ACK-Vorsitzender Miron: Das macht unsere ökumenische Arbeit aus
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Von wegen Ruhestand! Der griechisch-orthodoxe Erzpriester Radu Constantin Miron setzt sich als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK) nach wie vor mit voller Energie für die Ökumene der christlichen Kirchen in Deutschland ein. Verwechselt mit einem Rabbiner hat er schon Antisemitismus erfahren. Und war als Schüler gemeinsam mit seinen Geschwistern eine sehr kleine Minderheit, was ihn geprägt hat.
Frage: Sie sind vergangenes Jahr in den Ruhestand gegangen. So ganz ruhig ist der aber nicht. Wofür haben Sie jetzt mehr Zeit? Wie nutzen Sie sie?
Miron: Die Ökumene, also die Zusammenarbeit und das Zusammenkommen der unterschiedlichen Kirchen und der unterschiedlichen Christinnen und Christen war schon vorher ein Schwerpunkt meiner Arbeit. Ich habe jetzt die Arbeit in der Gemeinde mehr oder weniger aufgehört. Auch die Arbeit in der Schule, wo ich als Religionslehrer für orthodoxe Religionslehre tätig war. Ich kann mich eigentlich jetzt auf das ökumenische Herz, das in mir schlägt, konzentrieren.
Frage: Das ökumenische Herz schlägt ja schon lange bei Ihnen. Die ACK feiert ein großes Jubiläum: Seit 75 Jahren ist sie aktiv für die Ökumene, am 10. März 1948 wurde sie gegründet. Sie engagieren sich dort schon lange und sind 2019 ACK-Vorsitzender geworden. Sie haben in Magdeburg einen Festgottesdienst gefeiert – natürlich ökumenisch. Für das Jubiläum haben Sie sich die Kraft der Ökumene bewusst gemacht. Was ist diese Kraft?
Miron: Ja, wenn man erst mal 75 Jahre zurückschaut, dann war das 1948 ein Land, das zerstört und auch hoffnungslos war. Es war ein Land, das neu starten musste. Die Kirchen, die gemeinsam verfolgt worden waren und gemeinsam den Krieg erlebt hatten, sagten zunächst einmal: Nie wieder Krieg, nie wieder aufeinander schießen – im buchstäblichen und im übertragenen Sinne.
So ist natürlich diese Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg eine Zeit des Aufbruchs gewesen. Und wie das so ist mit Aufbrüchen, wird irgendwann aus Enthusiasmus Routine. Man sagt, okay, es gibt da eine Organisation in Deutschland, die die unterschiedlichen christlichen Kirchen bündelt. Der zweite Schub, also die nächste Rakete, die gezündet wurde, war 1974, als dann die römisch-katholische Kirche und die Orthodoxen zu einer zunächst sehr kleinen und reduzierten ACK hinzukamen und es tatsächlich eine Arbeitsgemeinschaft der christlichen Kirchen in Deutschland wurde. Die Routine ist etwas, was wieder droht.
Und ich sage jetzt als orthodoxer Christ etwas Unorthodoxes: Ich glaube, die Pandemie hat uns gezeigt, wie wichtig es ist, Rücksicht zu nehmen auf die anderen. Wir haben in Deutschland zwei große Kirchen, man könnte sagen, es sind zwei große Player im Christentum. Wir haben daneben eine Zahl von Kirchen, in der ACK gibt es insgesamt 25 Kirchen als Mitglieder und Gastmitglieder, die wir mit einem neuen Kürzel versehen haben, dem HKK – "hierzulande kleine Kirchen". Das heißt, eine Kirche, die hier vielleicht am Rand steht, ist woanders eine Mehrheitskirche. Das gibt es auch. Und natürlich gibt es immer Querverbindungen, sodass genau dieses Miteinander der Kirchen – groß und klein, alt und neu und auch sehr neu in der Ökumene oder in der Zusammenarbeit und in der Öffnung für andere – das Spannende unserer Arbeit und unseres Miteinanders ausmacht.
Frage: Und Ihr ganz persönlicher Start: Wie sind Sie dazu gekommen? Warum haben Sie gedacht, dass Sie sich für die Ökumene einsetzen müssen? Warum ist Ihnen das so wichtig?
Miron: Ich bin in Deutschland geboren und nach den ersten Jahren im Rheinland habe ich meine Schulzeit in Freiburg im Breisgau verbracht. Auf dem Gymnasium, auf dem ich war, gab es drei orthodoxe Schülerinnen und Schüler – das waren meine zwei Geschwister und ich. Mehr gab es nicht. Das war also eine sehr extreme Minderheitssituation damals. Heute sind die Zahlenverhältnisse etwas anders. Vielleicht ist es ja kein Zufall, ich will jetzt nicht große theologische Begriffe wie Fügung oder so bemühen, aber dieses Bewusstsein da zu sein und auch etwas einzubringen zu haben, das hat uns in Freiburg in der Ökumene damals sehr geholfen.
Es gab einen rührigen evangelischen Pfarrer, der auch noch die kleinste Gemeinde und kleinste Gruppe beteiligt und eingeladen hat. Man ist dann irgendwie da reingewachsen in dieses Miteinander, wenn es irgendwie geht, auf Augenhöhe. Also nicht: Ihr seid hier die armen kleinen Geschwister, die Hilfe brauchen. Wir brauchen Hilfe, kein Zweifel. Ohne die Hilfe der römisch-katholischen Kirche und auch der evangelischen Kirche hätten viele unserer Gemeinden hier ihr Gemeindeleben gar nicht starten können. Das sage ich auch als ehemaliger Gemeindepfarrer. Aber dieses Bewusstsein, dass wir auch da sind und auch etwas anzubieten haben, selbst wenn wir nicht über die ökonomischen Mittel oder Ressourcen verfügen – wir haben andere Ressourcen, die auch benötigt werden, so bin ich reingekommen in die Ökumene.
Frage: Die ACK repräsentiert rund 50 Millionen Christen bei uns in Deutschland. Sie haben schon gesagt, 25 Kirchen sind es – 18 sind drin und sieben als Gastmitglieder. Die Schwerpunkte Ihrer Arbeit sind die theologische Reflexion, das Engagement für Gerechtigkeit und Frieden, die Bewahrung der Schöpfung und natürlich auch das gemeinsame Gebet. Ist das nicht schwierig bei so vielen verschiedenen Zweigen und Auslegungen des Christentums, das alles unter einen Hut zu bekommen?
Miron: Ja, es ist nicht immer einfach, das gebe ich zu. Aber es hilft natürlich immer, einen Haken zu haben im Leben – einen Haken, an dem man etwas aufhängen kann. Die Kirchen haben generell immer ein gutes Gedächtnis. Und so feiern wir unser Jubiläum. Wenn wir jetzt 75 Jahre als ACK gefeiert haben, dann ist das ja nicht eine Selbstbeweihräucherung, sondern immer auch eine Standortsuche und auch eine thematische Beschäftigung.
Die Täuferbewegung jährt sich zum 500. Mal, sodass wir diese Diskussion über das, was uns als gläubige Christinnen und Christen verbindet und was uns trennt, gerade im Verständnis der Taufe zum Anlass nehmen, auch über andere Aspekte unseres Christseins nachzudenken. Viele der sogenannten täuferischen Kirchen haben sich ja auch durch Gewaltfreiheit und Ablehnung von Militärdienst und ähnlichem hervorgetan. Das ist ein ganz aktuelles Thema: Wie gehen wir eigentlich in unseren Kirchen und mit unseren Kirchen in der Frage des Militärdienstes und des Pazifismus um? Da gibt es immer thematische Anknüpfungspunkte. Wir sitzen ja nicht da und streiten um des Streitens willen.
Das Umgekehrte passiert schon, dass wir das Versöhnen um des Versöhnens willen tun. Die Geschichte der Christenheit auch in Deutschland ist ja nicht nur eine Geschichte der guten Tage. Es hat auch schlimme Erfahrungen der Christinnen und Christen untereinander gegeben. Heutzutage muss man immer ein englisches Wort verwenden: Dann reden wir von "Healing of Memories" – das Heilen der Erinnerungen. Das heißt, wir sind Gott sei Dank heute so weit, dass wir uns so wie in einer Partnerschaft, so wie in einer Ehe auch hinsetzen können und noch mal sagen: Was war das eigentlich gestern für ein Konflikt, den wir da hatten? Wie kam es dazu und was können wir daraus lernen? Und jetzt vertragen wir uns wieder. Dieses "Healing of Memories" ist auch ein ganz wichtiger Aspekt unserer ökumenischen Arbeit.
Es hat vor Jahren mal in Stuttgart zwischen Lutheranern und Mennoniten einen ähnlichen Prozess gegeben, wo man gesagt hat, dass man sich da gegenseitig "verteufelt hat", das gehört der Vergangenheit an. Und das ist doch eigentlich ein schönes Ergebnis von Ökumene.
„Wir sind Gott sei Dank heute so weit, dass wir uns so wie in einer Partnerschaft, so wie in einer Ehe auch hinsetzen können und noch mal sagen: Was war das eigentlich gestern für ein Konflikt, den wir da hatten? Wie kam es dazu und was können wir daraus lernen? Und jetzt vertragen wir uns wieder. Dieses "Healing of Memories" ist auch ein ganz wichtiger Aspekt unserer ökumenischen Arbeit.“
Frage: In vielen Punkten sind sich die Christinnen und Christen doch einig. Das ist ja auch eine wichtige Verbindung untereinander, gerade in Krisenzeiten wie wir sie jetzt auch gehäuft in der Gesellschaft erleben. Was macht das zum Beispiel in Hinsicht auf den Ukraine-Krieg aus? Ist das eine Hilfe, eine Unterstützung?
Miron: Ja, aus verschiedenen Gründen. Das eine ist natürlich, dass die Christinnen und Christen ja Teil der Gesellschaft sind und in einer Gesellschaft leben, die von diesem Krieg, wenn man nicht gerade ein Militärexperte war, doch überrascht war – dass das im 21. Jahrhundert offensichtlich noch als Weg erscheint, um Konflikte zu lösen! Dieser Schock, den wir alle erlebt haben seit einem guten Jahr, spiegelt sich in den Kirchen wider. Ich glaube, es gibt keinen anderen Ort in Deutschland, wo so häufig an den Krieg erinnert wird, wo so häufig für Frieden gebetet und demonstriert wird wie in den christlichen Kirchen. Und es gibt auch keinen Ort, wo man diese Herausforderung so von Anfang an gemeinsam aufgegriffen hat.
In dem Ort, wo ich wohne, ist es ein ökumenisches Friedensgebet, das seitdem jeden Samstag stattfindet. Nicht hier die Katholiken, da die Evangelischen, da die Orthodoxen, sondern gemeinsam betet man für den Frieden. Das andere, und das muss der Ehrlichkeit halber auch gesagt werden, ist natürlich, dass dieser Krieg auch im Zusammenhang gesehen wird mit den Äußerungen etwa des russischen Patriarchen Kyrill, der keinen Hehl daraus macht, dass er seinen Staatsführer unterstützt in diesem Krieg. Das ist eine Position, die nicht die offizielle Position der russisch-orthodoxen Kirche ist. Da gibt es keinen formalen Beschluss darüber, aber natürlich wird sie gerne als Position der russisch-orthodoxen Kirche gesehen.
Gerade in den ersten Wochen nach dem Kriegsausbruch erreichten uns viele Anfragen seitens engagierter Christinnen und Christen, doch bitteschön die russisch-orthodoxe Kirche aus der Ökumene auszuschließen, das ginge gar nicht. Unsere eigene Meinung dazu ist, dass die russisch-orthodoxe Kirche Teil unserer Familie ist und dazugehört und wir im Gespräch bleiben müssen. Das heißt nicht, dass man sich deswegen verbiegen muss und Positionen unterstützen muss, die nicht unterstützbar sind. Die Wahrheit ist auch in der Ökumene eine wunderbare Sache.
Frage: Sie sind Sohn eines rumänischen Vaters und einer russischen Mutter. Haben Sie selbst schon mal Rassismus erlebt, obwohl Sie ja in Deutschland aufgewachsen sind?
Miron: Ja, es wäre gelogen, wenn ich "Nein" sagen würde. Ich muss dazu sagen, dass ich einen langen Bart trage und sogar von manchen für einen Rabbiner gehalten werde. Das ist mir erst gerade vor einigen Tagen wieder passiert, dass man sogar antisemitische Beschimpfungen oder Kommentare hören muss. Ich glaube, das ist Teil unserer menschlichen Natur, dass wir das Fremde schon mal ausgrenzen. Ich habe aber eine dicke Haut und lasse mich da eigentlich nicht so schnell aus der Ruhe bringen.
Frage: In der Kirche ist das auch ein Thema, nicht nur in unserer Gesellschaft. Sie haben das vor Kurzem benannt und fordern, christliche Kirchen sollten sich konfessionsunabhängig mit der eigenen Geschichte und Tradition befassen. Kann das zur Besserung beitragen? Kriegen wir damit den Rassismus und den unsäglichen Umgang unter Menschen weg?
Miron: Es ist ja so, dass gerade die Ökumene uns beigebracht hat, dass man Dinge, wenn man sie gemeinsam betrachtet, sie auch gemeinsam besser lösen kann. Denken wir an das Beispiel mit der Taufe. Alle benutzen das Wort Taufe. Oder wir alle benutzen auch das Wort Abendmahl oder das Wort Kirche – und meinen etwas ähnliches, vielleicht dasselbe, vielleicht aber auch nicht. Also müssen wir gemeinsam darüber sprechen.
Und wenn wir über Rassismus, über das Menschenbild und über die Heiligkeit des Menschen sprechen, dann sollten wir das gemeinsam tun. Ich glaube, dann ist unsere Aufgabe in der Tat leichter zu lösen. Es ist ja so, dass es heutzutage viele Menschen gibt, die sagen, dass Kirche Sozialarbeit ist und ein Altersheim, ein Kindergarten und vielleicht noch ein Jugendtreff, wenn es hochkommt. Aber es geht doch um mehr. Es geht darum, dass die Kirchen ein bisschen Salz der Erde sein sollen, ein bisschen Sauerteig, sagt die Bibel. Also etwas, was auch die Gesellschaft verändern soll. Wenn wir es nicht mehr sind, wenn das Salz schal ist, kann man es wegschmeißen.