Von Ursachenfindung, Relativierung und philosophischen Konzepten

Debatten frühchristlicher Autoren: Kann Sklaverei gerecht sein?

Veröffentlicht am 20.05.2023 um 12:00 Uhr – Von Heike Grieser – Lesedauer: 

Mainz ‐ Sklaverei prägte die Lebenswelt antiker Menschen – auch die der Christen. Daher wurde real bestehende Sklaverei nicht grundsätzlich hinterfragt. Allerdings gab es Überlegungen zum Freikauf von Menschen oder zum angemessenen Umgang mit Versklavten.

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Sklaverei stellte in der kaiserzeitlichen Antike eine selbstverständliche Realität dar. Wenn der römische Jurist Gaius nach 160 nach Christus in seinem Lehrbuch formuliert, dass alle Menschen entweder Freie (liberi) oder Sklaven (servi) seien (Institutiones 1,9), ver­weist er auf ein allseits bekanntes und akzeptiertes Faktum, nämlich das der iusta servitus, der gerechten oder rechtmäßigen Sklaverei. Neben solchen Menschen, die als Freie (juristisch: persona) über ihr Leben selbstverantwortlich verfügten, fristeten Sklaven und Sklavinnen als Eigentum anderer weitgehend ohne persönli­che Rechte ihr Dasein (juristisch: res, also Sache). Ob sie, wie es das Römische Recht regelte, als Kriegsgefangene in die Sklaverei geraten, durch eine nichtfreie Mutter geboren, ausgesetzt, geraubt oder zur Sklaverei verurteilt worden waren oder sich selbst verkauft hatten, grundsätzlich galt, dass der Herr (dominus) die Gewalt (potestas) über ihr Leben und ihren Tod besaß. Weil Wohl und Wehe nahezu vollstän­dig in seinem Belieben lagen, gestalteten sich die Schicksale der Sklaven und Sklavinnen sehr unterschiedlich.

Als Teil dieser Sozial- und Rechtsordnung akzeptierten die frühen Christen und Christinnen die Institution der Sklaverei weitgehend. Eine fundamentale Kritik und Forderungen nach strukturellen Veränderungen finden sich aus verschiedenen Gründen kaum. Stattdessen riefen christliche Autoren in der Regel dazu auf, die existierenden Abhängigkeitsbeziehungen zum gegenseitigen Nutzen zu gestalten. Als Ideal des Zusammenlebens diente die aus dem heidnischen Kontext übernommene Vorstellung von einem oikos/einer familia (Haus-/­Familienverband). Wenn dort jede und jeder, gestuft nach dem jeweiligen Status, die zuge­dachten Aufgaben erfüllte, sollte das Miteinander gelingen. Deshalb erinnerte man Nichtfreie häufig an ihre Verpflichtung zum Gehorsam, sofern nicht der christliche Glauben gefährdet war. Zugleich, wenn auch seltener, warnte man Besitzende vor Machtmissbrauch und Gewalt­exzessen, die ggf. innergemeindlich bestraft wurden. Man forderte eine gute und gerechte Behandlung der Sklaven und Sklavinnen und erinnerte an eine Rechenschaftspflicht aller Christen und Christinnen vor Gott. Nicht der Besitz von Sklaven und Sklavinnen, sondern der falsche Umgang mit ihnen stand also in der Kritik. Gedeckt wurde diese Perspektive durch die relevanten alt- und neutestamentlichen Texte, denen man in dieser Zeit keine grund­sätz­liche Infragestellung der Sklaverei entnahm.

Andererseits: Wissen um Unglück der Versklavung

Allen Idealvorstellungen zum Trotz spiegeln die heidnischen und christlichen Quellen auch das Bewusstsein, dass das Sklavesein eine Last und Bürde darstellt. Zwar geben sie nur selten über die Perspektive der betroffenen Sklaven und Sklavinnen Auskunft, sodass deren Stimmen allenfalls zu erahnen sind. Aber sie thematisieren vielfältig die (nicht unbegründete) ­Furcht frei geborener Menschen davor, in Sklaverei zu geraten. Diese Bedrohung mag mit ein Grund dafür gewesen sein, die Fürsorgever­pflichtung der Herren für ihre Sklaven und Sklavinnen stark zu betonen. Die zahlreichen Bestimmungen des Römischen Rechts zu Freilassung und Freikauf unterstreichen darüber hinaus die grundsätzliche Solidarität der Freien unter­einander, sich verschiedene Möglichkeiten zum (Wieder-)Erhalt der Freiheit zu garantieren.

Es überrascht kaum, dass sich christliche Texte in der Regel sehr positiv zur Freilassung von Sklaven und Sklavinnen äußern. Dies setzt bereits bei Paulus ein. Der Apostel gibt im Philemonbrief seinen Wunsch nach Freilassung des mittlerweile getauften Sklaven Onesimus (höflich) zwischen den Zeilen zu erkennen, wobei er sich konkrete persönliche Vorteile durch die Unterstützung des Freigelassenen erhofft. Dass eine solche Entscheidung immer dem Besitzer überlassen wurde, dessen Eigentumsrechte nicht infrage stehen, bleibt auch in der Folgezeit die gängige Haltung. Insbesondere Predigten werben um die Freilassung von Sklaven und Sklavinnen als ein gutes Werk. Dieses nutze nicht nur den Befreiten, sondern auch den Freilassenden. Viele Inschriften und Testamente dokumentieren, dass man Versklav­ten die Freiheit schenkte, zum Teil an Bedingungen geknüpft. Darüber hinaus findet sich kaum eine Lebensbeschreibung eines heiligen Mannes oder einer heiligen Frau, die auf die Betonung des Engagements für Nichtfreie ver­zichtet, ins­be­sondere durch Freilassung oder Freikauf.

Bild: ©picture-alliance/Rainer Hackenberg

Schon der Apostel Paulus setzte sich für die Freilassung von Sklaven ein.

Ein solche Haltung lässt nicht nur mensch­liche Anteilnahme am Schicksal der Sklaven und Sklavinnen erkennen. Die varianten­reichen Äußerungen christlicher Autoren ent­halten gelegentlich auch grundsätzliche Über­legungen zur Sklaverei.

Dieses Nachdenken geschieht allerdings häufig nur zwischen den Zeilen. Situationsbedingt und zumeist schlaglichtartig beleuchten christ­liche Texte unterschiedliche Aspekte der Thematik. Dabei greifen sie einerseits auf bekannte, gelegentlich sehr verschiedene nichtchristliche Traditionen der Rechtfertigung zurück. Andererseits lassen sie durch die Kombination ­verschiedener Elemente oder durch eigene Entwürfe Neues entstehen. Dies erklärt die erkennbaren Widersprüche zwischen den Positionen; eine stringente Weiterentwicklung ­eines gar abolitionistischen Gedankenguts ist nicht zu erkennen. Offensichtlich provozieren nichtfreie Lebensverhältnisse nicht zu einer grundsätz­lichen Auseinandersetzung: Ein christ­licher Skla­vereidiskurs ist nur in Ansätzen greifbar.

Vom paradiesischen Urstand zur Sklaverei der Sünde

Stattdessen beschäftigen sich frühchristliche Theologen vor allem mit Themen der Schöp­fung, Anthropologie, Soteriologie und Eschatologie. Sie scheinen bedeutender als die Aus­einandersetzung mit der realen Sklaverei, die als eine vorübergehende Phase der Heilsge­schichte relativiert wird. Wenn die Autoren Fragen nach der Beziehung der Menschen zu Gott erörtern oder die menschliche Existenz charakterisieren, gebrauchen sie dafür in der Regel anschauliche Begriffe aus dem Themenfeld von Sklaverei und Gefangenschaft. Schon die paulinischen Briefe verwenden ein solches Vokabular (z. B. Röm 6,16: Sklaven der Sünde, die zum Tod führt). Diese Linie setzt sich weiter fort, wenn bei­spiels­weise Tatian um 170 nach Christus in seiner Oratio 11 formuliert, dass der ehemals freie Mensch deshalb erlösungsbedürftig sei, weil er durch die Sünde zu einem Sklaven geworden sei. Verschiedene Theologen führen unter Bezug auf die Genesis aus, dass der paradiesische Urstand von Gleichheit und Freiheit geprägt gewesen sei. In dieser Zeit habe nur zu Gott eine un­überwindbare, aber positiv gedeutete Abhän­gigkeit bestanden. So unterschiedlich die Quellen dann auch die konkreten Folgen des (Sünden-)Falls kennzeichnen, gemeinsam ist ihnen, dass sie die negativen Konsequenzen für alle Menschen mit Bildern aus der Sklaverei und Gefangenschaft illustrieren: Sie verlieren ihre Freiheit und geraten unter die Herrschaft des Todes, der Sünde oder der Begierden und bedürfen der Erlösung. Diese wird durch Christus ermöglicht, was bereits Paulus betont, indem er auf die Befreiung vom Joch der Sklaverei und die Kindschaft der Christen und Christinnen verweist (z. B. Gal 4–5,1).

Auch wenn man es anders vermuten könnte: Die Entstehung der realen Sklaverei wird in ­dieser Zeit allenfalls indirekt mit dem (Sün­den-)Fall des ersten Menschenpaares in Verbindung gebracht.

Philosophische Konzepte von innerer Sklaverei

Auffallend sind zunächst zahlreiche Anklänge an das geltende Römische Recht (Vgl. Beitrag E. Herrmann-Otto), das sich in verschiedenen Kontexten mit der Frage der Rechtmäßigkeit von Sklaverei befasste. Die reale Sklaverei wird auch durch Überle­gungen von Philosophen der Mittleren Stoa wie Marcus Tullius Cicero (gest. 43 vor Christus), Lucius Annaeus Seneca (gest. 65 nach Christus) (vgl. Beitrag M. Krumbiegel) sowie Epiktet (gest. 125 nach Christus) oder auch dem Redner und Philosophen Dion Cocceianus von Prusa (gest. nach 112 nach Christus) relativiert. Diese vertraten die Über­zeugung von ­einer grundsätzlich gravierenderen inneren bzw. moralischen Versklavung, die sowohl Freie als auch Sklaven und Sklavinnen betreffen könne. Menschen seien, im Letzten vollkommen unabhängig von ihren faktischen Lebensverhältnissen, entweder durch ihre Begierden/Affekte/Laster innerlich versklavt – oder eben innerlich frei, wenn sie diese beherrsch­ten. Der reale soziale Status verliert durch eine solche Fokussierung auf die innere Haltung an Bedeutung. Entscheidend wird die richtige Einstellung, nämlich die innere Freiheit gegen­über dem, was sich ohnehin ­nicht beeinflussen lasse, in diesem Fall die äußere Sklaverei. Darü­ber hinaus betont zum Beispiel Seneca in seiner berühmten Epistula 47 die natürliche Gleichheit aller Menschen und ermahnt daher seinen Adressaten Lucilius, stets daran ­zu denken, "dass der, den du deinen Sklaven ­nennst, gleichen Ursprungs ist" (Ep. 47,10).

Linktipp: Die Kirche und die Sklaverei: Von der Begründung zur Gegenwehr

Heute wird Sklaverei weltweit verurteilt, aber das war nicht immer so. Die Kirche hat Begründungen für die Sklaverei geliefert, schreibt Autor Josef Bordat. Aus ihrer Mitte kam aber auch der Impuls zur Abschaffung der jahrhundertealten Praktik

Ähnliche Überlegungen trägt etwa zeitgleich der jüdische Intellektuelle Philo von Alexandrien (gest. ca. 50 nach Christus) vor. In seiner Schrift "Quod omnis probus liber sit" beschäftigt er sich mit dem "wahrhaft Freien […], der allein Unabhängigkeit besitzt, auch wenn Unzählige sich zum Herrn über ihn aufwerfen." (c. 19, Philo von Alexandria 7,8 Bormann). Damit unterscheidet auch er zwischen einer schicksalhaften, äußeren Sklaverei (des Körpers) durch Gottes Ratschluss und einer inneren Sklaverei (der Seele bzw. des Geistes), die von der Beherrschung durch die Begierden gekennzeichnet sei. Wahre Freiheit bestehe nicht darin, keinem Herren unterworfen zu sein, sondern in innerer Unabhängigkeit bzw. Selbstbestimmtheit.

So sehr solche Konzepte auch die natürliche Gleichheit aller Menschen voraussetzten: Indem sie den faktischen, rechtlichen Personenstand im Grunde für unbedeutend erklärten, leisteten sie einen Beitrag zur Stabilisierung bzw. zur Marginalisierung bestehender Abhängigkeitsverhältnisse. Die reale und zugleich rechtmäßige Sklaverei, die schicksalhaft, zu­fällig oder durch göttliche Vorherbestimmung ­entstehen kann, wurde nicht grundsätzlich hinterfragt.

Relativierungen christlicher Autoren

Eine solche Haltung zur faktischen Sklaverei findet sich, gleichsam transponiert, auch in christlichen Kontexten. Auf einer theoretischen Ebene wird sie in ihrer konkreten Realität gemildert, wenn beispielsweise Tatian aus­führt, dass es gleichgültig sei, ob man als Sklave oder Freier lebe (Oratio 11). Die Sklaven­exis­tenz kann als Nachfolge Christi oder als Form der Bewährung interpretiert werden, dann häufig unter Verweis auf den biblischen Josef. Auf der praktischen Ebene wird Sklaverei durch Aufforderungen zu einem auskömmli­chen Mit­einander in ihren möglichen Exzessen ent­schärft. Diese Entwicklung setzt bereits bei den neutestamentlichen Haustafeln ein. Die Relativierung erfolgt weiterhin durch eine heils­geschichtliche Einordnung: Weder ist die Sklaverei ein Teil der Schöpfung Gottes, noch besteht sie über den Tod eines Menschen hinaus. So formuliert Hieronymus (gest. 419 nach Christus) mit Blick auf das Verhältnis des Philemon zu seinem Sklaven Onesimus fast beschwichtigend: "Keiner ist ewig Herr seines Sklaven. Denn seine Macht, und der Stand beider, wird durch den Tod beendet" (Commentarius in ­epistulam ad Philemonem 15f).

Gemälde mit Josef am Schreinertisch, Maria und Jesus gucken zu
Bild: ©KNA

Sklaverei wurde auch als Bewährung gesehen, mit Verweis auf den heiligen Josef.

Wenn frühe christliche Autoren über die Ursachen der Entstehung von Sklaverei nachdenken, dann spielt der in Gen 9,18-27 überlie­ferte ­Fluch Noachs über seinen Sohn Ham eine zentrale Rolle. Ham hatte den betrunken und nackt im Zelt schlafenden Vater nicht respektvoll bedeckt und das Vorkommnis seinen Brü­dern Sem und Jafet berichtet. Der erzürnte Noach verfluchte daraufhin Hams Sohn Kanaan dreimal dazu, seinen Brüdern Sklave der Sklaven zu sein. Unterschiedlich akzentuierend erklären einzelne Theologen mit diesem nachsintflut­lichen Ereig­nis nicht nur die Entstehung der Sklaverei. Zunehmend betonen sie außer­dem, dass sich dieser Fluch auf alle Abkömm­linge ­nicht nur Kanaans, sondern Hams erstreckt habe, und legitimieren auf diese Weise (mittelbar) die Unterwerfung verschiedener Völker als deren Nachkommen. Vorstöße für eine solche Deutung liefert Justin von Rom um 160 nach Christus in seinem Dialogus cum Tryphone 139, während Irenäus von Lyon diese Idee in der um 190 nach Christus entstandenen Demonstratio apostolica 20 bereits aus­geprägt entfaltet.

Eine besondere Rolle spielt möglicherweise Origenes (gest. um 253 nach Christus), der in einer nur lateinisch erhaltenen ­Übersetzung von Homilia in Genesim 16, 1 Kanaans Versklavung und die seiner Nachfahren nicht nur auf Hams Schuld zurückführt, sondern auch von einer decolor posteritas spricht. Dabei ist eine eindeutige ­Übersetzung der nicht im griechischen Original erhaltenen Stelle ­nicht möglich: Mit dem lateinischen decolor könnte (nur) ein moralisches Urteil im Sinne einer ­nachlässigen, minderwertigen Nachkommenschaft gefällt sein. Es könn­te aber auch auf eine entfärbte/gebräunte/­dunkle Hautfarbe dieser Abkömmlinge angespielt werden. In diesem Fall hätte Origenes den Grundstein für rassistische Begründungen der Versklavung dunkelhäutiger Menschen gelegt. Auch wenn die Frage nach seiner Verantwortung nicht zu entscheiden ist: Rassistische ­Rechtfertigungen von Sklaverei sind u. a. unter Bezug auf den Noachfluch in einem komplizierten, bis in das 19. Jh. andauernden Rezeptionsprozess vorgetragen worden.

Weitere bekannte Theologen erläutern, dass die Sklaverei durch die Schuld des Ham ent­standen sei. Zu erwähnen sind zum Beispiel im Osten indirekt darauf verweisend Gregor von Nyssa (gest. nach 394 nach Christus) oder explizit Johannes Chrysostomus (gest. 407 nach Christus). Dieser führt aus, dass die Sünde von Menschen zu drei Formen der Unterordnung geführt habe: Nach der Verfehlung des ersten Menschenpaares werde die Frau dem Mann unterstellt, die Sünde Hams bewirke die faktische Sklaverei, zu einem spä­teren Zeitpunkt entstehe schließlich die staat­liche Zwangsherrschaft. Für den Westen sind beispielhaft der sog. Ambrosiaster oder Ambrosius von Mailand (gest. 397 nach Christus) zu nennen. Ausdrücklich weist schließlich Augustinus von Hippo (gest. 430 nach Christus) in De civitate Dei 19,15 darauf hin, man lese in der Schrift nirgendwo von einem Sklaven, bevor nicht Noach mit diesem Begriff die Sünde seines Sohnes bestraft habe. Von Natur aus, so wie Gott den Menschen ursprünglich geschaffen habe, sei niemand Sklave eines Menschen oder einer Sünde. Weil aber fortdauernd gegen das Gesetz verstoßen wurde und werde, habe die Strafe der Sklaverei zu Recht Bestand.

Aristoteles und die Notwendigkeit der Beherrschung unterlegener Menschen

Dabei betonen nicht nur einige christliche Autoren, sondern bereits Philo, dass das ungebührliche Verhalten des Ham Aus­druck einer moralischen oder intellektuellen Unterlegenheit sei. Aus dieser ­Ver­anlagung ziehen sie wiederum Schluss­folgerungen hinsichtlich einer geradezu notwendigen Herrschaft über solche Menschen. Dabei greifen sie einerseits auf Klischees ihrer eigenen Zeit zurück, die Sklaven und Sklavinnen u. a. als dumm oder unzuverlässig beschreiben. Andererseits rufen sie Assoziationen zu weiteren ­nicht­christlichen Rechtfertigungen von Sklaverei hervor, insbesondere zu Aris­toteles (gest. 322 vor Christus).

Der Philosoph hatte mit seinen Aus­führungen über den "Sklaven von Natur" eine von der Natur vorgegebene Unterlegenheit vor allem nichtgriechischer (= auslän­discher) Sklaven und Sklavinnen behauptet und deren ­Bedürftigkeit nach Führung betont. Gleichzeitig begründete er damit, dass diese ihrem Eigentümer als Werkzeug dienen sollten. Auch wenn eine dezidiert christliche Aristotelesrezeption erst später einsetzte, lässt sich ähnliches Gedankengut bei spätantiken Theologen erkennen. So führt Basilius von Caesarea (gest. 378 nach Christus) Ham und Kanaan, aber auch Esau als Beispiele für die Notwendigkeit von Herrschaft an. Dabei will er deren Unter­ordnung nicht als Strafe, sondern als Wohltat verstanden wissen. Deshalb formuliert er in De spiritu sancto 51: "Wer nämlich infolge mangelnder Einsicht nicht in sich selbst von Natur aus eine Leitung hat, für den ist es besser, einem anderen zu gehören, damit er ­durch den Verstand seines Besit­zers gelenkt wird […]." (Fontes Chris­tiani 12, 229.  Mitarb. H. Sieben).

Ähnlich argumentiert auch Ambrosius von Mailand, Epistula 7,9: "Deshalb bringt nicht die Natur den Sklaven hervor, sondern die Torheit (in­sipientia)." Wenn Basilius andererseits in De spiritu sancto 51 betont, "daß unter den Menschen niemand von Natur aus Sklave ist" (ebd. 227), lässt sich deut­lich auch die Einflussnahme stoischen Gedankenguts erkennen.

Infragestellung der Sklaverei?

Auch wenn die reale Sklaverei mehr­heit­lich ­legitimiert wird, finden sich in wenigen Kontexten kritische Äußerun­gen, die man als revolutionäre Impulse deuten kann. So fordern verschiedene christ­liche Autoren wie Clemens von Alexandrien (gest. um 220 nach Christus) ihr Pub­likum dazu auf, die Anzahl der Sklaven und Sklavinnen zu reduzieren. In der Forschung diskutiert wird die harsche Sklavereikritik des Gregor von Nyssa in seiner In Ecclesiasten ­Homilia 4. Sie könnte sich nur auf verschiedene Missstände beim An- und Verkauf von Sklaven und Sklavinnen beziehen (vgl. dazu schon Offb 18,13) oder die Institution und den Sklavenbesitz grundsätzlich als Sünde geißeln. Immerhin verweist Gregor auf die Gottebenbildlichkeit und ­damit natürliche Freiheit aller Menschen, die nur Gott unterworfen seien. Darüber hinaus lassen sich ­einige Hinweise darauf finden, dass asketisch-­monastische Gemeinschaften als "Kontrastgesellschaft" das Ideal der Gleichheit aller praktisch umzusetzen versuchten. Häufig sind ­solche Bestrebungen, vor allem wenn Kollisionen mit den Interessen der Be­sitzer drohten, als gefährlich zurückge­wiesen oder gar mit häretischen Strö­mungen in Beziehung gesetzt worden.

Am Ende darf der Hinweis auf die bekannten Gleichheitsaussagen des Paulus zu den Auswirkungen der Taufe nicht feh­len: "Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus" (Gal 3,28, vgl. auch 1 Kor 12,13 sowie Kol 3,11).

Obwohl es heute naheliegend scheint, sind daraus keine Forderungen zur ­Gestaltung der sozialen Wirk­lichkeit und damit zur Abschaffung der Sklaverei abgeleitet worden. Eine solche Interpretation spiegelt einen neuzeitlichen Zugriff auf diese Texte und moderne Gleich­heitsvorstellungen. Was uns heu­te zumindest in unserem Kulturkreis selbstverständlich erscheint, stand über ­Jahr­hunderte hinweg nicht zur ­Debatte.

Von Heike Grieser

Die Autorin

Prof.in Dr. Heike Grieser ist Professorin für Alte Kirchengeschichte und Patrologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Ihre Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Christentum und Sklaverei,Kriegskultur, historische Frauenforschung.

Hinweis: Zeitschrift "Welt und Umwelt der Bibel"

Der Artikel ist zuerst im Heft 2/2023 der Zeitschrift "Welt und Umwelt der Bibel" des katholischen Bibelwerks erschienen. In der Ausgabe geht es um Sklaverei.