Franziskaner und Ordensoberer Murk: Kirche braucht Hierarchie
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Bruder Andreas Murk OFM ist seit einem Jahr Vorsitzender der Deutschen Ordensobernkonferenz. 2003 trat er in die Ordensgemeinschaft der Franziskaner-Minoriten ein, studierte Theologie in Würzburg und Washington und wurde 2010 zum Priester geweiht. Er leitete von 2012 bis 2019 das Bildungshaus Kloster Schwarzenberg. Seit Herbst 2019 ist er Provinzialminister der Franziskaner-Minoriten Provinz St. Elisabeth. Im Interview spricht er über Macht, Dienst und Leben in den Orden und was die Kirche davon lernen könnte
Frage: Sie sind in Ihrer Funktion als Provinzialminister, wie es bei den Franziskaner-Minoriten heißt, im Prinzip der Ordensobere für die Provinz in Deutschland. Als Franziskaner legen Sie aber einen sehr großen Wert darauf, niemanden herauszustellen: Das "Dienen" steckt bei "Minister" schon im Wortstamm. Und Sie sagen auch grundsätzlich, Sie wollen als Franziskaner alle nicht als Pater, sondern als Brüder ansprechen. Welche Geisteshaltung steht dahinter? Warum spielt das für Sie als Orden eine so große Rolle, nicht ganz klar die Strukturen und die Hierarchien zu benennen, die es ja gibt?
Bruder Andreas Murk OFM Conv. (Vorsitzender der Deutschen Ordensobernkonferenz, Provinzialminister der Franziskaner-Minoriten Provinz St. Elisabeth): Das war dem Franziskus ein wichtiges Anliegen in Abgrenzung zur damals sehr durchhierarchisierten Kirche. Er wollte eine Gemeinschaft von Gleichen. Egal ob da jemand Arzt war oder Landarbeiter, die Brüder sollten auf einer Stufe stehen. Das ließ sich über die Jahrhunderte nicht immer durchhalten. Auch da gab es also dann Abstufungen und Verwirrungen.
Im Erleben finde ich das sehr hilfreich. Kirche ist ja heute auch noch ziemlich hierarchisch strukturiert. Die Mehrheit der Deutschen interessiert ein Titel wie "Provinzialminister" oder "Abt" gar nicht. In kirchlichen Kreisen ist es dann mitunter doch noch herausgehoben. Ich denke dann manchmal so schmunzelnd in mich hinein: Aber nach vier Jahren ist man so einen Posten wieder los! Und dann stehe ich wie alle anderen meiner Brüder auch ganz normal am Platz. Ich finde, das hat was sehr Befreiendes.
Frage: In der Kirche wird jede Verantwortungsposition als "dienen" betrachtet, was von außen oftmals kritisiert wird: Vielleicht wird verdrängt, dass es diese Hierarchien doch gibt. Menschen sind ja auf unterschiedlichen Ebenen und reden unterschiedlich miteinander. Einige sagen, dass das ein Teil der ganzen kirchlichen Problematik sei. Würden Sie da mitgehen, oder ist das zu sehr um die Ecke gedacht?
Murk: Da könnte ich schon zumindest zu einem großen Teil mitgehen. Wir würden nicht verleugnen, dass der Provinzialminister auch ein Chef ist. Es wird von mir gefordert, dass ich Leitung wahrnehme. Dafür bin ich auch von den Brüdern gewählt. Es ist klar, dass Leitung sich nicht immer nur beliebt macht. Wenn ich heute aber gucke, wie viele Menschen in der Kirche Leitung ablehnen, dann würde ich das schon mal als Indiz nehmen, dass da auch sehr viel Dienst drin steckt.
Wenn das nur Vergnügen wäre und schrankenlose Machtausübung, dann würden da vielleicht die inneren Impulse noch mehr zustimmen. Das, was wir da franziskanisch einbauen, also eine Amtszeitbegrenzung, auch eine Wiederwahlbegrenzung, demokratische Ergänzungsstrukturen und sehr viel Dialog, bewahrt davor, glaube ich, dass diese Position des Provinzialministers zu einer einseitigen Machtposition wird.
Es ist aber klar, wir haben eine Hierarchie. Die gibt es auch in der franziskanischen Welt, man kann sie auch nicht wegleugnen. Das hielte ich auch für falsch, weil man sich damit was vormacht. Ich würde auch sagen, jede Institution braucht eine gewisse Hierarchie, sonst endet das durchaus auch möglicherweise in Willkür.
„Jede Institution braucht eine gewisse Hierarchie, sonst endet das durchaus auch möglicherweise in Willkür.“
Frage: Für Sie persönlich kommt hinzu, dass Sie im Mai 2022 noch eine Ebene höher gegangen sind als Vorsitzender der Deutschen Ordensobernkonferenz (DOK). Hat sich da in Ihrem Kopf, in Ihrem Selbstverständnis oder im Miteinander mit den anderen was verändert? Oder viel spannender sogar noch: Gehen die Leute jetzt anders mit Ihnen um? Was macht das mit Ihnen, wenn jetzt Leute anders auf Sie zukommen und Sie quasi als "Chef der Ordensleute" betrachten?
Murk: Da würde ich mich jetzt schon mal wehren gegen die Aussage "eine Ebene höher". Das ist nicht mein Empfinden. Es gibt den Zusammenschluss der Ordensgemeinschaften DOK mit 400 Mitgliedsgemeinschaften. Dieser Verein braucht eine Leitung, die auf vier Jahre gewählt ist. Und ich habe das damals schon öffentlich gesagt: Die Anzahl der Menschen, die dafür Schlange stehen, diese Aufgabe zu übernehmen, das verdient das Wort Schlange ja gar nicht. Von daher sehe ich das nicht als ein "Höher".
Frage: Aber die Menschen gehen wahrscheinlich trotzdem jetzt anders auf Sie zu?
Murk: Ich kriege jetzt einen Einblick in andere Kontexte. Im kirchlichen Raum werde ich manchmal als Vorsitzender der Deutschen Ordensobernkonferenz erkannt. Aber auch das ist ja eine ganz andere Liga als meinetwegen der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz. Sehr viel weniger öffentlichkeitswirksam.
Es ist ja auch nicht so, dass der Vorsitzende der Deutschen Ordensobernkonferenz plötzlich dann Chef wäre für alle Klöster. Ganz und gar nicht. Jede Abtei, jede Schwesterngemeinschaft bleibt eine selbstständige Einheit, in die der DOK-Vorsitzende weder strukturell noch sonst irgendwie groß hineinreden kann.
Frage: Trotzdem müssen Sie ja quasi mit einer Stimme sprechen für die Ordensgemeinschaften in Deutschland, was ja mitunter doch ein viel breiteres Spektrum als beispielsweise bei den Bistümern ist. Das geht von ganz liberal bis ganz konservativ. Kriegt man das hin? Oder kommt da manchmal jemand auf Sie zu und sagt, dass Sie dieses oder jenes in der Öffentlichkeit jetzt aber nicht hätten sagen müssen?
Murk: Dadurch, dass mein Öffentlichkeitsradius begrenzt ist, passiert das relativ selten. Ich kriege aber auch schon mal Briefe, wo jemand artikuliert, dass er oder sie oder die Klostergemeinschaft das anders sieht. Deshalb würde ich auch als Vorsitzender der Deutschen Ordensobernkonferenz versuchen wollen, etwas entweder dann als meine Meinung zu deklarieren oder zu sagen, dass es innerhalb der Gemeinschaften alles gibt. Wenn man diese Seiten oder diese Richtungen benutzen will, gibt es von Links bis Rechts alles. Es ist auch gut, das immer wieder mal zu artikulieren.
Ich glaube, dass wir in den Gemeinschaften auch vormachen, dass eine Gemeinschaft funktionieren kann. Das täte der Kirche wohl auch gut, das wahrzunehmen. Ich könnte das für meine kleine Ordensprovinz sagen: Wir haben Brüder, denen geht alles viel zu langsam in der kirchlichen Entwicklung in Deutschland und andere, die sehen die Kirchenspaltung. Zwischen diesen Polen gibt es alles. Und irgendwie funktionieren wir doch auch als Gemeinschaft. Das ist eine wertvolle Beobachtung.
Frage: Wie kriegt man das hin? Konzentriert man sich auf das Verbindende, nicht auf das Trennende?
Murk: Ich würde sagen, wir in der Gemeinschaft oder in Klöstern an sich kriegen das hin durch unsere Tagesstruktur, die uns immer wieder zusammenführt, sei es in der Kapelle, sei es im Esszimmer, sei es am Abend im Wohnzimmer. Hinzu kommt aber auch ein geistliches Fundament auf Basis unserer Ordensspiritualität. Uns verbindet dann schon – jetzt in meinem Fall das Franziskanische oder unsere Ordensgeschichte.
Frage: Ich frage mich gerade, was sich der größere kirchliche Kontext da abgucken könnte. Wir befinden uns ja nun wirklich in einer Situation, in der die Meinungen extrem auseinandergehen. Ich versuche das Wort "Spaltung" zu vermeiden.
Murk: Die Kirche könnte sich abgucken: Erstens keine Angst zu kriegen, dass es da ein buntes Spektrum gibt und nicht nur schwarz-weiß. Und zweitens könnte man sich abgucken, dass ich dann auch dem anderen seine Existenz nicht absprechen muss.
Ich habe das in meiner Ordensausbildung auch schmerzhaft erfahren, wo ich für manche nicht katholisch genug war. Im Rückblick nach 15 Jahren stelle ich aber fest, dass ich mich mit manchen, die mich damals für nicht katholisch hielten, heute eigentlich ganz gut verstehe. Und umgekehrt. Das sind Prozesse, die kosten Zeit und vielleicht auch vieles mehr, aber die sind in ihrer Tiefe sehr wertvoll.