Die Pflicht zu leben

Veröffentlicht am 04.10.2012 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Interview

Jena ‐ Die Sterbehilfe in Deutschland soll neu geregelt werden. Dazu hatte im Spätsommer die Bundesregierung einen Gesetzentwurf beschlossen, wonach gewerbliche Sterbehilfe verboten ist. Suizidbeihilfe aus sogenannten altruistischen Motiven bleibt weiterhin erlaubt. Im Interview erklärt der Jenaer Ethikprofessor Nikolaus Knoepffler, warum das mit der christlichen Ethik nicht vereinbar ist.

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Frage: Herr Knoepffler, hat der Mensch das Recht, sich bei großen Schmerzen durch eine unheilbare Krankheit das Leben selbst zu nehmen?

Knoepffler: Als Ethiker muss ich als erstes eine Fallunterscheidung machen und kann tatsächlich keine pauschale Antwort geben. Es geht darum: Wo stehe ich mit meinen persönlichen Grundüberzeugungen? Wenn ich wie Kant überzeugt bin, dass unsere Menschenwürde nur dadurch zu bewahren ist, dass mein Leben als moralisches Wesen der Grund meiner Würde ist, habe ich auch gar keine andere Wahl, als zu sagen, es ist meine moralische Pflicht, mein Leben zu bewahren. Mit Marc Aurel und Seneca lässt sich eine vollkommen andere Antwort geben: Wenn das Leben schon einen Abschluss hat, dann kann ich das Ende selbst bestimmen und mit "Ehre" aus dem Leben gehen.

Frage: Wie sieht es aus Sicht der christlichen Philosophie aus?

Knoepffler: Die katholische Sittenlehre gibt eine eindeutige Antwort: Gott hat uns das Leben geschenkt, und nur er darf darüber entscheiden. Deshalb haben wir auch eine Pflicht, unser Leben zu erhalten. Vielleicht nicht mit allen möglichen Maßnahmen, um noch einen Monat rauszuholen. Selbsttötung ist aber auf jeden Fall sittlich nicht möglich.

Der Jenaer Ethikprofessor Nikolaus Knoepffler.
Bild: ©KNA

Der Jenaer Ethikprofessor Nikolaus Knoepffler.

Frage: Gibt es eine Pflicht gegenüber den Angehörigen, weiterzuleben?

Knoepffler: Für die einen Angehörigen ist der Suizid eine Katastrophe - sie fühlen sich sogar schuldig. Und es gibt die anderen Situationen, in denen der Gedanke aufkommt: "Gott sei Dank ist er endlich gegangen". Es spielt natürlich ethisch eine Rolle, was die Angehörigen denken.

Frage: Ein Argument für Sterbehilfe ist stark verkürzt: Lieber ein guter, schneller Tod statt ein langes Leiden. Gibt es überhaupt einen "guten Tod"?

Knoepffler: Ein guter Tod hat für mich mehrere Bedeutungen. Als erstes heißt das: Ich blicke auf mein Leben zurück und sterbe versöhnt mit meinem Leben, meiner Familie und trage keinen Ballast mit mir. Zum anderen hat "guter Tod" die Bedeutung: Ich kann aus dem Leben gehen, ohne schreckliche Schmerzen zu haben. Neben den beiden Bedeutungen gibt es dann hoffentlich noch eine dritte Möglichkeit: Selbst wenn ich nicht ganz versöhnt bin, selbst wenn ich mit schrecklichen Leiden sterbe, das ganze ist umfangen von einer Liebe Gottes, die wir jetzt nicht begreifen, die aber am Ende den Tod dann doch noch zu einem "guten Tod" macht.

Frage: Kann man das Sterben lernen?

Knoepffler: Das ist so wie mit vielen Dingen im Leben: Ich kann versuchen mich vorzubereiten, kann es ein bisschen in den Blick nehmen. So treffen wir auch schon unser ganzes Leben lang Entscheidungen, die endgültig sind. Dabei stirbt eine Möglichkeit, und wir lernen, mit endgültigen Abzweigungen in unserem Leben umzugehen. Es gibt dabei Naturtalente, die gehen durch das Leben und tun sich leichter. Es gibt andere, die sehr viel versuchen und am Ende verzweifelt bleiben.

Das Interview führte Benedikt Angermeier