Scheidender Prior kündigt strukturelle Veränderungen in Gemeinschaft an

Frere Alois über Missbrauchsfälle in Taize: "Es war ein Riesenschock"

Veröffentlicht am 26.07.2023 um 18:05 Uhr – Lesedauer: 

Köln/Taize ‐ 18 Jahre lang stand Alois Löser an der Spitze der ökumenischen Gemeinschaft von Taize. Mit Beginn des neuen Kirchenjahres gibt er die Leitung an seinen Nachfolger ab. Bruder Alois kündigte nun an, Europa zu verlassen.

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Der scheidende Prior von Taize, Frere Alois, hat den Betroffenen von Missbrauch durch seine Gemeinschaft für ihren Mut gedankt. "Das Bekanntwerden dieser Missbrauchsfälle war sicher ein großer Einschnitt in unseren Leben; eine Herausforderung, der wir uns mit allen Kräften stellen wollen", sagte der 69-Jährige im Interview des Internetportals domradio.de (Mittwoch). Und weiter: "Wir müssen wirklich allen Betroffenen dafür danken, dass sie den Mut hatten, das zu sagen". Es gelte, neben der Aufarbeitung die betroffenen Menschen auch zu begleiten.

Die Gemeinschaft von Taize ist ein Symbol der ökumenischen Bewegung. Der Ort im südlichen Burgund ist Sitz einer christlichen Gemeinschaft und wurde zum Treffpunkt für Jugendliche aus aller Welt. Der Bruderschaft gehören rund 100 Männer aus etwa 30 Ländern an, die aus protestantischen Kirchen und der katholischen stammen. 2019 waren mehrere Missbrauchstaten durch Angehörige der Gemeinschaft in der Vergangenheit und jüngeren Gegenwart bekanntgeworden. Verfahren dazu sind teils noch anhängig.

"Es bleibt eine ganz tiefe Traurigkeit in mir"

Bruder Alois weiter: "Es war zunächst ein Riesenschock, und es bleibt eine ganz tiefe Traurigkeit in mir." Aber er habe auch gesehen, "wie wichtig es ist, zu lernen und den betroffenen Menschen zuzuhören", so der scheidende Leiter der Gemeinschaft. Das habe er zunächst allein getan. Erst später habe er entschieden, das Geschehen "als Kommunität zu tragen", und das Vorgehen mit allen Brüdern besprochen. Mit dem Statement von 2019 habe sich die Gemeinschaft dann einmütig entschlossen, die Situation offenzulegen.

Nach seiner Amtsübergabe als Leiter von Taize will Frere Alois außerhalb Europas leben. "Ich werde in eine unserer Fraternites auf einem anderen Kontinent gehen", sagte der scheidende Prior. Dieser Schritt werde derzeit vorbereitet. Etwa ein Viertel der Brüder lebt in kleinen Gemeinschaften in Asien, Afrika und Südamerika. Diese Brüder teilen ihr Leben mit Straßenkindern, Gefangenen, Sterbenden und Einsamen.

Bruder Alois kündigte zudem interne Veränderungen an. "Wir sind an einem Punkt angelangt, wo wir spüren, es braucht etwas mehr an innerer Struktur." Das gelte für die Kommunikation in der Kommunität selbst, für das gegenseitige Zuhören oder das Treffen gemeinsamer Entscheidungen.

Bild: ©KNA/Jean-Matthieu Gautier

Brüder der Communaute von Taize und Jugendliche knien vor der Kreuzikone von Taize während eines Gebetes in der Versöhnungskirche.

"Wir wollen als Gemeinschaft in Taize wie eine Familie zusammenleben und haben ganz wenige Strukturen, die unser gemeinsames Leben regeln", erinnerte der 69-Jährige. Das werde sein Nachfolger Frere Matthew zum neuen Jahr als eine der ersten Aufgaben angehen, mit allen Brüdern zusammen.

Zum Zeitpunkt der Stabübergabe sagte Frere Alois, er beschäftige sich schon seit Jahren mit der Frage, wie die Gemeinschaft in eine neue Lebensphase eintreten könne. "Die Welt verändert sich, die Kirche verändert sich; immer mehr junge Brüder haben Frere Roger [den 2005 gestorbenen Gründer, d. Red.] nicht mehr gekannt", sagte der aktuelle Prior zu domradio.de. Dafür habe er seit längerem alle Brüder befragt, wer neuer Leiter sein könnte, "und dann Matthew für diesen Dienst vorgesehen".

Neue Mentalität der aktuellen Jugend

Als Anstoß zum Nachdenken bezeichnete er auch die Corona-Pandemie 2020/21. Sie sei ein großer Schock gewesen, psychologisch, geistlich und auch wirtschaftlich: "Plötzlich war niemand mehr hier in Taize, und wir waren alleine. Wir hätten uns das nie vorgestellt", so Frere Alois. Allerdings habe die Ausnahmesituation auch gute und heilsame Seiten gehabt. Als Beispiel nannte der Leiter eine Verlangsamung, "die wir von selbst nicht so hätten finden können". In dieser Zeit habe man plötzlich mehr Zeit unter den Brüdern gehabt, um tiefer miteinander ins Gespräch zu kommen.

Als neue Herausforderungen nannte Frere Alois im Interview "eine ganz neue Jugend, eine ganz neue Mentalität". Auch sei wichtig, auf neue Fragen wie Digitalisierung, Klimaveränderungen und ökologische Bedrohungen einzugehen. Auch die Tatsache, dass in Europa wieder Krieg herrscht, habe Auswirkungen auf die in ganz Europa und weltweit tätige Kommunität. Der Prior wörtlich: "Wir haben dazu noch keine Agenda mit fertigen Antworten. Aber wir wollen aufbrechen, um neu zu suchen."

Frere Alois war 2005 als Prior Nachfolger des ermordeten Gründers Frere Roger (1915-2005) geworden. Der Schweizer Calvinist hatte 1944 die Gemeinschaft in Taize gegründet. Der deutsche Katholik gibt das Leitungsamt am Jahresende an den englischen Anglikaner Frere Matthews (58) weiter, was in der vergangenen Woche bekanntgeworden war. (rom/KNA)