Himmelklar – Der katholische Podcast

Astronaut: Habe im All ein Stoßgebet abgesetzt

Veröffentlicht am 10.05.2023 um 00:30 Uhr – Von Katharina Geiger – Lesedauer: 

Bonn ‐ Der Physiker Reinhold Ewald kennt die Erde aus der Vogelperspektive: Denn er war Astronaut. Im Interview erzählt er von Einsichten aus dem All, zwei Arten von Himmel und einem Stoßgebet, das er dort oben schon gesprochen hat.

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Vom All aus wirken viele irdischen Probleme beeindruckend klein – die Perspektive gibt den Ausschlag. Das durfte auch Reinhold Ewald erfahren. Er war Astronaut und 1997 auf der Mir. Seit 2015 ist der Physiker Professor für Astronautik und Raumstationen an der Universität Stuttgart. Im Interview spricht er über die Fahrt ins All, seinen Blick auf zwei Himmel und was dort oben wirklich wichtig ist.

Frage: Wie ist so der Blick aus dem Weltall auf die Erde, wenn Sie sich daran zurückerinnern?

Ewald: Die Raumfahrt ist immer risikobehaftet und es ist sehr aufwendig, was man an der mangelnden Zahl an Starts schon sieht. Insofern ist die Zeit da oben sehr wichtig und wir werden intensiv auf diese Zeit vorbereitet. Das kühlt natürlich auch das Emotionale ab. Wir sind in dem Moment, in dem die Rakete startet, voll konzentriert auf das, was wir da oben demnächst dann leisten sollen. Das drückt natürlich die Gefühle – wie "Was passiert denn gerade hier mit dir?" oder "Welche unglaubliche Reise trittst du da gerade an?" – ziemlich weg.

Frage: Sie sagen schon, dass man sich vorbereiten muss. Auch körperlich natürlich. Ich war noch nicht in Schwerelosigkeit. Was ist das für ein Gefühl? Ist es auch so ein bisschen Kontrollverlust oder ein merkwürdiges Gefühl, wenn die Muskeln und die Schwerkraft nicht mehr so sind, wie man es gewohnt ist?

Ewald: Da gibt es zwei Aspekte: Das eine ist – als Mensch kann man das auf der Erde eigentlich nicht nachstellen, diese Situation der Schwerelosigkeit, dass sogar die inneren Organe schwerelos sind und schweben. Wir nähern das an durch Training unter Wasser, in dem dann ein neutraler Auftrieb hergestellt wird. Dann lernt man wenigstens schon mal die Bewegungen, die natürlich im Weltall dann auch anders sind, wo man sich ja nicht drehen kann oder keinen Fixpunkt hat. Das lernen wir in diesen Unterwasser-Übungen oder auch in 20-25 Sekunden Schwerelosigkeit bei sogenannten Parabel-Flügen. Das ersetzt aber nicht die lang anhaltende Schwerelosigkeit, die oben da ist und ein ganz anderes Körpergefühl erzeugt.

Als Physiker muss ich allerdings sagen, sehe ich ja zum ersten Mal Newtons Gesetze an mir in Realität in Wirkung. Das ist natürlich verblüffend, dass man sich irgendwo abdrückt und nicht in der Luft stehen bleibt, sondern wirklich ganz sanft dann an die Decke schwebt und da sich auch wieder abdrückt und trotz dieser ganz sanften Kraft unten wieder ankommt. Da muss man sich ein paar Tage dran gewöhnen, aber dann ist das wie Fisch im Wasser. Dann nutzt man auch die Vorteile wie die Dreidimensionalität der Schwerelosigkeit sehr gut aus.

Frage: Jetzt schlagen bei Ihnen, ich nenne es mal zwei Herzen in der Brust. Sie sind natürlich Wissenschaftler, das hören wir gerade schon durch und durch – und andererseits gläubig. Wie kann das bei Ihnen zusammengehen? Zum Beispiel als Sie dann abgehoben sind in der Sojus-Kapsel (im Raumschiff): Was geht einem da durch den Kopf?

Ewald: Ja, das ist im Deutschen natürlich eine Melange. Das ist der Himmel, in den ich da abhebe, und der Himmel, den mir im Kommunion-Unterricht die entsprechenden Unterweisungen beigebracht haben. Diese beiden Himmel trennt der Engländer oder die Engländerin und spricht von "Sky" (räumlicher Himmel, d. Red.) und "Heaven" (religiöse Bedeutung). Und so muss man das eben auch sehen. Ich habe nicht erwartet, in den "Heaven" zu fliegen, sondern es war schon klar, dass meine Zielrichtung eher der "Sky" war, also die räumliche Entfernung von der Erde, aber nicht in irgendwelche abgehobenen Sphären.

Und so habe ich weder erwartet, dort den Englein näher zu kommen oder sogar mystische Erlebnisse zu haben, noch habe ich sie gehabt. Das ist auch für einen gläubigen Menschen jetzt nicht ein Knackpunkt, wo man sagt, wenn ich da oben kein Gott-Erlebnis habe, dann war alles falsch, was ich bisher geglaubt habe. Im Gegenteil, man nimmt das sozusagen innen mit und man erwartet nicht, dass die äußere Umgebung einen in irgendeiner Form da religiös inspiriert.

Das Foto "Earthrise" wurde am 24. Dezember 1968 von Bill Anders aufgenommen.
Bild: ©Bill Anders/NASA

Vom Weltall aus ergibt sich eine neue Perspektive auf die Erde.

Frage: Auch wenn es kein Gott-Erlebnis ist, frage ich trotzdem ganz im übertragenen Sinne: Haben Sie Gott da oben gefunden?

Ewald: Das habe ich weder gesucht, noch hat es meine Religiosität wesentlich verändert. Was ich aber mitgenommen habe, ist, dass ich viel eindrücklicher jetzt schildern kann, was zum Beispiel im Buch Genesis beschrieben wird, die Trennung von dunkel und hell. Diese ganz scharfen Kontraste, die man also beim Blick auf die Erde und beim Blick in den dunklen Himmel oder das Universums als solches dann hat.

Oder diese Scheidung von Land und Wasser, die man aus unserer Orbitalperspektive wunderbar sieht. Immer wenn wir vom Ozean kommend auf Land stoßen, ist das eine ganz scharfe Trennlinie, wunderbar geformt und mit ganz vielen Farbänderungen. Und so hängen wir natürlich in jeder freien Minute auch am Fenster, um uns bekannte oder identifizierbare Gegenden unten vorbeiziehen zu sehen. Das sind natürlich Eindrücke, gerade wenn man die Schöpfungsgeschichte dann noch mal liest, wo man sagt: Aha, da hat der Schreiber dieser Erzählung dann doch richtige Worte gefunden, die sich plastisch mit den Bildern aus dem All belegen lassen.

Frage: Heute sind Sie Professor an der Uni Stuttgart für Astronautik und Raumstationen. Im Jahr 1997 waren Sie im Weltall. Hat sich seitdem für Sie irgendwie der Blick auch auf das Nichtige, auf das, was wir so im Alltag alles erleben und uns darum kümmern hier auf der Erde, verändert?

Ewald: Es ist eine persönliche Erfahrung, dass man ein großes Projekt in die Hände gelegt bekommt oder damals bekam und dass dieses Projekt mit der Hilfe ganz vieler Menschen, die das unten auf der Erde vorbereitet haben, glücklich ausgegangen ist. Wir hatten ja sogar einen Gefahrenmoment, wo wir ein Feuer an Bord der Raumstation zu bekämpfen hatten. Das ist eine der kritischsten Situationen, die man sich in so einem geschlossenen Raum vorstellen kann. Und wir sind da heil rausgekommen. Das war auch ein Moment, wo ich durchaus zugebe, mal ein Stoßgebet abgesetzt zu haben.

Nicht, weil ich um mein Leben fürchtete, sondern weil ich um den Erfolg und den guten Ausgang all dieser Bemühungen dann doch besorgt war. Das sind Dinge, aus denen man persönlich gestärkt hervorgeht, wo man jetzt nicht irgendwo einen Eingriff Gottes in das Räderwerk der Welt annimmt, sondern wo man sagt: Ich habe mir etwas zugetraut und es ist gut gegangen. Die Anerkennung tut natürlich auch gut, die man von außen bekommt, aber es ist ein Privileg, was vielleicht dann auch dazu verpflichtet, diese Erfahrung weiterzugeben. Nicht ganz zufällig bin ich dann auch an Universitäten tätig geworden und habe heute Gott sei Dank auch ein Publikum für diese meine Erfahrungen.

Frage: Da geben Sie das ja dann unter anderem wieder. Was ist so die Resonanz, wenn Sie dann in Ihren Vorlesungen davon sprechen, wenn Sie die Menschen selbst darauf vorbereiten und Ihnen das Wissen über die Raumstationen, die so um uns im Weltall schweben, weitergeben?

Ewald: Erst mal nutze ich das Interesse und die Faszination, die die Weltraumfahrt in all ihren Aspekten bietet. Ob Satelliten, Erdbeobachtungsatelliten oder planetare Sonden oder eben auch die astronautische Raumfahrt, wie wir heute sagen, benutze ich dazu, allgemeines Interesse für die sogenannten MINT-Fächer – Mathematik, Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften, Technik – zu wecken, indem ich auch dann sage: Ich habe das jetzt nicht studiert. Ich habe nicht gezielt die Studienfächer gewählt, damit ich dann, wenn die Astronauten-Auswahl stattfindet, alle Papiere vorlege und damit einen Durchmarsch mache, sondern es hat mich einfach interessiert. Es hat mich fasziniert.

Und ich hoffe, dass meine Erzählungen euch jetzt auch dazu bringen, in ähnlicher Weise an der Erforschung der Welt und des Weltalls mitzuarbeiten. Vielleicht habt ihr dann ja auch die Chance mit eurer Ausbildung einmal selbst dieses Erlebnis zu haben.

Aber egal, wie es ausgeht, die Beschäftigung mit diesen naturwissenschaftlichen Fragen, die Neugier mehr zu erfahren über unsere Welt, das ist schon ein Wert in sich, auch wenn ihr vielleicht dann im Team daran arbeitet, andere Menschen im All zu unterstützen und nicht selbst ins All kommt.

„Auf einer persönlichen Ebene versuche ich diese Flamme wirklich ganz sorgfältig am Leuchten zu halten, denn ich glaube, dass wir aus dieser Sache, wenn dann die Politik irgendwo mal eine Lösung gefunden hat, nur rauskommen, indem wir wieder dann auch die persönlichen Kontakte, die sich ja nicht geändert haben, und die persönliche Affinität zueinander, wieder aufleben lassen können.“

—  Zitat: Reinhold Ewald

Frage: War es für Sie denn ein Kindheitstraum, ein Wunsch?

Ewald: Ich habe mich tatsächlich viel mit Science-Fiction beschäftigt. Ich habe auch die Physik gewählt, weil es nahe an der Astronomie ist. Ich habe mich also durch die entsprechenden Bücher in der Stadtbibliothek Mönchengladbach durchgelesen. Das war aber sicherlich nicht alles mit dem Ziel und mit dem Wunsch, Astronaut zu werden. Das ergab sich erst 1986.

Ich sitze auf dem Lehrstuhl, den damals Ernst Messerschmid bekam, der 1985 mit einer deutsch finanzierten Mission im Weltall war. Also da gibt es Kontinuität, wo man mehr und mehr in diese Richtung kommt und sagt: Ach, das wäre vielleicht für dich auch interessant, aber garantieren kann man das keinem.

Frage: Es ist ein großes Glück, dass Sie das in Ihrem Leben erleben durften, dass Sie oben im Weltall waren. Wenn Sie jetzt die Möglichkeit noch mal bekommen würden, würden Sie noch mal rauf fliegen?

Ewald: Das ist jetzt eine ganz schwierige Frage, dann heißt es nachher, der Ewald hat keine Lust mehr zu fliegen. Natürlich reizt mich ein solches Projekt wieder, aber ich weiß ganz genau, dass ich nicht der Richtige oder die Richtige bin, weil es natürlich eines langen Vorlaufs, eines langen Trainings und einer entsprechenden Ausbildung auch bedarf, diese Art Raumfahrt, die ich liebe, zu machen. Nicht einen touristischen Ausflug, bei dem man am Fenster ist und staunt "Oh my god" und "It's full of stars" oder so was. Diese Dinge liegen mir nicht so.

Und die anderen zu erreichen, das schaffe ich jetzt in der fortgeschrittenen Zeit meiner Karriere dann doch nicht mehr. Das überlasse ich Jüngeren. Die Europäische Weltraumorganisation ESA hat ja gerade ein frisches Korps von Astronautinnen und Astronauten vorgestellt. Die haben jedes Recht, auch zu ihrem Flug zu kommen und zu ihrer Erfahrung. Und das würde ich auch gerne unterstützen.

Frage: Ins All heißt auch: mit anderen Nationen zusammen. Sie waren damals unter anderem mit einem Ukrainer und mit einem Russen auf der Station. Internationalität ist also das große Stichwort. Wenn Sie das heute betrachten. Wie sehen Sie da die Verständigung, die Freundschaft? Klappt das im Weltall irgendwie noch mal anders als hier auf der Erde?

Ewald: Beantworten wir erst mal die Frage der Situation momentan in der Internationalen Raumstation: Die Internationale Raumstation ist tatsächlich eine Partnerschaft. Die USA, Russland, Kanada, Japan und auch europäische Staaten, vertreten durch die Europäische Weltraumagentur ESA, arbeiten da zusammen. Das haben wir 22/23 Jahre wunderbar hingekriegt. Bis zum vorigen Jahr, wo die Politik sich da draufsetzte, wo die Politik also dann auch meine russischen Kolleginnen und Kollegen dazu zwang, bestimmte Dinge zu tun. Das war fachfremd, es gehörte da gar nicht hin, aber hat diese Sache sehr belastet.

Inzwischen ist ein gewisser Pragmatismus eingekehrt. Man ist aufeinander angewiesen in dieser Partnerschaft. Russland hat jetzt auch das Engagement in der Raumstation über 2024 hinaus verlängert, hat also eingesehen, dass es ein Riesenverlust auch für die russische Wissenschaft und die russischen Wissbegierigen wäre, diese Raumstation zu kündigen, weil man da eben mit westlichen Leuten zusammenarbeiten muss.

Auf einer persönlichen Ebene versuche ich diese Flamme wirklich ganz sorgfältig am Leuchten zu halten, denn ich glaube, dass wir aus dieser Sache, wenn dann die Politik irgendwo mal eine Lösung gefunden hat, nur rauskommen, indem wir wieder dann auch die persönlichen Kontakte, die sich ja nicht geändert haben, und die persönliche Affinität zueinander, wieder aufleben lassen können. Momentan sind wir tatsächlich da natürlich durch die Politik in diesem Austausch behindert.

NGC 6357
Bild: ©NASA (Symbolbild)

Ewald hofft auf Impulse der Raumfahrt für das Leben auf der Erde.

Frage: Was können ganz bürgerlich die Menschen und auch Politikerinnen und Politiker von Ihrem Blick, also von dieser Verständigung untereinander, von der Internationalität und Zusammenarbeit im Team lernen oder vielleicht sich auch abgucken?

Ewald: Dass wir angesichts der Fragen und der Größe des Weltalls tatsächlich das nur in Kooperation schaffen. Der Weg zum Mond und auch der Weg darüber hinaus zum Mars, was ein interessantes Ziel für astronautische Raumfahrt in der Zukunft auch sein wird, ist nur möglich, wenn wir diese Blaupause der internationalen Zusammenarbeit nehmen, die auf der Internationalen Raumstation ja schon lange Jahre verwirklicht haben und das auch auf zukünftige Projekte anwenden.

Ich glaube nicht, dass diese Privatinitiativen, die jetzt da großsprecherisch am Markt sind, in gleicher Weise diesen Ansatz einer internationalen Kooperation ändern können oder ohne diesen Ansatz auskommen. Das ist eine Komponente, die momentan natürlich sehr im Vordergrund ist, wo gesagt wird, es sei doch ganz einfach – schaut mal, wir machen das hier. Aber so einfach ist Raumfahrt nicht und die Fragen des Universums sind nicht umsonst eigentlich eine gemeinsame Anstrengung wert, bevor man sie aufklärt.

Frage: Jetzt haben wir hier auf der Erde mit ganz vielen Krisen zu tun. Nennen wir die Pandemie, nennen wir den Krieg. Den haben wir schon tangiert in der Frage Ukraine, Russland und internationale Zusammenarbeit. Was gibt Ihnen bei all dem, was wir hier als Gesellschaft und als Erdbevölkerung zu bewältigen haben, Hoffnung?

Ewald: Na ja, wir haben unser Publikum. Man sieht es auf Twitter und anderen Kanälen, wenn die Astronauten heute ihre Bilder schicken. Wir haben ein Publikum, das die Botschaft versteht, dass, wenn man in 90 Minuten einmal um die Welt herumfliegt, also wirklich einen eigenen globalen Eindruck dieser Erde hat, dann sieht man, dass die nicht in kleine Teile zerfällt, dass wir uns hier nicht abschotten können von dem, was auf der anderen Seite der Welt, zum Beispiel in Richtung Klima, in Richtung Meeresströmungen, in Richtung Verschmutzung der Atmosphäre etc. abgeht. Wir können uns da nicht abkoppeln.

Diese Botschaft haben alle aus dem All mitgebracht, ob sie jetzt chinesische oder russische oder westliche Astronautinnen oder Astronauten sind. Wenn man da auf die Erde schaut, sieht man: Es ist gut eingerichtet, nur es ist ungleich verteilt. Und wir haben es tatsächlich in der Hand, damit auch ziemliches Unheil zu stiften, in dem wir auf falschen Wegen weitermachen. Das ist von uns aus natürlich authentischer, als wenn man einfach nur Satellitenbild hinter Satellitenbild legt und sagt: Das ist jetzt der Gang der Erdverschmutzung oder der Atmosphärenverschmutzung – und lasst mal gut sein. Da braucht man immer auch noch die menschliche Vermittlung, die wir, weil wir das Privileg hatten, in dieser orbitalen Situation auf der Erde zu schauen, dann auch verkünden.

Von Katharina Geiger