"Anne Will" offenbart aufs Neue das unlösbare Dilemma in Afghanistan

Hoffnungslos am Hindukusch

Veröffentlicht am 18.10.2012 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Bundeswehrsoldaten in Afghanistan.
Bild: © KNA
TV-Kritik

Bonn ‐ Natürlich können Soldaten einen solchen Krieg nicht gewinnen." Der Satz von Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière kommt elf Jahre und 52 tote deutschen Soldaten zu spät. Gefallen ist der Satz gestern Abend in der ARD bei Anne Will, die zum Thema "Auslandeinsatz Afghanistan – War es die Opfer wert?" eingeladen hatte.

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Neben dem Minister war unter anderem der Afghanistan-Experte Jürgen Todenhöfer gekommen. Dem Journalisten und Autoren sollte man diese Frage eigentlich nicht mehr stellen. Seine Antwort ist bekannt: Der Krieg habe sich nicht gelohnt, der Terrorismus sei gefördert, die Taliban gestärkt worden, die Rechtsstaatlichkeit in dem Land am Hindukusch auf dem Rückzug, trällerte er selbstherrlich daher.

Das musste Widerspruch erregen. Wenn auch nur wenig. CDU-Mann de Maizière wagte zaghafte Gegenrede gegen seinen Parteifreund Todenhöfer. Zwar räumte der Minister zu optimistische Ziele der Mission Afghanistan ein, sprach aber zugleich von "mittelmäßigen Erfolgen". Was er damit meinte, schießt in wenigen Minuten dreimal aus ihm heraus: es gehe um "ein Mindestmaß an Sicherheit" im Land.

Schützenhilfe bekam de Maizière von der Opposition, in Person des Grünen-Politikers Omid Nouripour. Dieser sah in Afghanistan "so manches, was Hoffnung macht", musste aber zugleich einräumen, dass es dort "täglich Tragödien, täglich Soldaten, die ums Leben kommen", gibt.

Aussicht ungewiss

Doch haben sich die Opfer nun gelohnt? "Jeder Tote ist ein Toter zu viel", warf der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck in die Runde, der seit Februar 2011 auch katholischer Militärbischof der Bundeswehr ist. Dennoch: Ein Einsatz für den Frieden sei einer, der sich lohne. "Es ist komplex, für den Frieden zu wirken", befand er.

Genau so komplex beziehungsweise unmöglich erwies sich die Frage, ob nach dem Abzug der westlichen Truppen in Afghanistan aus zarten Hoffnungspflänzchen ein blühendes Land wachsen kann. Das werde man in ein paar Jahren sehen, so Nouripour, flankiert von de Maizière mit der gleichen Ansicht.

Ernüchterung auch bei Bischof Overbeck: "Nach 30 Jahren Bürgerkrieg braucht es ebenso viele Jahre für einen friedvollen Weg" und weiter: "Ich bin mir ziemlich sicher, dass ein Bürgerkrieg ausbricht, wenn alle Soldaten gehen." Fast unfreiwillig komisch wirkte da Todenhöfers Ansicht, dass Mädchen auch unter den streng-religiösen Taliban zur Schule werden gehen können. Und selbstverständlich könne man die afghanischen Taliban nicht mit denen in Pakistan vergleichen, die jüngst auf ein 14-jähriges Mädchen schossen, dass ihr Recht auf Bildung einforderte, so Gutmensch Todenhöfer weiter.

Betroffen machte aber gestern nicht wirklich das Schicksal der Afghanen. Das war in einer ausschließlich deutsch-besetzten Runde gedanklich viel zu weit weg. Betroffen machte die Kapitulation von Marita Scholz vor dem Schicksal ihres Mannes, der nach Einsätzen unter anderem im Kosovo schwer traumatisiert nach Hause kam.

Eindringlich schilderte sie das Leiden ihrer Familie. Ihrer Ansicht, dass die Bundeswehr zu wenig für Kriegsheimkehrer mit seelischen Leiden tue, mochte Verteidigungsminister de Maizière dann auch nur halbherzig widersprechen.

Soldaten sind keine Gärtner

Scholz selbst war als Soldatin im Afghanistaneinsatz – um nicht auf Hartz VI angewiesen zu sein, wie sie sagte. Somit hätte sie eigentlich am besten antworten können, ob der Krieg die Opfer wert war. Sinnvoll sei der Einsatz im direkten Umgang mit den Menschen vor Ort gewesen, als die gelernte Gartenbau-Ingenieurin ihre Erfahrungen an Einheimische vermitteltet habe. Zustimmendes Nicken aus der Runde, allerdings ohne die Möglichkeit eine entscheidende Tatsache zu ignorieren: Dass Soldaten keine Gärtner sind, sondern zum Schießen und möglicherweise Erschießen ausgebildet werden.

Ein Widerspruch zum 5. Gebot ("Du sollst nicht töten.") sei das aber nicht, so Overbeck. Der Bischof erinnerte an den Text "Gaudium et Spes" des Zweiten Vatikanischen Konzils . Dort steht: "Wer als Soldat im Dienst des Vaterlandes steht, betrachte sich als Diener der Sicherheit und Freiheit der Völker." Töten könne in Gefahrensituation notwendig sein, so Overbeck, dürfe aber niemals ein Selbstzweck sein.

Der Westen soll raus aus Afghanistan, so die nicht wirklich neue Quintessenz. Doch das "Wie" und "Wann" des Abzuges, also die Frage nach womöglich weiteren deutschen Opfern, wurde vom Bundesverteidigungsminister ganz nebenbei erledigt. Thomas de Maizière bestätigte für die Zeit nach dem geplanten Rückzug der Bundeswehr 2014 den Plan für ein neues Mandat der Truppe als Ausbildungsmission für afghanische Sicherheitskräfte, die "gegebenenfalls auch geschützt werden muss."

Nicht nur auf Psychologen, auch auf Militärseelsorger wird mit Sicherheit noch viel Arbeit zukommen.

Von Christoph Meurer

Militärseelsorge

Die katholische Militärseelsorge gibt es seit 1956 und steht seither im Wandel des gesellschaftlichen und kirchlichen Lebens. Damals lag noch auf der militärseelsorglichen Grundversorgung in Friedenszeiten. Heute ist die Bundeswehr eine "Armee im Einsatz", die auch in Krisengebieten seelsorglich betreut wird.