Kolumne: Römische Notizen

Ein Grab für einen deutschen Bettler in Rom

Veröffentlicht am 18.06.2023 um 11:30 Uhr – Von Gudrun Sailer – Lesedauer: 

Rom ‐ Am Rand des Petersplatzes starb letzten Herbst der deutsche Obdachlose Burkhard Scheffler, über den unsere Kolumnistin Gudrun Sailer vor zwei Jahren hier geschrieben hat. Nun ist seine Geschichte vollendet: Er hat im Pilgergrab am deutschen Friedhof im Vatikan seine letzte Ruhe gefunden.

  • Teilen:

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.

Geboren im Ruhrgebiet, evangelisch getauft, im Leben irgendwo falsch abgebogen, gestrandet in Rom, zehn Jahre auf der Straße gelebt, an einem Novembermorgen erfroren am Petersplatz, dortselbst von einem erschütterten Papst als "Jesus für einen jeden von uns" bezeichnet, im Vatikan beerdigt. Der Zeitraffer passt nicht zu Burkhard, der in seinen römischen Jahren nichts hatte außer viel, viel Zeit. Aber manchmal, hier, liegt im Konzentrat eines ungeraden Lebenslaufs ein Glanz, der anrührt. Mich zumindest, die ich Burkhard seit 13 Jahren kannte und gleichzeitig ganz arg nicht kannte.

Gern von sich erzählt hatte er nie, mehr noch: Nachfragerei schlug ihn zuverlässig in die Flucht. Scheu und leise habe ich Burkhard in Erinnerung. Welche Sondervereinbarung wir in puncto Almosen hatten, was ihm der berühmte Italo-Rapper Jovanotti für einen Auftritt als Komparse in einem Musikvideo zahlte und warum Burkhard schließlich im Gefängnis landete, habe ich hier vor zwei Jahren notiert. An jenem Tag im härtesten italienischen Corona-Lockdown muss er komplett die Nerven verloren haben. Er war, glaube ich, suchtkrank und hatte kein Geld für Bier, weil kaum jemand unterwegs war, den er hätte anbetteln können. Da bedrohte er einen Passanten, der ihm nichts geben wollte, mit dem Messer. Wie gesagt, ich kannte Burkhard ganz arg nicht.

Großer Anteil an Burkhards Leben

Sein Pflichtverteidiger, der ihn mochte und mehr für ihn tat, als er gemusst hätte, berichtete mir jedes Mal von einem friedlich lächelnden und etwas dickeren Burkhard, wenn er ihn im Gefängnis besuchte. Ins Reden kamen die beiden nicht, weil der Häftling nur Deutsch sprach. Doch auch ein bayerischer Kurienpriester, der ihn kannte, schaute regelmäßig vorbei (ich durfte nicht, weil ich keine Angehörige war) und brachte ihm Sachen und das Gefühl, nicht ganz vergessen zu sein. Überhaupt freute ich mich zu sehen, dass viel mehr Leute als vermutet Anteil nahmen an Burkhards Geschick. Man sah ihn nicht mehr, aber man dachte trotzdem an ihn. Und alle waren wir froh, ihn im Trockenen zu wissen. Vielleicht schafft er es ja, durch die erzwungene Zäsur im Leben wieder Tritt zu fassen. Das hofften wir für ihn. Das hoffen wir für jeden Häftling.

Bild: ©Gudrun Sailer

Die Urne des deutschen Obdachlosen Burkhard Scheffler.

Endlich, nach zweieinhalb Jahren, sollte Burkhard freikommen – und zugleich abgeschoben werden. Doch dann saß er, ich traute meinen Augen nicht, auf der Straße unter unserem Haus, als ob nichts wäre! Freude und Sorge. Das mit der Abschiebung hatte er nicht ganz verstanden. Und diesmal willigte er ein: Ja, bitte, er wolle zurück nach Hause. Im Konsulat der deutschen Botschaft fand sich eine äußerst verständnisvolle Beamtin. Sie schickte ein Formular, war dazu bereit, uns auch außerhalb der Öffnungszeiten zu empfangen. Burkhard Scheffler sollte zurück nach Hause reisen können. Das Formular steckte griffbereit in meiner Tasche, als ich am Tag darauf erfuhr, dass er es nicht mehr brauchte. Er war schon zu Hause, ganz zu Hause.

Sein Tod hielt auf Trab

Dass zwischen Tod und Beerdigung sieben Monate vergingen, obwohl sich die Erzbruderschaft am deutschen Friedhof im Vatikan rasch dazu bereit erklärte, den obdachlosen Toten in ihrer Pilgergruft zu bestatten, passt wieder zu dem Burkhard, den ich kenne. Die Konsularabteilung machte zwei enge Angehörige in Deutschland ausfindig, die mir mein bettelnder Nachbar verschwiegen hatte. Bürokratische Hürden tauchten auf. Viele Menschen führten viele Telefonate, Dienstpost ging hin und her, in Rom und Berlin, im Vatikan, im Ruhrgebiet. Der bayerische Kurienpriester brachte von Zeit zu Zeit den Papst auf den letzten Stand der Dinge. Deutsche und Niederländer schickten Spenden für die Einäscherung, die die Stadt Rom vornahm. Burkhard war im Leben arm, anspruchslos und viel für sich allein gewesen. Im Tod hielt er sie alle eine Weile auf Trab.

Die Feier am Campo Santo Teutonico vergangenen Freitag war sehr schön. Hier im Vatikan bestattet zu werden, ist ein Privileg, das Burkhard als Protestanten unter normalen Umständen nicht zuteil hätte werden können. Doch zum Stiftungsauftrag der hier ansässigen, bald 600 Jahre alten Erzbruderschaft gehören die Fürsorge für Pilger deutscher und flämischer Sprache, das Totengedenken und die christliche Barmherzigkeit, die für Offenheit, Weite und Kreativität steht. So ist Burkhard Scheffler (Gladbeck, 1. Mai 1961 – Rom, 25. November 2022) nach seiner langen und rätselhaften Pilgerreise angekommen. Gleich hinter der Friedhofsmauer im Vatikan, hoch über der Pilgergruft, in der seine Asche ruht, wölbt sich die Kuppel von Sankt Peter, umgeben von viel Himmel.

Von Gudrun Sailer

Kolumne "Römische Notizen"

In der Kolumne "Römische Notizen" berichtet die "Vatikan News"-Redakteurin Gudrun Sailer aus ihrem Alltag in Rom und dem Vatikan.