Münsterbaumeisterin: Brand kann es in jeder Großkirche geben
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Dom, Kathedrale, Münster: Die Begriffe unterscheiden sich, die Herausforderungen sind überall gleich, wenn es um die Erhaltung von Großkirchen geht. Annette Loeffel ist Münsterbaumeisterin in Bern und Vorsitzende der "Europäischen Vereinigung der Dombaumeister, Münsterbaumeister und Hüttenmeister". Sie spricht über ihren Arbeitsalltag, Herausforderungen und darüber, weshalb es schwierig ist, in eine Großkirche Toiletten einzubauen.
Frage: Sie sind als Münsterbaumeisterin in Bern das neueste Glied einer langen Kette. Wie viel kann man da eine eigene Note setzen, und wie wichtig ist es, die Kirche im Original zu erhalten? Am Kölner Dom zum Beispiel gibt es auch moderne Elemente, wie das Richterfenster oder einen kleinen Papst Franziskus an der Fassade.
Loeffel: Primär im Außenbereich versuchen wir, die Kirche so zu erhalten, wie sie ist, also den Bestand zu halten. Ich spreche bewusst nicht vom Original, weil sich der Bestand aus verschiedenen Bauteilen aus verschiedensten Jahrhunderten zusammensetzt.
Am Berner Münster gibt es an der Fassade sehr wenige Teile, die wirklich noch aus dem Mittelalter stammen. Auf die schauen wir ganz besonders gut. Im Innenbereich ist noch mehr bauzeitliche Substanz vorhanden. Hier gibt es allerdings manchmal kleinere denkmalverträgliche Anpassungen aufgrund von Nutzungsänderungen.
Man spricht dann mit den beteiligten Personen. Es gibt zum Beispiel Stauraum-Thematiken, es gibt ganz profane Dinge wie Toilettenanlagen, die im Berner Münster fehlten. Es gibt vielleicht eine neue Bestuhlung. Das sind Fragestellungen, die Spaß machen, wenn man sie mitentwickeln darf.
Es sind auch sehr viele Leute beteiligt. Wir sprechen immer davon, dass das Münster ein Dorf ist. Es sprechen ganz viele verschiedene Menschen mit. Das macht die Aufgabe besonders spannend. Was den Sandstein und den Bestand der Glasfenster anbelangt, versuchen wir in Bern speziell sehr konservatorisch vorzugehen und den Bestand so zu pflegen, wie er ist.
Frage: Es gibt keine Toiletten im Berner Münster?
Loeffel: Es gibt eine Toilettenanlage seit einigen Jahrzehnten. Diese wurde 2015 erweitert und an aktuelle Bedürfnisse angepasst, zum Beispiel IV-gängig gestaltet. Das war eine Aufgabe, bei der man sich gefragt hat, wo man die unterbringt. Wo macht man das am besten? Da gab es dann auch schöne Schlagzeilen in den Zeitungen – Toiletten-Probleme im Berner Münster. Wir haben das schlussendlich in einen Teil der ehemaligen Pfarrstube untergebracht.
Der Platz wird aber auch grundsätzlich immer knapper, der Bau hingegen nicht grösser. Die Betriebsmittel der Kirche werden nicht weniger, sie müssen irgendwo gestaut werden. Das Münster wird nicht rein als kirchlicher Raum genutzt. Es gibt Konzerte. Es gibt Theater. Es gibt Kunst-Installationen. Das Ganze muss verstaut werden. Da sind wir noch dran, nach Lösungen zu suchen.
Wir können ja nicht einfach ein großes Untergeschoss neben das Berner Münster bauen. In Köln wurde das teilweise gemacht, da war ich auch ein bisschen neidisch auf das "Untergeschoss" und dem Durchbruch durch die Domfundamente. Das ist in Bern schon rein aus finanziellen Gründen und aufgrund der baulichen Situation nicht machbar.
Frage: Sie sind nicht bloß Münsterbaumeisterin in Bern, sondern Sie sind seit vergangenem Jahr auch Vorsitzende der "Europäischen Vereinigung der Dombaumeister, Münsterbaumeister und Hüttenmeister". Wie sind da eigentlich die Unterschiede zu definieren? Es gibt ja viele verschiedene Begriffe für Kirchen. Wir kennen Dome, Münster, Kathedralen. Können Sie uns das auffächern? Was ist was?
Loeffel: Das ist eine ewige Frage, die ich auch nicht im Detail beantworten kann. Wir streiten uns schon in Bern ständig darüber, ob das ein Münster oder eine Kathedrale ist. Mir wurde gesagt, es hat mit dem Bischofssitz zu tun. Eine Kathedrale hatte ursprünglich einen Bischofssitz, ein Münster nicht. In Bern ist es, wenn man Historiker fragt, nicht so klar, ob es mal einen Bischof gab. Es gibt den Begriff Dom, da bin ich jetzt überfragt, was da den Unterschied zur Kathedrale und zum Münster ist, muss ich ehrlich sagen. Wir kümmern uns ja alle um die Großkirchen in Europa. Wir nennen das dann so, das ist der gemeinsame Nenner.
Frage: Das heißt, auch wenn Sie in Ihrem Verein mit Dombaumeistern, Hüttenmeistern und Münsterbaumeistern zu tun haben, gibt es keinen Unterschied zwischen diesen Aufgaben. Ist der Unterschied einfach die unterschiedliche Bezeichnung der Kirchen, um die sich gekümmert wird?
Loeffel: Genau das. Die Aufgaben sind im Prinzip überall gleich. Die Herausforderungen sind sehr ähnlich. Wir haben verschiedene Sandsteine, verschiedene Steine generell, aus denen unsere Münster, Dome und Kathedralen gebaut sind. Aber die Herausforderungen und die alltäglichen Probleme beim Unterhalt, das sind eigentlich überall die gleichen.
Frage: Sie sind seit letztem Jahr Vorsitzende des Vereins. Warum braucht es überhaupt so einen Verein? Das ist ja jetzt nicht unbedingt ein Massenjob. Wie viele gibt es davon in Europa?
Loeffel: Das sind schon über hundert Personen, die sich da jedes Jahr an verschiedenen Orten treffen. Es ist dennoch ein kleiner Kreis von Spezialistinnen und Spezialisten. Das ist richtig. Ich finde es sehr wichtig, dass man sich austauscht und dass nicht jeder sein eigenes Ding macht und jeder sein eigenes Rad neu erfindet.
Es war schon im Mittelalter so, dass man sich ausgetauscht hat. Man hat die Baumeister ausgetauscht. Die sind auf Wanderschaft gegangen. Es gibt viele Parallelen zwischen den einzelnen Gebäuden, auch architektonisch, weil oft die selben Baumeister beteiligt waren. Es ist ganz wichtig, dass man sich auch heute zu den aktuellen Themen austauscht, wie zum Beispiel zur Ukraine-Krise. Auch dies war ein Thema, wie man damit umgeht.
Es gibt andere Aktualitäten wie den Klimawandel zum Beispiel oder auch Normen, die sich immer wieder ändern oder strenger gehandhabt werden. Das sind Themen, die man innerhalb des Vereins sehr gut diskutieren und besprechen kann. Es hilft auch, wenn man sieht, es gibt Kolleginnen und Kollegen, die ähnlich unterwegs sind, die ähnlich denken und mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert sind.
Dossier: Deutschland, deine Kathedralen
In Deutschland gibt es 27 Bistümer. Jedes Bistum hat seinen eigenen Bischof – und jeder Bischof seine "eigene" Kirche. Diese sogenannten Kathedralen unterscheiden sich nicht nur in Form oder Größe. Jede hat auch ihre eigene Geschichte. Katholisch.de stellt die Kathedralen in einer eigenen Serie vor.
Frage: Was interessiert Sie denn als Dombaumeisterin, Hüttenbaumeisterin oder Münsterbaumeisterin der Ukraine-Krieg? Aber das ist ja tatsächlich wirklich ein großes Thema, weil da ja auch Kulturgüter, Kulturschätze und auch kirchliche Bauten in Gefahr gebracht werden.
Loeffel: Ja, genau. Da geht es im Moment vor allem darum, wie man die Dokumentation sicherstellt. Da hat sich der Verein und die Wiener Kollegen speziell darum gekümmert, dass man Bauaufnahmen machen kann – mit Laserscanning zum Beispiel. Der Verein hat sich auch finanziell daran beteiligt. Es geht vor allem auch um psychologische Unterstützung unserer Kolleginnen und Kollegen in der Ukraine.
Es geht darum, dass man sich austauscht über die speziellen Herausforderungen, die in der Ukraine gerade herrschen. Die Leute an der Kathedrale in Kiew zum Beispiel kümmern sich jeden Tag um die Restaurierung, um das Monitoring und um den Erhalt ihrer Kirche. Sie wissen aber nie, ob diese Kirche am nächsten Tag noch genauso aussieht, wie sie heute aussieht. Das lässt uns alle nicht kalt, das ist ganz klar.
Frage: Da stellt sich auch eine Parallele zum Zweiten Weltkrieg dar. Das ist ja etwas, das zum Beispiel auch am Kölner Dom ein sehr großes Thema ist. Dort gab es lange Jahre auch Kriegsschäden, die dann kurzfristig durch eine sogenannte Plombe behoben wurde. Ist das ein Grundproblem, dass man sagt, alle großen Kirchen in Europa haben noch mit Kriegsschäden von damals zu tun? Oder ist das etwas eher Spezielles in einer Stadt wie Köln?
Loeffel: Ich denke schon, dass das in vielen Großkirchen immer noch ein Thema ist, speziell in deutschen Kirchen. Ich vermute, dass da vieles wieder hochkommt, wenn man die Berichte aus der Ukraine sieht. Wir sind in der Schweiz in der sehr komfortablen Lage, dass wir diese speziellen Schäden nicht beheben müssen. Da staune ich immer, wie lange so etwas dauert, dass man heute immer noch daran ist, solche Verletzungen in Ordnung zu bringen.
Auch die Diskussionen darum sind sehr spannend. Rekonstruiert man wirklich alles wieder oder lässt man etwas auch vielleicht als Mahnmal stehen? Das sind Diskussionen, die führen wir in der Schweiz überhaupt nicht, weil das ja überhaupt kein Thema ist.
Frage: In Frankreich hat der Brand von Notre Dame im April 2019 dazu geführt, dass die Fenster zum Beispiel in der Kölner Dombauhütte über lange Zeit restauriert werden mussten. Hat das bei Ihnen noch mal ein neues Bewusstsein zum Thema Brandschutz gebracht?
Loeffel: Ja, selbstverständlich, da haben wir auch die ganze Nacht vor den Bildschirmen gesessen und haben uns das angeguckt. Wir waren richtig schockiert, wie schnell die Zerstörung von Statten gegangen ist. Wir haben natürlich mit unseren Kollegen in Frankreich mitgefühlt. Am nächsten Tag liefen auch die Telefone in Bern heiß. Ich kam überhaupt nicht mehr zum Arbeiten für die nächsten zwei Tage. Da ging es dann schon darum: Kann das in Bern auch passieren? Wie geht ihr vor? Was macht ihr für Brandschutz-Maßnahmen? Wo steht ihr mit dem Ganzen?
Dann kam der Feuerwehr-Kommandant und hat gesagt: In Bern kann das nicht passieren, in der Schweiz passiert so was nicht. Da musste ich dann ein bisschen korrigierend eingreifen. Selbstverständlich kann das in jeder Großkirche passieren, da kann man noch so vorsichtig sein. Das sind Dinge, mit denen man dann leben muss und gegen die man mit Prävention viel machen kann. Aber ganz verhindern kann man das nicht. Wichtig ist die Schulung der Personen, die vor Ort zuständig sind.
Wir sind in Bern sehr intensiv daran, eine Sicherheitsorganisation neu aufzubauen oder zu ergänzen. Beim Personal, das ja auch in der Kirche ständig wechselt, muss man die neuen Leute immer wieder schulen auf die Gegebenheiten. Baulich muss man auch das Nötige machen. Selbstverständlich kann man nicht jeden Bereich abschotten, wie man das in einem Neubau vielleicht machen würde.
Wir können nicht die Gewölbe komplett brandsicher gestalten. Es gibt zum Beispiel bauzeitliche Lüftungslöcher in den Gewölben. Dann kamen so Ideen, zum Beispiel fast 6.000 kleine Klappen auf die Gewölbe zu installieren – im Brandfall gesteuert, damit da ja kein Rauch mehr durchgehen kann. Das sind Sachen, die buche ich dann auf das Konto "utopische Maßnahmen". Wir müssen immer gucken, wie wir mit begrenzten Mitteln, die uns zur Verfügung steht, die nötigen Maßnahmen umsetzen können und die Prioritäten auch richtig setzen.
Frage: Sie haben gerade schon Prävention erwähnt. Was macht man da? Wie kann man eine Großkirche vor so einem Schicksal wie in Notre Dame bewahren?
Loeffel: Einerseits gibt es in der Schweiz, ich weiß nicht, wie das in Deutschland ist, die Gebäudeversicherung, die die Umsetzung von Brandschutzmassnahmen kontrolliert. Es werden Schulungen angeboten, die man auch buchen kann. Wir arbeiten sehr eng mit den Blaulicht-Organisationen zusammen: Feuerwehr, Sanitäter und Polizei. Die bieten ebenfalls Schulungen für Laien an. Die klären dann auch auf, wo die Verantwortlichkeiten liegen und wo man besser die Finger davon lässt und die Profis arbeiten lässt. Wir versuchen dann auch die Profis auf den Wert von Gegenständen im Münster zu sensibilisieren.
Wir versuchen aufzuzeigen, wo man mit Wasser löscht und wo vielleicht besser mit einem anderen Löschmittel. Wir machen Ortsbegehungen mit den Blaulicht-Organisationen. Das ist ganz wichtig, dass sie sich im Notfall zurechtfinden in den Bauten. Es ist wichtig, dass unsere Mitarbeitenden ein bisschen die Angst verlieren. Wo kann man wirklich mithelfen und wo ist man nicht in der Verantwortung und schaut vielleicht, dass man mit möglichst vielen Leuten einen Bau verlässt, damit nicht noch mehr Personen zu Schaden kommen und lässt dann die Profis arbeiten.
Frage: Idealerweise ist das ein Fall, der nie eintritt, aber es ist trotzdem gut vorbereitet zu sein. In Frankreich gibt es auch die Meldung, dass es über 300-mal im Jahr im Schnitt – also fast jeden Tag – zu Vandalismus an Kirchen kommt. Ist das auch etwas, womit Sie sich auseinandersetzen müssen? Also mutwillige Schädigung von Kirchenbauten?
Loeffel: Leider kommt das auch immer wieder vor. Wir hatten kürzlich einen Farbanschlag im Chorinnenbereich im Altarraum. Auf frisch restaurierten Oberflächen hat jemand Farbe hingeschmiert. Wir haben zudem immer wieder Sprayereien im Außenbereich, jährlich ein paar Mal haben wir Sprayereien. Das hat ein bisschen aufgehört, seit wir die Tags immer gleich überstreichen. Es scheint für den Sprayer nicht mehr so lustig, wenn am nächsten Tag das Gesprühte schon wieder weg ist.
Wir haben auch Vandalismus im Sinne von Brandbomben, die glücklicherweise nicht ins Münster, aber in Kirchen auf dem Stadtgebiet geworfen wurden, wo dann Altäre gebrannt haben, wo dann auch die Kirchen komplett verrußt sind. Das ist leider eine Realität, mit der wir schon seit einigen Jahrzehnten zu kämpfen haben.
Frage: Haben Sie den Eindruck, das nimmt zu oder ist das ein Dauerphänomen?
Loeffel: Ich denke, das ist ein Dauerthema. Ich habe in Bern zumindest nicht den Eindruck, dass das zunimmt.
Frage: Am Kölner Dom gibt es das Sprichwort: Wenn irgendwann der Dom fertig gebaut ist, wenn nichts mehr restauriert werden muss, wenn irgendwann keine Gerüste mehr hängen, dann geht die Welt unter. Ist das bei Ihnen auch so? Also wird die Arbeit die nächsten Jahrzehnte, Jahrhunderte wahrscheinlich nicht aufhören?
Loeffel: Ich sage es in etwas anderen Worten, aber ziemlich ähnlich, wenn ich gefragt werde, ob es dann keine Gerüste mehr am Berner Münster gibt. Da sage ich jeweils: Wenn es keine Gerüste mehr gibt am Berner Münster, dann wird nicht mehr zu der Kirche geschaut – und dann sind die Zeiten sicher nicht mehr die besten.