"Der Protestantismus kann feiern"
Frage: Herr Landesbischof July, in 100 Tagen beginnt der DEKT. Worauf freuen Sie sich besonders?
July: Dass Stuttgart und die württembergische Landeskirche Gastgeber sein dürfen und viele Menschen kommen werden, um schwäbische Frömmigkeit und Gastfreundschaft zu erleben. Und ich gönne vielen die Überraschung zu erleben, wie "multikulti" diese Stadt ist. Persönlich hoffe ich, trotz meiner engmaschigen Termine das eine oder andere auch vom spannenden Kulturprogramm mitzubekommen.
Frage: Beteiligen Sie sich an der Bettenkampagne, haben Ihre Frau und Sie Gäste?
July: Kommen wollen ein befreundetes Ehepaar und zwei unserer Kinder mit ihren Partnern. Und ja, zum Frühstück gibt es dann auch selbst gemachte Marmelade, wie beim Oberbürgermeister...
Frage: In Deutschland brennen Themen wie Islam und Flüchtlinge unter den Nägeln. Wie kommen die beim DEKT vor?
July: Diese Themen werden sich wie ein roter Faden durch das Treffen ziehen. Beim interreligiösen Dialog hat der DEKT eine lange Tradition, und wir wollen weiter mit den Muslimen sprechen, die sich auf diesen Dialog einlassen. Wir wollen das Schwarz-Weiß-Denken durchbrechen. Und die Kirchen werden sich als flüchtlingsbereit präsentieren. Diese Frage berührt den inneren Kern unserer Identität.
Frage: In Württemberg funktioniert die Ökumene sehr gut. Wird das auch in Stuttgart sichtbar?
July: Zum Beispiel bei einer Bibelarbeit, die der Rottenburg-Stuttgarter Bischof Gebhard Fürst und ich gemeinsam gestalten - aus meiner Sicht ein starkes Zeichen. Die katholische Kirche hilft aber auch bei der Bettensuche. In der ganzen Vorbereitung wird deutlich, wie eng die Bindung ist.
Frage: Und wie schaut es mit der innerprotestantischen Ökumene aus? Parallel zum Kirchentag treffen sich in Stuttgart auch die Pietisten und Evangelikalen zu ihrem Christustag.
July: Der Christustag findet ja gerade im Rahmen des Kirchentags statt, in der Porschearena, mitten im Kirchentag gewissermaßen. Denn Kirchentag und Christustag lassen sich in Stuttgart aufeinander ein. Es ist das besondere Charisma unserer Landeskirche, solche Entwicklungen zu fördern.
Frage: Ist das nicht eine sehr beschönigende Sicht?
July: Beschönigend wäre es, wenn ich sagen würde, dass jetzt wieder alles eins sind. Aber nach der Vorgeschichte der vergangenen Jahrzehnte mit ihren ganzen Polarisierungen ist es sehr erfreulich, wenn wir nun aufeinander zugehen. Dass wäre vor 20 oder 30 Jahren undenkbar gewesen. Natürlich behält der Christustag die Programmhoheit über seine Veranstaltungen - auch wenn sie alle in den Kirchentag integriert sind. Vielleicht geht ja mal der eine oder andere Nicht-Evangelikale oder Nicht-Pietist dort vorbei.
Frage: Ist der DEKT mehr eine Selbstvergewisserung nach Innen oder will er nach Außen für den Glauben werben?
July: Beides. Es gibt eine eigene Kirchentagsfrömmigkeit von Menschen, die regelmäßig kommen, sich zuhause jedoch nicht zu ihren Kerngemeinden zählen. Und wir zeigen auch der Gesellschaft: Der Protestantismus lebt, stellt sich den aktuellen Fragen - und kann auch feiern! Wir erreichen so auch die Menschen, die besonders an Zeitthemen interessiert sind. Und für sehr viele Politiker ist der DEKT ein Pflichttermin. Die Rede von der Marginalisierung der Kirche trifft also nicht zu.
Frage: Stimmt das Format noch? Seit Jahrzehnten ist das Setting von Katholikentagen und Kirchentagen fast unverändert, ...
July: ... weil es sich auch seit Jahrzehnten bewährt. Aber es ist für mich selbstverständlich, dass bei der anschließenden Nachbetrachtung nicht nur über Themen und Abläufe, sondern auch über das Format insgesamt gesprochen werden muss. Es wäre ganz falsch, sich auf die faule Haut zu legen. Im Moment trägt das System, aber langfristig stellt sich schon die Frage.
Frage: Was war bislang Ihr schönster Erlebnis bei einem DEKT?
July: Gerne denke ich an den DEKT in Frankfurt 1975 zurück. Da war ich 21 und studierte im ersten Semester Theologie. Aufgenommen haben mich damals ein ehemaliger katholischer Ordensmann und seine Frau samt zehn Pflegekindern und zwei eigenen. Die haben auch noch zusätzlich zu mir einen weiteren Gast aufgenommen. Beim Berliner DEKT zwei Jahre später hatte ich eindrückliche Begegnungen mit Christen aus der DDR . Das war für mich damals eine sehr verschlossene Welt. Ich habe viel über widerständige Lebenssituationen gelernt.
Von Michael Jacquemain (KNA)