Ich höre zu. Es ist schwer für mich, zu sehen, wie manche leiden. Es gibt keine Antwort auf die Frage, warum Gott das zulässt. Gott ist nicht für den Krieg verantwortlich. Das macht der Mensch selbst. Das ist das Schlimme daran. Es sind Menschen, die Frauen vergewaltigen, Menschen, die Menschen töten, Menschen, die das Zuhause anderer zerstören. Es sind Menschen, die ihre von Gott geschenkte Freiheit missbrauchen. Der Krieg ist ein "malum morale", ein moralisches Übel.

Bild: ©Andrii Vytivski

Andrii Vytivskiy (28) bei seiner Priesterweihe in der griechisch-katholischen Gemeinde in München gemeinsam mit seinem Vater und seinen beiden Brüdern. Sein Vater ist Priester. Seine beiden Brüder streben es auch an.

Frage: Gibt es auch etwas, das Ihnen Hoffnung macht – trotz des Krieges?

Vytivskyi: Mich tröstet, dass die Menschen dort in der Ukraine versuchen, weiterzuleben und nicht nur an den Krieg denken. Sie sehen vieles wie aus der Distanz heraus. Das ist ein Schutzmechanismus der Seele und eine Überlebensstrategie. Wenn ich mit meinen Eltern telefoniere, reden wir über alles Mögliche, aber kaum über den Krieg. Sie wollen weiterleben. Daher bete ich jeden Tag für den Sieg und dass die Ukraine durchhält und gewinnt.

Frage: Darf man – gerade als Priester – für den Sieg in der Ukraine beten?

Vytivskyi: Ich weiß, Gott lässt sich nicht manipulieren. Ich hoffe aber, dass Gott uns bald den Frieden schenkt. Ich finde, Frieden muss auch fair sein. Es gibt seit Jahren Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine. Was kam dabei heraus? Ein vollständiger Krieg. Russland hat die Ukraine angegriffen. Die Leute in der Ukraine wollen nicht aufgeben, wir dürfen nicht aufgeben. Der Frieden muss geschützt werden, und zwar leider dadurch, dass der Frieden beziehungsweise das Gute auch Waffen haben muss.

Frage: Sie stammen aus einer Priesterfamilie: Ihr Vater ist Priester, Ihre Brüder sind im Priesterseminar. Wie geht es Ihren Eltern zurzeit?

Vytivskyi: Meinen Eltern geht es gut. Ich telefoniere regelmäßig mit ihnen. Sie leben in der Westukraine, in der Nähe von Lviv. Es ist Winter und ziemlich kalt dort. Sie haben tageweise keinen Strom und auch keine Heizung. Das ist schlimm. Mein Vater ist schon über 60 Jahre alt und könnte die Ukraine jederzeit verlassen. Er macht es aber nicht, weil er für die Menschen da sein will.

Frage: Wie erleben Priester in der Ukraine den Krieg? Was ist die Aufgabe Ihres Vaters dort konkret?

Vytivskyi: Mein Vater feiert mit den Menschen Gottesdienste, bietet Seelsorge an und organisiert je nach Bedarf die Suppenküchen, warme Kleidung und die Unterbringung von Binnenflüchtlingen. Er hilft, wo er kann.

Frage: Was wünschen Sie sich?

Vytivskyi: Wir Ukrainer wünschen uns den Frieden. Wir wollen kein militärisches Land sein, das kämpft. Wir wollen auch lieber im Garten arbeiten und unsere Kinder aufwachsen sehen. Wir wollen nicht kämpfen, wir wollen nicht sterben. Ich bin jeden Tag mit der Ukraine verbunden, meine Familie lebt dort, meine Verwandten, meine Freunde. Ich will sie wieder sehen, im Frieden und in Sicherheit. Ich bete dafür, dass das sehr schnell möglich sein wird. Ich will endlich wieder die Ukraine besuchen. Und für die Menschen, die aus der Ukraine geflohen sind, wünsche ich mir, dass sie die Seelsorge und Begleitung bekommen, die sie dringend brauchen.

Von Madeleine Spendier