Bischof ohne Volk und Land – was dürfen Titularbischöfe?
Eigentlich gehört jeder Priester zu einer Diözese, einem Orden oder einem ähnlichen Verband. Doch bei Bischöfen bleibt das Kirchenrecht ungenau: Gilt das auch für sie? Und was ist mit Bischöfen, die keinem Bistum vorstehen? Nachdem Papst Franziskus Erzbischof Georg Gänswein zurück in sein Heimaterzbistum Freiburg geschickt hat, stellt sich für ihn wie für die Diözese diese Frage. Der Freiburger Kanonist Georg Bier sieht verschiedene Möglichkeiten, wie man mit der kirchenrechtlichen Unklarheit umgeht – aber immer mit dem gleichen praktischen Ergebnis. Die wichtigere Frage ist für ihn eine andere: Wozu gibt es eigentlich Titularbischöfe?
Frage: Jeder Kleriker muss in eine Diözese oder einen anderen Verband inkardiniert sein, heißt es im Kirchenrecht. Was bedeutet das und warum ist das so?
Bier: Für jeden Kleriker gibt es einen geistlichen Heimatverband und insbesondere einen verantwortlichen Oberen. Der kirchliche Gesetzgeber will nicht, dass es Kleriker gibt, die frei in der Welt herumziehen, ohne an irgendeinen Inkardinationsverband oder an irgendeinen Oberen gebunden zu sein, ohne dass jemand die Verantwortung und Aufsicht über sie übernimmt. Der Inkardinationsobere ist in der Regel der Diözesanbischof, bei Ordensleuten der Ordensobere.
Frage: Das Kirchenrecht formuliert diese Regel in c. 265 CIC eindeutig und pauschal: "Jeder Kleriker muss inkardiniert sein", Kleriker ohne Inkardination darf es "in keiner Weise geben". Gilt das auch für Bischöfe?
Bier: Das ist tatsächlich eine Frage, die nicht eindeutig geklärt ist. Hier gibt es Raum für verschiedene kirchenrechtliche Positionen. Eine Position ist, dass Bischöfe nicht zu jenen "Klerikern" gehören, auf die sich c. 265 bezieht. Andere vertreten, dass Bischöfe mit ihrer Weihe keine Inkardination mehr haben. Damit sind sie aber nicht völlig freischwebend: Sie werden ins Bischofskollegium eingegliedert und haben den Papst als Oberen. Mehrheitlich dürfte die Position vertreten werden, dass Bischöfe dem Inkardinationsverband angehören, dem sie vorstehen. Im Wort "Inkardination" steckt "cardo", die Türangel: Der Inkardinationsobere ist gewissermaßen die Angel, an der eine Tür aufgehängt ist. Damit ist er ein Teil des Inkardinationsverbands, aber in besonderer Weise.
Frage: Bei Titularbischöfen scheint man damit aber nicht weit zu kommen: Ein Titularbistum ist kein Inkardinationsverband.
Bier: Ja, ein Titularbischof ist ein Bischof ohne Volk und ohne Land. Ein Titularbistum wäre dann ein Inkardinationsverband mit nur einem Mitglied, das zugleich "cardo" ist. Das ist eine absurde Konsequenz; sie verweist auf theologische Probleme: Die Rechtsfigur des Titularbischofs ist theologisch nicht unumstritten und wird durchaus kritisch gesehen. Das Zweite Vatikanische Konzil hatte, wenn es von Bischöfen sprach, eigentlich immer Diözesanbischöfe im Blick, also Vorsteher von Teilkirchen. Darauf gehen die Titularbistümer zurück: Das sind untergegangene Bistümer, die tatsächlich existiert haben und deren Bischöfe in Zeiten antiker Christenverfolgungen fliehen mussten. Damals war es noch nicht zulässig, dass ein Diözesanbischof sein Bistum wechselte, daher blieben die vertriebenen Bischöfe zumindest dem Titel nach mit ihren Bistümern verbunden. Mit der Zeit wurde diese Verbindung zu einer Fiktion. Obwohl es die Bistümer nicht mehr gab, wurden weiterhin Bischöfe auf den Titel dieser Bistümer geweiht. Dabei braucht man Titularbischöfe eigentlich nicht: Fast alles, was etwa Weihbischöfe in Diözesen tun, können auch einfache Priester mit der entsprechenden Beauftragung, mit Ausnahme von Diakonen-, Priester- oder Bischofsweihen. Auch in der Römischen Kurie braucht es eigentlich keine Bischöfe als Vorsteher von Behörden. Dort wie bei den Nuntien ist die Bischofsweihe eher von protokollarischer Bedeutung.
Frage: … so wie bei Georg Gänswein.
Bier: Ja, seine Weihe ist ein gutes Beispiel. Seine Aufgaben als Präfekt des Päpstlichen Hauses und Privatsekretär von Papst Benedikt XVI. erforderten jedenfalls der Sache nach keine Weihe.
Frage: Solange solche Bischöfe etwas zu tun haben oder im Ruhestand sind, ist das unproblematisch. Bei Titularerzbischof Gänswein scheint es jetzt aber ein gewisses Vorruhestandsproblem zu geben: Eine Aufgabe hat er derzeit nicht, er kommt in das Gebiet des Erzbistums Freiburg zurück, wo er bis zu seiner Bischofsweihe inkardiniert war. Wie ist das Verhältnis zwischen dem Erzbischof von Freiburg und dem Titularerzbischof, der in Freiburg wohnt?
Bier: Mit der Weihe ist Gänswein aus seinem ursprünglichen Inkardinationsverband herausgefallen. Er ist jetzt tatsächlich nur ein Bischof, der in Freiburg wohnt – unbeschadet seiner Biographie. Dass es für ihn gute persönliche Gründe gibt, wieder in seine Heimat zu ziehen, steht außer Frage. Rechtlich gibt es aber keine Beziehung zu diesem Bistum mehr. Der Erzbischof von Freiburg hat ihm gegenüber keine anderen Befugnisse als gegenüber jedem anderen Bischof, der auf sein Gebiet kommt. Der Erzbischof von Freiburg ist nicht der hierarchische Obere von Erzbischof Gänswein. Beide sind Bischöfe und haben als solche den Papst als Oberen, der im Zweifelsfall selbst oder über seine Kurie eventuelle Konflikte lösen müsste.
Frage: Laut dem Erzbistum ist es üblich, dass deutsche Diözesen das vom Vatikan gezahlte Gehalt ihrer Kleriker in Rom aufstocken, auch wenn sie Bischof werden. Bei Gänswein soll diese Aufstockung beibehalten werden – Ihren Ausführungen nach allerdings wohl ohne Rechtspflicht?
Bier: Ja. Es wäre allerdings ein sehr unfreundlicher Akt, die Zahlungen einzustellen. Das Kirchenrecht regelt vor allem die Unterhaltsverpflichtungen gegenüber emeritierten Diözesan- und Weihbischöfen, für diesen Fall ist allerdings nichts festgesetzt. Aber von irgendetwas muss ein solcher Bischof ja leben können. Bei den Zahlungen der Erzdiözese handelt es sich aber nicht um eine "Lex Gänswein": Wohl bei allen in die Heimat zurückkehrenden Bischöfen regelt man das ganz ähnlich und pragmatisch, ohne dass bisher eine explizite Regelung nötig gewesen wäre.
Frage: Sehen Sie sonst Regelungsbedarf?
Bier: Grundsätzlich ist alles geregelt. Der Diözesanbischof steht seiner Diözese vor und ist für sie verantwortlich. Seine Aufgaben als oberster Leiter, Richter, Verwalter und so weiter werden nicht dadurch geschmälert oder geteilt, dass noch ein anderer Bischof auf dem Gebiet seiner Diözese ist. Die Rechte von Bischöfen allgemein sind auch klar. Es ist geregelt, was ein Bischof darf, wenn er sich nicht auf eigenem Gebiet aufhält: Er darf grundsätzlich die Eucharistie feiern und die Krankensalbung spenden. Predigen oder die Spendung des Bußsakramentes ist erlaubt, solange es ihm der Diözesanbischof auf seinem Gebiet nicht verbietet. Für Taufen braucht es eine Erlaubnis wie bei jedem anderen Kleriker, der nicht Diözesanbischof oder Ortspfarrer ist, für die Firmung braucht es wenigstens die vermutete Erlaubnis des Diözesanbischofs, und für Weihen die Erlaubnis des Inkardinationsoberen des Weihekandidaten.
Frage: Und bei der Inkardination? Sollte man da expliziter regeln, ob und wie Bischöfe inkardiniert sind?
Bier: Man könnte die Stellung des Bischofs klarer formulieren und festhalten, dass er an der Spitze des Inkardinationsverbands steht, entweder als Vorsteher oder als Teil des Verbands. Für Titularbischöfe ließe sich regeln, dass sie ohne Inkardinationsverband sind und den Papst als Oberen haben, oder aber dass ein Titularbistum auch als Inkardinationsverband gilt. Aber ob es solche Klarstellungen wirklich braucht, bezweifle ich. Durch die Person Georg Gänswein wird diese Frage jetzt plötzlich interessant, aber bei emeritierten Nuntien, Weihbischöfen und Kurienbischöfen stellte bisher niemand die Frage, es scheint also einfach so zu funktionieren.
Frage: Eine normale Emeritierung gab es im Fall Gänswein aber gerade nicht.
Bier: Genau, er hat nicht seinen Amtsverzicht angeboten, sondern wurde mehr oder weniger deutlich vom Papst weggeschickt. Das ist eine etwas unfeine Art, jemanden in den Ruhestand zu versetzen, die so auch im Recht nicht vorgesehen ist. Sein Amt als Präfekt des Päpstlichen Hauses hatte er zwar formal noch bis zu diesem Frühjahr, aber Papst Franziskus hatte ihn schon 2020 davon beurlaubt. Das ist schon eine seltsame Geschichte. Seltsam ist aber nicht, was im Erzbistum Freiburg passiert, auch wenn es für den Erzbischof von Freiburg sicher eine völlig ungewohnte Situation ist. Seltsam ist, was im Vatikan passiert ist und in der Beziehung zwischen Papst Franziskus und Erzbischof Gänswein.
Frage: … verschärft durch die Bischofsweihe.
Bier: Darüber nachzudenken halte ich für lohnender als über die Inkardination zu spekulieren: Wie nötig sind eigentlich Kleriker, die der Weihestufe nach Bischof sind, aber nur Aufgaben und Ämter wahrnehmen, für die es die Bischofsweihe in aller Regel gar nicht braucht?