Mischung aus Konklave und Bundestagswahl: So wird ein Abt gewählt
Die Benediktinerabtei Königsmünster im Sauerland wurde 1928 gegründet und ist die jüngste Benediktinerabtei in Deutschland. Ihr gehören aktuell rund 50 Mönche an. Fünf davon leben in der Niederlassung Cella Sankt Benedikt in Hannover. Am 18. August treffen sich die Mönche zur Wahl eines neuen Abtes in Meschede. Im katholisch.de-Interview erzählt einer von ihnen, wie so eine Wahl abläuft und was dabei zu beachten ist.
Frage: Pater Maurus, Sie wählen in den nächsten Tagen einen neuen Abt. Tobt im Kloster gerade Wahlkampf? Hängen rund um die Kirche Wahlplakate?
Pater Maurus: Im Kloster ist manches wie bei politischen Wahlen, so geht es auch bei der Wahl eines Abtes um einen Meinungsbildungsprozess: Wo soll es hingehen? Wer könnte eine solche Aufgabe übernehmen? Allerdings gilt im Rahmen des Klosters der "Wahlkampf" nicht als Mittel der Wahl. Das ist sogar auch ausdrücklich von unserer Verfassung her untersagt. In den Konstitutionen der Missionsbenediktiner ist die Abtswahl genau geregelt.
Frage: Wie findet man dann einen Kandidaten?
Pater Maurus: Offiziell fallen erst mal keine Namen. In persönlichen Gesprächen unter Mitbrüdern unterhält man sich natürlich schon darüber, wer es denn sein könnte und wen man dann wählt.
Frage: Gibt es dann Mitbrüder, die klar sagen "Ich möchte Abt werden" oder "Ich mache das mit Sicherheit nicht"? Wie spricht man darüber? Macht ist in der Kirche ja ein schwieriges Thema …
Pater Maurus: Ich glaube, da muss jeder mit sich selbst zu Rate gehen. Kann ich eine große Gemeinschaft leiten? Bin ich ein Leitungstyp? Derjenige, der gewählt wird, ist ja nicht nur der Abt über 50 Mönche, sondern auch der Letztverantwortliche unseres ganzen Klosters – immerhin ein Betrieb mit über 100 Mitarbeitenden. Im Vertrauen spricht man da schon darüber: Kannst du dir vorstellen unser Abt zu sein? Üblicherweise ist im Vorfeld schon klar, wer in Frage kommt und wer eher nicht.
Frage: Wie sehen denn die Vorbereitungen für die Wahl aus?
Pater Maurus: Die Abtswahl ist nicht nur ein Ereignis, sondern Teil eines Prozesses, in dem wir uns gefragt haben, wo wir als Kloster in der Zukunft hinwollen. Wir haben als Gemeinschaft geschaut, wie die vergangenen Jahre waren und wo es vielleicht Verbesserungspotential für die Zukunft gibt. Und dann haben wir uns einige Referenten von außen geholt, die uns aus ihrer Sicht noch mal mitgegeben haben, was für Visionen sie für ein Kloster haben.
Frage: Welche Schlüsse haben Sie denn aus dieser Vorbereitung gezogen? Was muss der neue Abt mitbringen?
Pater Maurus: Für mich ist ein Wort aus der Benediktsregel ganz wichtig. Der heilige Benedikt schreibt darin viel über den Abt. Unter anderem heißt es da, er muss der Eigenart vieler dienen. Ich glaube, heutzutage muss ein Abt jemand sein, der Menschen zusammenführen kann – auch in einer ganz unterschiedlichen Gemeinschaft, wie sie ein Klosterkonvent ist. In so einer Abtei gibt es viel Vielfalt. Dazu sollte er nicht polarisieren, sondern die Gemeinschaft irgendwie zusammenführen und zusammenhalten. Als Leiter eines großen Wirtschaftsbetriebs muss er auch Teamplayer sein. Er muss zum Beispiel Aufgaben an den Prior (seinen Stellvertreter), den Subprior, den Novizenmeister und den Wirtschaftschef (den Cellerar) delegieren können.
Frage: Das haben Sie in den vergangenen Wochen besprochen?
Pater Maurus: Genau, auch dieses Anforderungsprofil haben wir erstellt. Vieles davon ist natürlich auch in unserem Ordensrecht festgelegt.
Frage: Gibt es darin auch Regeln, wer überhaupt Abt werden kann?
Pater Maurus: Ja. Sofort wählbar ist jeder Mönch, der das 30. Lebensjahr vollendet hat, mindestens schon fünf Jahre seine feierlichen Gelübde abgelegt und Priester ist. Wobei ein Abt nicht mehr zwangsläufig Priester sein muss. Das hat Papst Franziskus vergangenes Jahr geändert. Das müsste das Ordensdikasterium aber genehmigen. Es gibt aber auch die Möglichkeit jemanden vorzuschlagen, der nicht den rechtlichen Vorgaben entspricht. Das nennt man dann Postulation.
Hier wird Synodalität in der katholischen Kirche bereits gelebt
Beim weltweiten synodalen Prozess soll es auch um eine gemeinsame Entscheidungsfindung aller Kirchenmitglieder gehen. In manchen Teilen der katholischen Welt ist das aber nicht mehr nur Theorie, sondern bereits Alltag. Drei Beispiele zeigen die Potenziale des Synodalen.
Frage: Wie viele Mönche sind dann in Königsmünster wählbar?
Pater Maurus: Wir sind 44 Wahlberechtigte in der Gemeinschaft. Davon ist ungefähr die Hälfte zum Priester geweiht. Übrigens muss der neue Abt nicht unbedingt aus unserem Kloster kommen. Wir haben auch die Möglichkeit, jemanden aus einem anderen Benediktinerkloster zu wählen. Dafür gibt es auf dem Wahlzettel einen freien Strich.
Frage: Wie kann ich mir den Ablauf einer Abtswahl vorstellen? Ziehen die Mönche da feierlich die Allerheiligenlitanei singend durch das Kloster und schwören wie beim Konklave auf die Evangelien?
Pater Maurus: Die Wahl besteht aus zwei Teilen. Am Vortag der eigentlichen Wahl treffen wir uns am Nachmittag im Kapitelsaal des Klosters. Das ist ein Raum, in dem alle wichtigen Versammlungen und Entscheidungen der Abtei getroffen werden. Wir sitzen da wie in einer Art Chorgestühl – sortiert nach dem Eintrittsalter, das heißt wer am längsten im Kloster ist, sitzt nach dem Leiter der Gemeinschaft an erster Stelle. In der Mitte sind dann drei Tische aufgebaut, an denen drei Stimmenzähler aus der Gemeinschaft sitzen. Vorne auf dem Platz des Abtes sitzt der Abtpräses, also der Leiter unserer Kongregation, der die Wahl leitet. Und dann gibt es noch einen Mönch, der als Notar die Wahl begleitet. Er führt Protokoll, teilt die vorgedruckten Stimmzettel mit Namen aus und dokumentiert die Abläufe. An diesem Nachmittag findet die sogenannte Vorwahl statt. Dabei geht es im Grunde um die Kandidatenfindung. Jeder, der in dieser Vorwahl mindestens eine Stimme bekommen hat, kann dann am nächsten Tag auf dem Wahlzettel stehen, wenn er keinen Widerspruch einlegt. Davor kann aber jeder noch eine Nacht darüber schlafen und überlegen, ob er dazu bereit wäre. Wenn es dann auch Kandidaten aus einem anderen Kloster gibt, müssen die ja auch noch erreicht und gefragt werden.
Frage: Das hört sich weniger fromm an, als man meinen würde.
Pater Maurus: Ja, die Vorwahl ist eher ein technischer Akt. Anschließend geht es mit der Vesper, dem Abendgebet weiter. Und am nächsten Morgen feiern wir vor der eigentlichen Abtswahl eine Eucharistiefeier zum Heiligen Geist.
Frage: Wie läuft das ab?
Pater Maurus: Vor der Wahl wird das 64. Kapitel der Benediktsregel gelesen. Darin geht es um den Abt. Anschließend hält der Wahlvorsitzende noch eine Ansprache über die Bedeutung des Kapitels. Dann folgt der Heilig-Geist-Hymnus, wie man ihn vor dem Konklave kennt. Zu Beginn der Wahl schwört jeder, dass alles, was während der Wahl passiert, geheim bleibt – dass also etwa keine Stimmenverhältnisse nach außen dringen. "Ich verspreche bei Gott, dass ich den wählen oder postulieren werde, den ich vor Gott glaube, wählen oder postulieren zu sollen. So wahr mir Gott helfe und diese heiligen Evangelien". Dann folgt ein Versprechen des Wahlvorsitzenden: "Ich verspreche vor Gott das Amt des Wahlvorsitzenden treu und gewissenhaft zu erfüllen." Anschließend wird ein Notar bestellt. Auch er verspricht, das Amt des Notars treu und gewissenhaft zu erfüllen. Dann legen die drei Stimmzähler ein Versprechen ab und es wird abgefragt, ob alle Wahlberechtigten da sind.
Frage: Was passiert, wenn jemand fehlt?
Pater Maurus: Es gibt die Möglichkeit, seine Stimme an einen Mitbruder zu delegieren, wenn man selbst nicht an der Wahl teilnehmen kann.
Frage: Und wie geht es dann weiter?
Pater Maurus: Es wird genau geschaut, ob die Wahlurne auch leer ist und dann wird gewählt. Nach und nach werden wir einzeln vom Wahlleiter aufgerufen. Dann erhält jeder einen Wahlschein und geht in eine Wahlkabine – wie bei der Bundes- oder Landtagswahl. Der ausgefüllte Wahlschein kommt dann in einen Umschlag und anschließend in die Urne. Wenn alle ihren Schein abgegeben haben, wird überprüft, ob so viele Stimmzettel in der Urne sind, wie drinnen sein sollen und dann wird ausgezählt. Dann wird geschaut, ob die erforderliche Mehrheit zustande kommt.
Frage: Welche Mehrheiten braucht es denn?
Pater Maurus: In den ersten vier Wahlgängen braucht einer der Kandidaten eine Zweidrittelmehrheit. Gibt es dann noch keine Entscheidung, folgen der fünfte und sechste Wahlgang, in dem die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügt. Und wenn dann immer noch kein Ergebnis vorliegt, gibt es im siebten Wahlgang zwischen den beiden, die die meisten Stimmen auf sich vereinen, eine Stichwahl. Wenn es einen siebten Wahlgang gibt, wird aber kein Abt mehr gewählt, sondern ein Prioradministrator für drei Jahre. Das passiert aber nur, wenn sich zwei Kandidaten blockieren. Man muss uns also nicht wie beim Konklave das Essen rationieren. Nach dem siebten Wahlgang gibt es sicher eine Entscheidung.
Frage: Wie lange dauert denn so ein Wahlgang?
Pater Maurus: Ich schätze etwas weniger als eine Stunde.
Frage: Und wie geht es dann weiter, wenn ein Abt gewählt ist?
Pater Maurus: Hat ein Kandidat die notwendige Mehrheit, wird er vom Wahlvorsitzenden gefragt, ob er die Wahl auch annimmt. Dann wird eine Wahlurkunde ausgestellt und vom Gewählten, dem Präses und dem Notar unterzeichnet. Vom Zeitpunkt der Wahl an ist der Gewählte Abt. Mit allen Pflichten und Rechten. Es braucht keinen eignen Ritus mehr. Die Annahme der Wahl reicht.
Frage: Und dann wird gefeiert?
Pater Maurus: Als erstes gibt es Applaus für den Neugewählten. So bestätigt die Gemeinschaft nochmal die Wahl. Und dann legt der neue Abt sein Glaubensbekenntnis ab und schwört, dass er in christlichem Gehorsam dem Folge leisten werde, was die Bischöfe vortragen, "als authentische Künder und Lehrer des Glaubens". Dann erhält der Gewählte das Siegel des Klosters und bekommt das Brustkreuz überreicht. Und dann werden bei uns auf dem Klosterberg die Glocken angeschmissen, damit auch die Öffentlichkeit weiß, dass Königsmünster einen neuen Abt hat. Im Sauerland gibt es also keinen weißen Rauch, aber ein großes Glockengeläut. Bei der letzten Wahl gab es dann ein Gläschen Sekt, bevor wir anschließend in die Kirche gezogen sind. Dort wird der neue Abt vorgestellt. Dazu kommen dann auch die Mitarbeitenden und Gäste, sowie die Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums.
Frage: Gibt es dann einen Ritus in der Kirche?
Pater Maurus: Ja, wir singen das feierliche Te Deum und der neue Abt wird zu seinem Platz im Chorgestühl geführt. Dort tauscht er dann auch den Friedensgruß mit allen Mitgliedern des Konvents aus.
Frage: Wie geht es dann weiter?
Pater Maurus: In den Tagen und Wochen nach der Wahl muss der neue Abt die wichtigsten Ämter des Klosters neu besetzen, die sogenannten Offizialen. Das sind der Prior, Subprior, der Novizenmeister und der Cellerar. Der Neuabt kann die bisherigen Personen entweder sofort bestätigen oder erst den Konvent befragen und dann eine Entscheidung treffen. Und dann gibt es einige Zeit nach der Wahl noch eine Abtsbenediktion, also eine Segnung. Manchmal nennt man das auch Abtsweihe, aber das ist es nicht. Der Abt ist ja zum Priester geweiht. Er hat zwar das Privileg Stab und Mitra zu führen, aber er hat keine Bischofsweihe. Bei dieser Feier bekommt er dann Stab, Mitra und Ring. Das Brustkreuz hat er ja schon bei der Wahl bekommen.