Seelsorger: "Macht ist nicht bei Männern, sondern bei Klerikermännern"
Von Montag bis Mittwoch hat in Augsburg der Dachverband der katholischen Männerarbeit getagt. Die "Kirchliche Arbeitsstelle für Männerseelsorge und Männerarbeit in den deutschen Diözesen" ist eine pastorale Einrichtung der Deutschen Bischofskonferenz. Warum es eine solche Stelle braucht, erklärt ihr Leiter Andreas Heek im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur. Er spricht außerdem über Spannungen bei den Themen Krieg und sexuelle Vielfalt sowie über besondere Herausforderungen bei der Aufarbeitung des Missbrauchs von Männern.
Frage: Herr Heek, wozu ist eine spezielle Männerseelsorge nötig?
Heek: Unsere Veranstaltungen bieten Männern einen geschützten Raum für tiefe Gespräche und intensives Nachdenken. In der männlichen Alltagswelt ist das nicht selbstverständlich. Aus Erfahrung wissen wir, dass Männer, wenn sie unter sich sind, oft nur oberflächlich miteinander umgehen. Sie fahren vielleicht regelmäßig zusammen ins Fußballstadion, bereden aber kaum Sorgen und Zweifel. Genau dafür eröffnen wir ein Austauschforum. Das ist aktuell umso nötiger, als wir in einer Zeit des großen Wandels von Männerbildern leben.
Frage: Was heißt das?
Heek: Wir beobachten, dass Männer zu uns kommen, weil sie zerrissen sind zwischen traditionellen Männlichkeitsbildern der Stärke und der Autorität und modernen der Gleichwertigkeit der Geschlechter und des sensiblen Vaters. Daraus resultieren natürlich auch Einstellungen gegenüber der Gesellschaft. Ganz aktuell ist dieses Thema vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine.
Frage: Erklären Sie.
Heek: Wir versammeln in unserem Verband die katholischen Soldaten ebenso wie wir uns mit der christlichen Friedensbewegung Pax Christi austauschen. Wir haben alte Männer, deren Kriegstraumata wach werden, und junge, die sich zur Bundeswehr melden. Entsprechend verschieden sind bei uns die Ansichten zu Waffenlieferungen oder zur Frage, ob Männer in den Kampf ziehen sollten. Wir haben da keine einfachen Lösungen, wir müssen vielmehr Spannungen aushalten. Aber wir bleiben im Gespräch, und das ist ein Wert in sich. Denn solange man miteinander redet, schlägt man sich nicht, schafft langfristig vielleicht sogar Verständnis für die andere Position. Insofern leisten wir auch etwas Friedensarbeit.
Frage: Haben Sie auch Kontakt zu Männern aus der Ukraine?
Heek: Leider nicht. Das ist eine Zukunftsbaustelle für unseren Verband: Wir müssen uns interkulturell stärker aufstellen. Gerade auch mit Blick auf die muslimische Gemeinschaft, in der es traditionell ja starke patriarchale Strukturen gibt, die aber hierzulande auch aus der Community heraus immer stärker infrage gestellt werden.
Männer- und Frauenseelsorge: Werden Rollenklischees zementiert?
Frauen und Männer haben ganz unterschiedliche Arten, ihren Glauben auszudrücken. Auch die Angebote in der Seelsorge für Männer und Frauen sehen unterschiedlich aus. Doch werden dadurch stereotype Rollenbilder bestätigt? Und wie müsste eine gendersensible Seelsorge heute aussehen?
Frage: Ein anderes aktuelles Thema ist die Vielfalt von Sexualität und Geschlechterbildern. Welche Rolle spielt das in Ihrer Arbeit?
Heek: Eine immer wichtigere. Die Fluidität von Geschlechterrollen und von Geschlechtern selbst nimmt zu - daran ändert auch die katholische Lehre nichts. Und so betrifft diese Entwicklung natürlich auch Gläubige. Ihnen wollen wir als Männerseelsorge eine dem Menschen gerechte Antwort geben. Wir wollen ihnen vermitteln, dass auch queere Menschen gottgewollt und daher in der Kirche willkommen sind. Wenn ein liebendes Paar zu uns kommt und nach einem Segen fragt, geben wir ihnen den, da bitten wir nicht den Bischof um Erlaubnis. Wir stehen dafür ein, dass Kirche mehr ist als die Position des Lehramtes, homosexuelles Verhalten sei Sünde. Wir sehen uns aber auch als Brückenbauer.
Frage: Inwiefern?
Heek: Wir tragen in die Bischofskonferenz hinein, was an der Basis geschieht, eben zum Beispiel in der Queer-Thematik. So haben über unsere Vermittlung schon transgeschlechtliche Menschen vor den Bischöfen ihre Lebensgeschichte erzählt. Sie haben geschildert, wie sie ihren Weg der Transition vom Mann zur Frau oder andersherum als geistlichen Weg begreifen. Wie sie durch diese schmerzhafte Strecke ihrer eigenen Berufung als Mensch nähergekommen sind. Das macht durchaus auch mit Bischöfen etwas. Nicht in dem Sinne, das alle gleich mit dem Lehramt brächen. Aber es erwachsen zumindest Verständnis und Respekt.
Frage: Nicht nur, aber eben auch in der Kirche wird männliche Macht immer kritischer hinterfragt. Ist das ein Thema in der Männerseelsorge?
Heek: Wir sind klar dafür, dass Frauen mehr Macht brauchen in der Kirche. Allerdings reicht es nicht, Frauen in Weiheämter zu bringen. Stattdessen müssen die Ämter umgestaltet werden: Ihnen muss die Machtfülle genommen werden und die erhabene Aura. Vom Klerus muss Macht zu den Laien wandern. Was wichtig ist im Kontext Kirche: Macht ist aktuell nicht bei Männern, sondern bei Klerikermännern.
Frage: Was beschäftigt Sie darüber hinaus?
Heek: Der Missbrauch. Denn aus den einst im kirchlichen Raum zig missbrauchten Jungen sind Männer geworden, die oft bis heute von Traumata geplagt werden. Gerade Männern fällt das Sprechen über Missbrauch häufig schwer, da sie mit dem Bild des "starken Geschlechts" aufgewachsen sind. Noch schwerer fällt es ihnen, wenn sie als Erwachsene missbraucht wurden. Auch solche Fälle gibt es, gerade aus geistlichen Gemeinschaften. Viele Männer können sich selbst kaum eingestehen, dass sie als Heterosexuelle homosexuell missbraucht wurden, das ist für sie eine riesige Demütigung. Damit seelsorglich umzugehen, das ist für uns eine Dauerbaustelle.
Frage: Wie ist es dabei um die Unterstützung der Kirchenspitze bestellt?
Heek: Der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, Aachens Bischof Helmut Dieser, hat uns kürzlich versichert, diesen Punkt bald offensiv angehen zu wollen. Das ermuntert dann hoffentlich auch Betroffene dazu, ihre Geschichte aufzuarbeiten. Denn bisher haben sich dazu nur sehr wenige Männer an uns gewandt.