Auf Kosten anderer
Es ist der 2. Mai 2014. An diesem Freitagmorgen eröffnet der Textildiscounter Primark am Kölner Neumarkt seine 13. Filiale in Deutschland. Etwa 3.000 junge, meist weibliche Menschen wollen bei der Eröffnung live dabei sein. Einige haben dafür bereits seit sechs Uhr morgens vor dem Geschäft campiert. Jetzt stürmen die jungen Leute, mit großen Einkaufskörben bewaffnet, die Regale.
Zwar geht es hier nicht um Justin Bieber oder einen anderen Teenager-Schwarm, dennoch lassen sich die Phänomene Pop-Star und Primark durchaus vergleichen: Beiden schwingt eine Welle purer Sympathie entgegen, die fast schon an Hörigkeit grenzt. Nicht umsonst bezeichnet der Primark-Konzern seine Kunden als "Fans". Das 1969 gegründete Unternehmen mit Sitz im irischen Dublin erlebt derzeit einen beispiellosen Boom.
Mit seinem Konzept, Trendware zu Niedrigstpreisen zu verkaufen, hat der Textildiscounter die Modebranche mächtig aufgemischt. 2013 steigerte sich der Umsatz im Vergleich zum Vorjahr um satte 22 Prozent auf 5,32 Milliarden Euro, der operative Gewinn wuchs im gleichen Zeitraum um 44 Prozent auf 642 Millionen Euro. Weltweit arbeiten mehr als 51.000 Beschäftigte in über 270 Filialen für das Unternehmen des Mutterkonzerns Associated British Foods.
Kritiker sehen Bemühungen um eine ethische Modebranche untergraben
Viele Organisationen sehen das Geschäftskonzept von Primark jedoch kritisch, so auch Sandra Dusch Silva von der Christlichen Initiative Romero : "'Fast Fashion' untergräbt in vielerlei Hinsicht die Bemühungen um eine ethische Modebranche. Die Forderung nach Preisreduktionen, beschleunigter Vermarktung und größerer Flexibilität führt häufig zu niedrigeren Löhnen, längeren Arbeitszeiten und Kurzzeitverträgen für jene am unteren Ende der Zulieferkette: Die Arbeiterinnen und Arbeiter der Bekleidungsindustrie."
Und in der Tat: Die Näherinnen und Näher, die für Primark Kleidungsstücke fertigen, verdienen gerade einmal 30 bis 70 Euro im Monat. Dafür arbeiten die meist aus Bangladesch stammenden Frauen und Männer bis zu zwölf Stunden täglich, bis zu sieben Mal pro Woche.
Vor wenigen Tagen machten vermeintliche Hilferufe von Arbeitskräften in Kleideretiketten von Primark-Produkten über soziale Netzwerke die Runde. So waren in den Zetteln der in England beziehungsweise Nordirland gekauften Kleidungsstücke eingestickte Nachrichten wie "Gezwungen, stundenlang bis zur Erschöpfung zu arbeiten" gefunden worden. Auch wenn mittlerweile vermutet wird, dass es sich bei den Hilferufen um Fälschungen handelt, steht Primark wegen seiner Geschäftspraktiken dennoch immer wieder am Pranger.
Während die Kunden davon bislang unberührt fröhlich weiter shoppen, wird der Gegenwind für das irische Unternehmen an anderer Stelle kräftiger. Aktivisten des Netzwerks "INKOTA" und der "Kampagne für Saubere Kleidung" haben zur Eröffnung der Primark-Filiale in Berlin an diesem Donnerstag Proteste am Alexanderplatz angekündigt. In ihrer gemeinsamen Presseerklärung rechnen die Initiativen vor, was vom Verkaufspreis der Kleidung aus Modehäusern für die Produktionskräfte übrig bleibt: Demnach verdienen Näherinnen und Näher bei einem T-Shirt für 29 Euro gerade einmal 18 Cent , das sind 0,6 Prozent des Ladenpreises.
Der Bruchteil eines Bruchteils als Lohn für die Näherinnen
Bei Primark kosten T-Shirts allerdings nicht 29 Euro, sondern teilweise nur 2,50 Euro; Hosen kann man bereits für acht Euro erstehen, Miniröcke für vier Euro, Tops für 1,50 Euro. Primark brüstete sich zur Eröffnung der Filiale am Kölner Neumarkt damit, dass kein Kleidungsstück im Store über 48 Euro koste. Klar, dass den Näherinnen und Nähern dabei nur der Bruchteil eines Bruchteils bleibt.
Klar auch, dass sich daraus eine Wegwerf-Mentalität ergibt. Sieht der Rock zu Hause doch nicht mehr so schön aus, wandert er in den Müll. Löst sich das Billig-Shirt langsam auf, kauft man eben ein neues. Zwischen 2004 und 2011 stieg die Menge an Textilabfall von 82.400 Tonnen auf 103.400 Tonnen. In Großbritannien nennt man das den "Primark-Effekt" .
Und der Kunde? Der versteckt sich meist hinter vermeintlicher Unwissenheit. Dabei sollte klar sein, dass hinter einem Top für 1,50 Euro nie gerechte Arbeitsbedingungen stecken können. Forderungen nach mehr Nachhaltigkeit im Alltag werden laut. Und das ist gar nicht so schwer: "Ein nachhaltiger Lebensstil kann auch da beginnen, wo etwas nicht gekauft wird", sagt Sandra Dusch Silva. Zu wünschen wäre es den Näherinnen und Nähern. Und den Mitarbeitern, die sich dann nicht mehr vor kreischenden Teenie-Mengen in Sicherheit bringen müssten.
Von Martin Henning