Warum der kleine Wallfahrtsort Medjugorje ein Phänomen darstellt
Fußballtrikots flattern auf Plastikbügeln im Wind. Dass der Spieler, dessen Name es trägt – Luka Modric – aus dem Nachbarland Kroatien stammt, ist vielleicht ein Zeichen der Völkerverständigung. Vielleicht auch nur ein Marketing-Gag. Denn von Marketing versteht man etwas in Medjugorje, diesem Dorf im äußersten Westen von Bosnien-Herzegowina. Der Ort ist geprägt von Kontrasten: 2.300 Einwohner gegenüber drei Millionen Pilgern im Jahr; Luxus-Hotels nahe jenen Häusern, die noch Einschusslöcher aus dem Bürgerkrieg aufweisen. Und eben Fußballtrikots inmitten von Rosenkränzen, Weihwasser-Fläschchen und Marienfiguren.
Marienfiguren, vor allem sie sind hier zu haben, in allen Farben, Größen und Preisklassen. Viele haben eher den Charakter eines Urlaubssouvenirs – preisgünstige, offenkundig nicht immer gut verarbeitete Plastikpüppchen. Doch das Angebot reicht bis zu hüfthohen Marmorstatuen und edlen Priestergewändern, die in Glasvitrinen verwahrt werden. Ob innig berührter Pilger, aufgeschlossener Geistlicher oder erheiterter Tourist, hier kommen viele Menschen – oder: Zielgruppen – auf ihre Kosten.
42.000 Erscheinungen in 42 Jahren?
Medjugorje zählt zu den größten katholischen Wallfahrtsorten. Bekannt wurde das Dorf durch Berichte von Marienerscheinungen seit Juni 1981 von damals sechs Jugendlichen, die bei einigen bis heute andauern sollen. Die über 42.000 Marienerscheinungen, von denen hier in den vergangenen 42 Jahren berichtet wurde, stellen einen Spitzenwert dar.
Die Kirche hat die Erscheinungen bislang nicht offiziell anerkannt, jedoch mehrmals untersucht. Papst Franziskus äußerte sich zur Frage nach deren Echtheit bislang nicht selbst, entsandte jedoch seit 2017 einen Bischof als vor Ort lebenden Beauftragten und Visitator und erlaubte 2019 erstmals auch von Bischöfen geleitete Pilgerfahrten nach Medjugorje.
Vor zwei Jahren erlebte der Ort nach der Corona-Pandemie einen Höhepunkt, als zum 40. Jahrestag der Erscheinungen wieder viele Pilger und Priester zusammenkommen durften. Doch auch an einem durchschnittlichen Frühlingstag herrscht hier reges Treiben. Menschen stehen am Vormittag ebenso wie am frühen Abend an, um feuchte Stellen an der bronzenen Christus-Figur abzuputzen, die im Garten hinter der Kirche Sankt Jakobus steht. Viele nutzen dafür kein 08/15-Taschentuch: Auch "Tränentücher" werden in den Souvenirshops angeboten, die sich auf der Straße vor der Kirche aneinanderreihen.
Was religiös weniger musikalische Beobachter putzig finden mögen, sorgt durchaus für Kritik. Der Schöpfer der Jesus-Skulptur beispielsweise, der slowenische Künstler Andrej Ajdic, spricht sogar von einer Mafia. Diejenigen, die das Wasser an der Statue für ein Wunder hielten, würden ausgenutzt, um "ein Riesengeld" zu verdienen, sagte er einmal im Deutschlandfunk.
Seltsam stimmiges Nebeneinander
Von der überlebensgroßen Figur führt ein idyllischer Weg zur Kirche, die selbst eher schlicht ist. Gottesdienste werden auf der Bühne im Freien zelebriert, und viele Messen sind vollbesetzt: Ordensleute im Ornat, ins Gebet vertiefte Besucher aus aller Welt, Familien. Während der Fürbitten kicken ein paar Jungs auf der benachbarten Wiese, Spaziergänger mit Getränk in der Hand bleiben stehen, halten einen Moment inne. Dieses Nebeneinander, das anderswo deplatziert wäre, wirkt hier seltsam stimmig.
Neben der Kirche findet sich eine Reihe von Kabinen; ein Ampelsystem zeigt an, ob sie besetzt oder frei sind. Ein kleines Schild weist darauf hin, welche Sprache gesprochen wird: Über den meisten dieser Beichtstühle steht "hrvatski", Kroatisch. Hier bilden sich keine Schlangen, aber immer wieder warten Einzelne geduldig auf Einlass.
Wer etwa Ende Juli zum "Mladifest" kommt, einem internationalen Jugendgebetstreffen mit jährlich Tausenden Gästen, der kann zusätzlich auf den "Erscheinungshügel" Podbro wandern. Und wem all das zu wenig handfest erscheint, dem sei ein Ausflug ins nahegelegene Mostar empfohlen: Schönheit und Symbolkraft der Alten Brücke, die 1993 gesprengt wurde und seit 2004 wieder Ost und West miteinander verbindet, dürften kaum strittig sein.