Neu-Abt von Stift Wilten: Eigentlich war ich gar nicht regulär wählbar
Mit nur 35 Jahren wurde Leopold Jürgen Baumberger Anfang Mai zum Abt der traditionsreichen Prämonstratenserabtei Stift Wilten in Innsbruck gewählt. Im Interview mit katholisch.de spricht der gelernte Apotheker, der auch ein paar Jahre im Priesterseminar der Diözese Linz verbracht hat, über seine durchaus überraschende Wahl und die Herausforderungen seines neuen Amtes. Außerdem äußert er sich zur Zukunft seines Klosters, zum Problem des Nachwuchsmangels und zum Stand der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen bei den "Wiltener Sängerknaben".
Frage: Abt Leopold, Anfang des Monats wurden Sie zum neuen Abt von Stift Wilten gewählt. Hat die Wahl Sie überrascht oder war schon vorher klar, dass es auf Sie hinauslaufen würde?
Abt Leopold: Nein, die Wahl hat mich durchaus überrascht, denn eigentlich war ich gar nicht regulär wählbar (lacht). Weil meine Ewige Profess noch keine fünf Jahre her ist, war bei mir nur eine sogenannte Postulation möglich, also eine Wahlbitte meiner Mitbrüder an Rom, mir für das Amt als Abt eine Dispens zu erteilen. Dafür war gemäß den Regeln unserer Konstitutionen bei der Wahl eine Zweidrittelmehrheit erforderlich – und mit einer solchen Mehrheit hätte ich vorher wirklich nicht gerechnet.
Frage: Diese große Mehrheit spricht für Sie. Oder mangelte es einfach an anderen Kandidaten in Ihrem Konvent?
Abt Leopold: Das würde ich so nicht sagen, im Gegenteil. Es waren aber offensichtlich mehr als Zweidrittel meiner Mitbrüder der Meinung, dass sie mir – dem jüngsten Mitglied des Konvents – die Aufgabe als Abt zutrauen. Ich sehe in diesem überwältigenden Votum ein großartiges Zeichen für die Einigkeit unseres Konvents.
Frage: Ihr Vorgänger Prälat Raimund Schreiner äußerte nach seinem Rücktritt im Dezember den Wunsch, dass sein Nachfolger aus einem anderen Kloster kommen möge. Gegenüber dem ORF sagte er damals: "Ich glaube, dass es ein Gewinn wäre, wenn jemand von auswärts kommt." Mit Ihnen haben Ihre Mitbrüder nun aber doch für eine interne Lösung votiert. Ist das ein Problem? Belastet das Ihr Verhältnis zu Ihrem Vorgänger?
Abt Leopold: Nein, überhaupt nicht. Ich denke, hinter seinem Wunsch steckte einfach die Idee, durch eine externe Lösung ein zusätzliches Mitglied für unseren Konvent zu gewinnen. Wir haben heute schon Schwierigkeiten, die vielen Aufgaben, die im Kloster anfallen, auf genug Schultern zu verteilen – etwas, das in den kommenden Jahren nicht leichter werden dürfte. Insofern wäre es in der Tat reizvoll gewesen, über die Wahl für "Nachwuchs" für unseren Konvent zu sorgen. Ich bin mir sicher, dass das der Hintergrund seines Wunsches war – und nicht etwa, dass er das Amt niemandem bei uns zugetraut hätte.
„Ein Kloster ist nie eine One-Man-Show, sondern immer Teamarbeit. Zumal ich davon überzeugt bin, dass es die Gemeinschaft stärkt, wenn man Aufgaben und Belastungen miteinander trägt.“
Frage: Fragen Sie ihn jetzt, in den ersten Wochen nach Ihrer Wahl, auch mal um Rat oder versuchen Sie eher, ihn rauszuhalten und Ihren eigenen Weg zu gehen?
Abt Leopold: Natürlich frage ich ihn um Rat! Er war immerhin drei Jahrzehnte Abt unseres Stifts und verfügt deshalb über enorme Erfahrung und Kenntnisse in allen Dingen. Wir sind aktuell noch in der Phase der Übergabe, da gibt es viel zu besprechen und gemeinsam anzuschauen. Es ist auch nicht mein Ziel, in der Führung des Stifts einen kompletten Bruch herbeizuführen. Sicher werde ich als Abt auch neue Akzente setzen, aber unsere fast 900-jährige Tradition möchte ich doch in einer gewissen Kontinuität weiterführen. Und dafür ist ein geordneter Übergang ganz wichtig.
Frage: Sie haben es schon gesagt: Sie sind das jüngste Mitglied Ihres Konvents und auch erst vor neun Jahren in das Kloster eingetreten. Böse Stimmen könnten behaupten, dass es Ihnen für die Führungsaufgabe als Abt noch an Erfahrung mangelt. Wie sehen Sie das? Ist Ihr Alter für das Amt ein Nachteil?
Abt Leopold: Eine gewisse Lebenserfahrung bringe ich ja durchaus schon mit. Bevor ich ins Kloster eingetreten bin, habe ich einige Jahre im Priesterseminar der Diözese Linz verbracht. Außerdem habe ich einen Studienabschluss in Pharmazie und bin Apotheker. Aber natürlich muss ich viele Dinge auch noch lernen, das ist mir durchaus bewusst. Wobei das mit dem Lernen im Leben ja ohnehin nie aufhören sollte – egal wie alt man ist.
Frage: Was haben Sie unmittelbar nach Ihrer Wahl empfunden? Haben Sie sich gefreut? Oder hat sich eine schwere Last auf Ihre Schultern gelegt?
Abt Leopold: Der erste Moment nach der Wahl war ein bisschen surreal, ich konnte das Geschehene erst gar nicht richtig einordnen. Aber dann haben mich so viele Glückwünsche und motivierende, mutmachende Nachrichten erreicht – das hat mir enormen Rückenwind gegeben, und ich habe sehr schnell eine relativ große innere Gelassenheit verspürt. Für mich ist klar: Ich will alle meine Talente und Fähigkeiten einbringen, um das Amt des Abtes so gut wie möglich auszufüllen. Dabei hilft mir die Gewissheit, dass ich die Herausforderungen des Amtes nicht allein tragen muss.
Frage: Ihr Vorgänger sprach nach dem Ende seiner Amtszeit von einer "großen Erleichterung", und auch Sie sprechen die Herausforderungen des Amtes an. Wie wollen Sie verhindern, dass Sie mit Ihrer neuen Aufgabe zu hadern beginnen oder gar daran zerbrechen?
Abt Leopold: Zum einen möchte ich versuchen, unsere vielen Aufgaben auf möglichst viele Schultern zu verteilen. Ein Kloster ist nie eine One-Man-Show, sondern immer Teamarbeit. Zumal ich davon überzeugt bin, dass es die Gemeinschaft stärkt, wenn man Aufgaben und Belastungen miteinander trägt. Außerdem möchte ich gerne die Seelsorge für drei Pfarreien im ländlichen Sellraintal weiterführen, die ich auch bisher schon betreut habe. Ich denke, dass mir das ein Stück Bodenhaftung gibt und als eine Art Rückzugsort dienen kann, wo ich bei Bedarf Kraft tanken kann für meinen Alltag im Kloster.
Frage: Stift Wilten ist ein sehr traditionsreiches Kloster, dessen Geschichte – Sie haben es schon gesagt – gut 900 Jahre zurückreicht. So eine Historie und die sich daraus ergebenden Traditionen sind sicher ein großer Schatz. Mitunter kann das aber auch den Blick auf die Gegenwart verstellen und notwendige Weichenstellungen für die Zukunft verhindern. Wie sehen Sie das?
Abt Leopold: Ich empfinde unsere Tradition tatsächlich als einen Schatz, aus dem wir schöpfen können. Dabei sollten wir versuchen, das Gute und Bewährte weiterzuführen und gleichzeitig diejenigen Dinge, die mit den Jahren vielleicht zur Belastung geworden sind, zurückzulassen. Nicht jede Tradition ist es wert, in die Zukunft getragen zu werden; manche Dinge haben ihre Zeit, und die kann irgendwann auch vorbei sein. Das ist auf dem Lebensweg eines Menschen ja nicht anders, man kann nicht immer alles mitschleppen. Manchmal muss man einen Schnitt machen und entscheiden, welche Dinge einem so wertvoll sind, dass man sie auf den weiteren Weg mitnehmen möchte und auf welche Dinge man verzichten kann.
Frage: Was ist derzeit die größte Herausforderung für ihr Stift?
Abt Leopold: Die größte Herausforderung sind sicher unsere vielen seelsorgliche Aufgaben. Unser Stift betreut derzeit 20 Pfarreien in der Umgebung, gleichzeitig sind immer weniger Mitbrüder im aktiven Dienst, die diese Aufgaben wahrnehmen können. Die große Frage der kommenden Jahre wird sein, wie es uns gelingen kann, die uns anvertraute Seelsorge gut fortzuführen, ohne die Mitbrüder sowie auch die Laienmitarbeiterinnen und -mitarbeiter völlig zu überfordern. Hier werden wir sehr genau überlegen müssen, was wir in Zukunft noch leisten können und was nicht mehr.
Frage: Ihr Konvent umfasst derzeit 22 Mitglieder, aber – Sie sagen es – nicht alle sind mehr einsatzfähig. Wie groß ist denn die Gefahr, dass Sie schon in absehbarer Zeit bestimmte Aufgaben nicht mehr erfüllen können?
Abt Leopold: Die Gefahr ist immer vorhanden. Trotzdem bin ich mit Blick auf unseren Konvent durchaus zuversichtlich, dass wir in eine positive Zukunft gehen können. Derzeit gibt es einen Kandidaten im Kloster, der sich recht konkret für das Ordensleben interessiert. Hinzu kommen ein paar weitere, bei denen zumindest eine Sehnsucht zu spüren ist. Von daher bin ich guter Dinge, dass auch die jüngere Generation nachkommen und unsere jahrhundertealte Tradition nicht abbrechen wird.
Frage: Gibt es mit Blick auf Ihren Konvent eine kritische Grenze an Mitgliedern, unterhalb derer der weitere Fortbestand des Klosters akut gefährdet wäre?
Abt Leopold: Nein, das sehe ich nicht. Es gibt Häuser unseres Ordens, die derzeit nur zwei oder drei Mitglieder haben – da ist man sicher an einer Grenze angelangt, an der man sich die Frage stellen muss, ob ein weiterer Fortbestand möglich und sinnvoll ist. Aber bei unserer Größe mit derzeit 22 Mitbrüdern ist das keine Frage, die sich stellt.
„Ich bin fest davon überzeugt: Das Evangelium hat eine so große Strahlkraft, dass es immer wieder Menschen begeistern wird. Vielleicht ist die Zahl derer, die diese Begeisterung in sich tragen, manchmal etwas kleiner, aber dann wächst sie auch wieder. Darauf vertraue ich.“
Frage: Der Nachwuchsmangel ist für fast alle Klöster in Westeuropa die zentrale Herausforderung. Viele Klöster mussten in den vergangenen Jahren bereits für immer ihre Pforten schließen. Wie blicken Sie auf die Situation?
Abt Leopold: Die Geschichte der Klöster ist voll von Auf- und Abbrüchen. Zu allen Zeiten gab es Gemeinschaften, die nach einer lange Blütephase irgendwann untergegangen sind, und genauso gab es immer wieder Gemeinschaften, die neu entstanden sind und eine neue Blütephase eingeläutet haben. Ich denke, dass dies auch in Zukunft so sein wird, denn ich bin fest davon überzeugt: Das Evangelium hat eine so große Strahlkraft, dass es immer wieder Menschen begeistern wird. Vielleicht ist die Zahl derer, die diese Begeisterung in sich tragen, manchmal etwas kleiner, aber dann wächst sie auch wieder. Darauf vertraue ich.
Frage: Ein großes Thema für die katholische Kirche weltweit ist seit vielen Jahren der Kampf gegen sexuellen Missbrauch. 2010 wurden auch in Ihrem Stift und bei den "Wiltener Sängerknaben" Missbrauchsfälle bekannt. Wie ist hier der aktuelle Stand? Sind diese Fälle vollständig aufgearbeitet?
Abt Leopold: Die Fälle, die uns bekannt geworden sind, bei denen sich Opfer gemeldet haben, sind aufgearbeitet. Ob darüber hinaus noch weitere Fälle im Untergrund schlummern, kann ich natürlich nicht vollständig ausschließen. Was ich aber sagen kann ist, dass vor allem die Prävention von Missbrauch in der österreichischen Kirche seit einigen Jahren groß geschrieben wird. Ich bin erst seit 2019 Priester und habe, glaube ich, seit Beginn meiner Ausbildung schon sechs Präventionsschulungen zu Missbrauch und Gewalt absolviert. Die Diözesen versuchen wirklich massiv, für dieses Themas zu sensibilisieren. Hinzu kommt die Wahrnehmung der Betroffenen: Darum kümmert sich in Österreich seit 2010 federführend die sogenannte Klasnic-Kommission, an die sich Betroffene wenden können, etwa für eine Anerkennung ihres Leids und eine Unterstützung in Form von Therapien oder ähnlichem.
Frage: Sie heben stark auf die diözesane und überdiözesane Ebene ab. Aber was tut Ihr Kloster? Welche Rolle spielt das Thema Missbrauch bei Ihnen? Ich war erstaunt, dass man dazu auf der Internetseite Ihres Stifts überhaupt nichts findet ...
Abt Leopold: Das Thema ist natürlich ein sensibles. Es gibt klare und vor allem fachlich kompetente Ansprechpartner bei den Diözesen und darüber hinaus, an die wir Betroffene weiterverweisen. Gleichzeitig denke ich, dass das Thema auch nicht ständig in der Öffentlichkeit präsent sein muss. Das hilft letztlich niemandem.