Generalsekretärin: Kirchentag und Katholikentag sind keine Konkurrenz
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Weniger als die Hälfte der Deutschen gehört mittlerweile einer der großen christlichen Kirchen an. Diese Minderheitssituation kennt die Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentags, Kristin Jahn, aus eigener Erfahrung.
Frage: Der Deutsche Evangelische Kirchentag ist nicht nur eine Veranstaltung, sondern ein eingetragener Verein, der auch außerhalb der Veranstaltungszeit existiert. Wofür braucht es den denn?
Jahn: Wir haben eigentlich sogar immer zwei Vereine. Wir haben einen ständigen Verein zur Förderung des Kirchentages, der läuft durch. Der hat sich gegründet kurz nach dem Krieg, auch aus dem Moment der Bekennenden Kirche heraus im Gegenüber zu den Amtskirchen. Das war damals auch ein Stück Abgrenzung, weil man bei dem, was Amtskirchen unter Hitlerdeutschland mitgemacht haben, deutlich gesagt hat: Davon setzen wir uns ab und wir wollen die Menschen versammeln und mündig machen, dass sie einen eigenen Bezug zur Schrift bekommen und dann auch sagen, dafür stehen wir als Christen in der Welt und in der Gesellschaft. Dafür treten wir ein.
Dieser Verein wird 2024 sein 75-jähriges Jubiläum feiern. Zur Durchführung von zentralen Kirchentagen gründen wir aber jeweils auch einen Durchführungsverein. Dieser Verein hat dann keine weitere Aufgabe, als alle zwei Jahre in einer besonderen Stadt oder in einer besonderen Region einen großen Kirchentag für ganz Deutschland auszurichten. Für beide Vereine bin ich Generalsekretärin und zusammen mit einem Kollegium dafür als Vorstandsmitglied auch federführend unterwegs.
Die ganzen Inhalte besprechen wir im Präsidium und in der Präsidialversammlung. Das sind unsere ehrenamtlichen Gremien. Man kann sich das wie eine Art Parlament vorstellen. Dort werden die Inhaltslinien glattgezogen. Da sammeln wir Themen, die in der Stadt und in der Region vor Ort von Interesse sind und die bei den Menschen deutschlandweit auf dem Tisch liegen. Daraus basteln wir uns dann unser Thementableau.
Frage: Es gibt den Evangelischen Kirchentag und den Katholikentag. Wie ist das denn mit dem Miteinander zwischen evangelischer und katholischer Seite? Gibt es da ein Konkurrenzdenken oder ist das ein unterstützendes Miteinander?
Jahn: Wir haben kein Konkurrenzverhältnis zum Katholikentag. Wir sind da geschwisterlich unterwegs. Es geht um die Fachexpertise wie etwa: Wie habt ihr das nach Corona gemacht, zum Beispiel in Stuttgart beim Katholikentag? Wir haben Mitarbeitende, die teilweise ein Jahr bei uns angestellt sind, und dann beim Katholikentag. Wir haben ein gemeinsames Lager, wo all unser Material in Hünfeld lagert.
Das ist der Ausdruck dessen, dass wir da auf Arbeitsebene ökumenisch unterwegs sind, weil uns klar ist, dass wir beide jeweils eine Großveranstaltung organisieren. Natürlich gibt es Unterschiede mit anderen Gremien und mit einer anderen Form davon, wie Verbände oder Ehrenamtliche abgebildet sind. Das unterscheidet uns schon. Wir würden das aber überhaupt nicht schaffen, wenn wir uns da nicht in einem guten Austausch befinden würden. Das ist ein Geschenk, beidseitig.
Frage: Sind solche kirchlichen Großveranstaltungen überhaupt noch zeitgemäß, wenn nicht mal mehr die Hälfte der Deutschen einer der beiden großen Kirchen angehören? Gibt es da überhaupt noch genug Interesse in der Bevölkerung?
Jahn: Warum lohnt es sich, dieses Geld in die Hand zu nehmen? Von Bund, Stadt und Land und auch von den Landeskirchen – die finanzieren da ja einiges rein. Diese Gesellschaft braucht immer ein Lagerfeuer, wo Kirche noch mal in einem anderen Gesicht erscheint. Das macht der Kirchentag möglich, weil wir einerseits basisdemokratisch von den Leuten nicht nur mit Geisteskraft und Fachexpertise unser Programm erarbeiten, sondern durch ehrenamtliche Hilfe überhaupt die Umsetzung möglich machen. Das ist ein Event, wo wir klar machen, wir packen an, wir sind das Parlament auf der Straße und Gesellschaft geht auch nur, wenn jeder mit anpackt. Das feiern wir fünf Tage lang.
Es ist gut, dass sich Landeskirchen das leisten, weil wir dort noch mal ein anderes Erscheinungsbild deutschlandweit produzieren können, auch offen Themen diskutieren können und nicht nur landeskirchliche Themen, sondern: Was heißt eigentlich Glaube in unserer Gesellschaft und wo finde ich heute noch Halt? Wir haben da keine Bekenntnisse zu verteidigen, sondern wir wollen offen zum Dialog einladen. Dieses zivilgesellschaftliche Moment ist, finde ich, wirklich ein riesengroßer Schatz. Wo haben wir das sonst noch, dass wir mit den Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft auf Augenhöhe auf einem Podium sprechen können und sagen: Wie geht es jetzt weiter? Wie kriegen wir das hin mit der Klimakrise?
„Wenn ich als Kind in der DDR darauf gewartet hätte, dass Honecker mir erlaubt in die Kirche zu gehen, würde ich heute noch vor verschlossener Tür stehen.“
Frage: Das ist also quasi der Moment, wo die Öffentlichkeit Kirche zu Gesicht bekommt? Die Öffentlichkeit, die sonst auch nicht in den Gottesdienst gehen würde, zum Beispiel?
Jahn: Vor allen Dingen zeichnet das Dialogmoment den Kirchentag ganz stark aus. Wir stellen uns dort den Fragen, denen wir uns alle als Menschen, als Christinnen oder auch Nichtchristen gegenübergestellt sehen. Das sind etwa Fragen wie: Welchen Frieden wollen wir? Wie gehen wir mit Blick auf den Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine jetzt weiter? Das betrifft doch nicht nur uns Christinnen und Christen, welche Antwort wir da finden. Das ist auch die Frage, wo man noch Halt findet in einer Gesellschaft, in der mittlerweile die Jugend sagt: Wir sind die letzte Generation. Das hat ja apokalyptische Momente.
Wie kriegen wir das hin, dass wir unsere Hoffnung und unsere Fachexpertise zusammennehmen und diese Gesellschaft nach vorn bringen? Diesen Dialogmoment in aller Offenheit und Freiheit, ich sage deshalb immer "Parlament auf der Straße", abseits von Berlin, das hat dort eine gewaltige Kraft und das ist der Schatz des Kirchentages.
Wir diskutieren aber dann nicht nur, sondern wir feiern auch unseren Glauben und unsere Hoffnung. Wir haben deshalb auch Bibelarbeiten, weil wir uns immer noch mal gründen. Wir haben uns ja nicht selber das Leben geschenkt. Das ist überhaupt der Schatz von Kirche, dass ich eigentlich begreife, ich bestehe nicht aus mir selbst heraus, mein Leben ist mir geschenkt worden, und das Leben meines Nächsten ist auch ein Geschenk. Dazu in Freiheit Ja zu sagen, das ist Kirche in der schönsten Art und Weise.
Frage: Sie haben schon betont, wie wichtig es ist, dass es Ehrenamtliche gibt, die diese Veranstaltungen mittragen. Sie kommen ja selbst aus einem Kontext, wo Kirche in der Minderheit ist. Sie waren Superintendentin der Evangelischen Kirche im Altenburger Land in Thüringen. Mit welcher Stimme sollte da die Kirche auch in einer Minderheitssituation in die Zukunft gehen?
Jahn: Unverzagt blicke ich darauf, weil ich mir immer sage: Mein Glaube und mein Bekenntnis hängen nicht davon ab, ob das ganze Dorf mit mir bekennt und glaubt. Wenn ich als Kind in der DDR darauf gewartet hätte, dass Honecker mir erlaubt in die Kirche zu gehen, würde ich heute noch vor verschlossener Tür stehen.
Deshalb kann ich diese ganzen "wir sind jetzt unter 50 Prozent"-Debatten überhaupt nicht nachvollziehen. Unsere Hoffnung hat 100 Prozent. Das ist das einzige, was zählt. Was ich gelernt habe, ist: Wir müssen uns als Kirche, als verfasste Amtskirche auch ein Stück davon lösen, dass es immer noch Sitte und Tradition als Zugangsweg gibt, und dann läuft das Schiff schon. Da müssen wir uns einmal fragen: Was ist heute der Weg für Menschen? Was suchen die? Wie müssen wir uns denn aufstellen? Und wir brauchen ein anderes Miteinander von Haupt- und Ehrenamt.
Dass die Ehrenamtlichen nur zum Schnittchenschmieren bestellt werden oder zum Shuttleservice, das ist nicht mein inneres Bild. Wir leben als Kirche davon, dass wir eine gemeinsame Bekenntnisgemeinde sind. Das Bekenntnis des Ehrenamtlichen ist nicht weniger oder mehr wert als das Bekenntnis des Pfarrers. Sich so ein Glaubensgespräch zu gönnen, das hat mich im Kirchenkreis Altenburger Land immer glücklich zurückgelassen. Es war mir eine Ehre, da mit Ehrenamtlichen zu arbeiten, die mündig zu machen und denen dabei zu helfen herauszufinden, was etwa dieses Schriftwort für mich bedeutet und was es für mich heißt: Wie kann ich selbst ein Gebet mit meinen Kindern machen?
Das ist die Hauptaufgabe, finde ich, dass wir in unseren verfassten Kirchen ihre innere Mission noch mal vor uns haben und in der Sprachfähigkeit uns gemeinsam begleiten. Da muss sich, glaube ich, das Hauptamt auch noch mal ein Stück drehen und sagen, die Kanzel gehört nicht nur dem Pfarrer allein, "dann läuft das schon". Sonst kriegen wir das nicht miteinander hin.