Rückzug von der Welt mit bleibender Wirkung

Dauerhafte Fastenzeit: Die besonderen Leben der Eremiten

Veröffentlicht am 05.03.2023 um 12:00 Uhr – Von Christoph Paul Hartmann – Lesedauer: 

Bonn ‐ Die Fastenzeit bedeutet für viele Menschen, durch Verzicht innezuhalten und das eigene Leben zu überdenken. Auf die Spitze getrieben haben das in allen Zeiten Eremiten, die materiellem Wohlstand entsagten und sich auf sich zurückwarfen. Eine Entdeckungsreise.

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Das Wort "Eremit" kommt aus dem Griechischen und bedeutet eigentlich "Wüstenbewohner". Dabei kann diese "Wüste" ganz unterschiedliche Formen annehmen, wie Eremitinnen und Eremiten in verschiedenen Jahrhunderten unter Beweis stellen. 

Bild: ©KNA

Der heilige Bruno ist der Ordensgründer der Kartäuser.

Bruno von Köln (1030-1101)

Bruno von Köln mögen nur wenige Kirchen geweiht sein, für die Form des Einsiedlerlebens hat er allerdings überzeitliche Maßstäbe gesetzt: Er gründete den Kartäuserorden. Bruno stammte aus einer Kölner Patrizierfamilie und kam über seine Bildung an den Domschulen von Köln und Reims nach Frankreich. In Reims wurde er Regularkanoniker, also Mitglied eines klösterlich lebenden Domkapitels. Schon hier hatte er also Berührungspunkte mit dem Klosterleben. Durch politische Verwicklungen musste er Reims verlassen und wurde Benediktiner, hatte aber bald eine genaue Idee für sein Leben. Mit Erlaubnis seines Abtes ging er 1084 in die Einöde und baute sich eine kleine Einsiedelei. Bald wollten sich ihm weitere Männer anschließen, dafür war das Gelände aber zu klein. Die kleine Gruppe siedelte also in die französischen Alpen um, genauer gesagt in das Chartreuse-Gebirge. Es entstand die "Grande Chartreuse", das Mutterkloster des Kartäuserordens. Die weltweit 24 Niederlassungen zeichnen sich dadurch aus, dass die Mitglieder nicht in einem gemeinsamen, sondern in vielen kleinen Häusern wohnen, es ist eine Gemeinschaft von Eremiten. Zudem haben Auswärtige keinen Zugang zu den Klöstern  – und die Brüder und Schwestern schweigen. Eindrücklich zeigte das der Filmemacher Philip Gröning 2005 mit seinem Film "Die große Stille". 

Für Bruno war die Kartause nicht die letzte Lebensstation. 1090 wurde er Papstberater und ihm wurde ein Bischofsstuhl angeboten, den er jedoch ausschlug. Lieber gründete er eine weitere Kartause, das Kloster Santo Stefano del Bosco, in dem er wieder eremitisch lebte und wo er auch starb. 

Das Grab Papst Coelestins V.
Bild: ©By Ra Boe/CC BY-SA 2.5/https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2760135

Die Grablege Papst Coelestins V. in der Basilika "Santa Maria di Collemaggio" in L'Aquila.

Coelestin V. (1210-1296)

Pietro da Morrone kam als Bauernkind im Dorf Sant’Angelo Limosano zur Welt. Auch er wurde erst Benediktiner, bevor er sich in die Einsamkeit zurückzog. Er zog Menschen an, die mit ihm leben wollten. Die Gemeinschaft gab sich benediktinische Regeln, man nannte sie Cölestiner. Pietro zog 1274 zum Konzil von Lyon, um seinen Orden anerkennen zu lassen. Auf dem Rückweg hatte er bei L'Aquila eine Vision, nach der er dort eine Kirche bauen sollte. Das tat er, die Kirche Santa Maria di Collemaggio gibt es bis heute, auch wenn sie beim Erdbeben 2009 stark beschädigt wurde. Danach wurde Pietro Abt zweier Klöster, gab jedoch deren Leitung ab, um wieder als Einsiedler zu leben  – ein Muster, das sich später wiederholen sollte. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits den Ruf, ein lebender Heiliger zu sein. 

Das sorgte dafür, dass er bei der Papstwahl 1292 wegen großer Streitigkeiten als Kompromisskandidat aufgestellt wurde. Im Juli 1294 wurde er als Coelestin V. Papst. Davor floh er zunächst, ließ sich aber bald umstimmen. Er zog auf einem Esel in die Stadt L'Aquila ein, nach Rom kam er nie. Statt dem Prunk seiner Vorgänger ließ er sich eine Zelle aus Holz bauen. Coelestin war allerdings bald mit dem Papstamt und den damit verbundenen politischen Ränkespielen überfordert, er geriet in mehrere Abhängigkeiten und Intrigen. Im Dezember 1294 dankte er gegen viele Widerstände ab. Eigentlich wollte er wieder als Eremit leben, doch sein Nachfolger Bonifatius VIII. hatte Angst, mit einem weiteren lebenden Papst ein Schisma zu provozieren und ließ Coelestin gefangen nehmen. In dieser sogenannten "Ehrenhaft" starb er 1296. Den von ihm begründeten Orden gibt es seit Anfang des 19. Jahrhunderts nicht mehr, als erster von bislang zwei Päpsten, die freiwillig zurücktraten, hat er den Platz in den Geschichtsbüchern dennoch sicher. 

Apa Bane (auch Abu Fanah, 354-395)

Wenig oder nichts zu essen, um asketisch zu leben, kennen auch Menschen des 21. Jahrhunderts. Nicht zuletzt in der Fastenzeit verzichten viele Zeitgenossen auf Nahrung. Das ist gegenüber dem, was Apa Bane im 4. Jahrhundert in Mittelägypten gemacht hat, nichts. Der Klosterbruder war dafür bekannt, sich um Arme und Kranke zu kümmern, von ihm wird aber auch berichtet, dass er den Tod Kaiser Theodosius’ I. 395 vorhersagte und 37 Tage am Stück ohne Nahrung auskommen konnte  – von Menschenhand produzierte Nahrung lehnte er so oder so ab. Die 37 Tage waren eine symbolische Zahl: Da Jesus 40 Tage in der Wüste gefastet hatte, wollte Apa Bane seinen Herrn weder überbieten noch gleichziehen, deshalb die drei Tage "Sicherheitsabstand".  

Am Bemerkenswertesten ist allerdings die Legende, Apa Bane habe die letzten 18 Jahre seines Lebens in seiner fensterlosen Zelle weder gesessen noch gelegen, sondern lediglich gestanden. Er habe sich, so heißt es, zum Schlafen mit seiner Brust an eine dafür gebaute Mauer angelehnt. Seine Füße seien vom dauernden Stehen zudem ledern wie die eines Elefanten geworden. Spannend dabei: Als 1992 das Grab Apa Banes gefunden wurde, stellte man bei dem Skelett die Krankheit "Morbus Bechterew" fest, die Bandscheiben waren also verschwunden und die Wirbel aufeinander gewachsen. Wäre er umgefallen, hätte er sich also nicht mehr selbstständig aufstellen können. Es ist also zumindest nicht ausgeschlossen, dass er wirklich so lange gestanden hat und sich dadurch die Deformation seiner Wirbelsäule zugezogen hat. Das könnte auch zu seinem Namen geführt haben: "Morbus Bechterew" heißt landläufig "Palmenkrankheit" – "Bane" nannte man zu der Zeit in der Region die Palme. Vielleicht ist an der Geschichte des maximalasketischen Wüstenvaters Apa Bane weniger Legende als Fleisch an seinen Knochen. 

Bild: ©picture alliance/akg-images

So stellte sich Lovis Corinth die Versuchung des heiligen Antonius im Jahr 1908vor.

Antonius der Große (251-365)

Antonius stammte aus einer Familie wohlhabender christlicher Bauern in Ägypten. Als seine Eltern starben, gab er seinen gesamten Besitz weg und zog erst in eine kleine einsame Hütte, später in eine ehemalige Grabkammer. Das Eremitenleben ging nicht spurlos an ihm vorbei: Einmal wurde er ohnmächtig vor seiner Kammer gefunden. Nach seiner Genesung lebte er in einem verlassenen Kastell am Wüstenrand, wegen zu großen Besucherandrangs ging er später in die Wüste hinein. Er lebte den Rest seines Lebens in Einsamkeit und Askese – einem legendenhaft langen Leben von über 100 Jahren. 

Von Antonius wird berichtet, dass er in der Wüste immer wieder Visionen gehabt haben soll. Dabei soll der Teufel versucht haben, ihn von seinem asketischen leben abzubringen. Die Versuchung des heiligen Antonius ist ein Teil des Kanons der christlichen Motive in der Kunstgeschichte geworden. Der Teufel erschien ihm als Kind oder Frau, um ihn zu verführen – oder als schreckliche Bestien, um ihn zu quälen. Das teuflische Treiben bei Antonius in der Wüste schaffte es auf Gemälde, aber auch in Romane und auf die Orchesterbühne. 

Schon zu seinen Lebzeiten galt er als heiliger Mann und viele Menschen kamen zu ihm, von ihm werden Heilungen und Dämonenaustreibungen berichtet. 

Nicht zuletzt gilt Antonius ebenso als Begründer des Mönchwesens in der Kirche. Er legte allerdings immer Wert auf Einsamkeit. Sein Zeitgenosse Pachomius baute etwas später die ersten Klöster auf. Zur Einsamkeit passt auch, dass Antonius verfügte, anonym bestattet zu werden. 561 wurde das Grab angeblich gefunden, Gebeine des Antonius nennt heute etwa die Kirche Saint-Julien im französischen Arles ihr eigen.  

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Rosa Flesch gründete Waldbreitbacher Franziskanerinnen.

Rosa Flesch (1826-1906)

Rosa Flesch war die Tochter einer armen Müllersfamilie, für die sie mit 16 nach dem Tod ihres Vaters sorgen musste. Sie sammelte Heilkräuter und eignete sich Wissen in der Krankenpflege an. Mit 25 verließ sie mit ihrer Schwester das Elternhaus und lebte in einer Eremitenwohnung. Dort hielt sie sich als Krankenpflegerin und mit Handwerksarbeiten über Wasser, nahm dazu jedoch auch Waisenkinder bei sich auf. Sie hatte in dieser Zeit schon Kontakte zu Franziskanerinnen, trat aber nie einem Orden bei. Der Pfarrer stellte sich zudem gegen ihren Wunsch, eine Gemeinschaft zu gründen und ein Waisenhaus zu bauen. Dabei waren bereits einige Mitstreiterinnen zu ihr gezogen. Bald mussten sie alle aus den Klausen ausziehen. Dennoch sammelte sie Geld und schaffte es doch noch, ein Haus zur Krankenfürsorge zu bauen und eine Gemeinschaft zu gründen, dieses Mal ohne Unterstützung der Pfarrei. Sie wurde 1863 eingekleidet. Im deutsch-französischen Krieg 1870/71 kümmerten sich die Schwestern in französischen Lazaretten um Verwundete, dabei wurde auch Maria Flesch verwundet. Flesch war Generaloberin der Gemeinschaft, wurde jedoch 1878 nicht wiedergewählt. Wahrscheinlich wurde sie Opfer einer Intrige, Veröffentlichungen darüber hat der Orden lange verhindert. Sie erschütterte das zwar sehr, sie wehrte sich jedoch nicht. So lebte sie noch 30 Jahre als einfache Ordensfrau im Kloster, wirkte im Garten und nähte Paramente. Ihr Andenken wurde planmäßig verwischt, sodass jüngere Ordensfrauen bald schon nicht mehr wussten, dass die alte Schwester die Gründerin der Gemeinschaft war. Erst nach ihrem Tod und noch deutlicher im Zuge des Seligsprechungsverfahrens kam ihre Geschichte ein Stück an die Öffentlichkeit, 2008 wurde sie Selige. 

Bild: ©picture alliance/ASSOCIATED PRESS

Thomas Merton im Jahr 1951.

Thomas Merton (1915-1968)

Geboren wurde Thomas Merton als Kind einer Künstlerfamilie im kleinen französischen Pyrenäenort Prades und wurde anglikanisch getauft. Später zog die Familie immer wieder um, weshalb er Schulen unter anderem in Großbritannien, Frankreich und den USA besuchte. Danach studierte er in New York Journalismus und schrieb für verschiedene Zeitungen. Der Tod seines Vaters führte dann dazu, dass er sich neu für Religion und besonders für den Katholizismus interessierte. Er wurde 1938 katholisch und trat 1941 als Postulant in eine Trappistenabtei in Kentucky ein. Auch im Kloster schrieb er, beginnend mit einer Autobiografie, 70 Bücher. 1949 wurde er zum Priester geweiht. Merton schätzte die Meditation, das Alleinsein. Dadurch kam er mit dem Buddhismus und Zen in Berührung. Bald ging er als Eremit in die Einsamkeit. So zog er sich zwar aus der Welt heraus, ließ sie aber nicht aus dem Blick: Er kommentierte das politische Zeitgeschehen, schrieb und schrieb. Daneben bekam er in seiner kleinen Behausung immer wieder Besuch. 1968 machte er dann eine Reise nach Asien, bei der er auch den Dalai Lama traf. Kurz nach einem Vortrag in Bangkok starb er mit nur 53 Jahren. Heute ist nach ihm der Thomas Merton Award benannt, mit dem Menschen ausgezeichnet werden, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen. 

Von Christoph Paul Hartmann