Heilung beim Weltjugendtag: Doch kein Wunder in Fatima?
Zum Ende des Weltjugendtags in Lissabon machten Anfang August Medienberichte von einem angeblichen Wunder die Runde: Beim Rosenkranzgebet mit Papst Franziskus im Marienwallfahrtsort Fatima am vorletzten Tag des Jugendtreffens soll eine junge Spanierin von ihrer Sehbehinderung geheilt worden sein. Die 16-jährige Jimena aus Madrid litt seit zweieinhalb Jahren an einer Krankheit, die die Anpassungsfähigkeit der Augen betraf und sie so sehr einschränkte, dass die Jugendliche letztlich nur noch fünf Prozent Sehfähigkeit besaß und praktisch blind war. Auch die zahlreichen Ärzte, die sie mit ihren Eltern konsultiert hatte, konnten ihr nicht helfen. Im Gespräch mit dem spanischen Radiosender "COPE" berichtete Jimena jedoch, dass sie nach dem Empfang der Kommunion von ihrem Augenleiden geheilt wurde: "In der Reihe zum Empfang der Eucharistie war ich sehr nervös und als ich mich in die Bank gesetzt hatte, fing ich an zu weinen, ich wollte die Augen nicht öffnen." Als sie schließlich doch ihre Augen aufschlug, hatte die Jugendliche das Augenlicht wiedererlangt und konnte etwa ihre Freundin glasklar neben sich in der Kirchenbank sehen.
In der Folge wurde weltweit berichtet, dass die 16-Jährige beim Gottesdienst mit dem Papst in Fatima geheilt wurde. Doch das hatte Jimena im Interview mit "COPE" offensichtlich nie behauptet und scheint auf den ersten Meldungen zu beruhen, die das mutmaßliche Wunder in dem weltbekannten Marienheiligtum verorteten. Auf Anfrage von katholisch.de bestätigte Carmo Rodeia, die Pressesprecherin des Heiligtums von Fatima: Das mutmaßliche Wunder fand nicht dort statt, sondern in der Pfarrkirche São Tiago in der Kleinstadt Alcobaça, etwas mehr als 40 Kilometer von Fatima entfernt. Dort sei die Jugendliche mit ihrer Gruppe des Opus Dei für den Weltjugendtag untergebracht gewesen. Auch wenn das mutmaßliche Wunder nicht in Fatima selbst stattgefunden habe, sei man im Marienheiligtum sehr dankbar für die göttliche Gnade, die Jimena auf die Fürsprache Mariens empfangen habe, so Rodeia.
Und tatsächlich: Bereits wenige Tage nach den irreführenden Berichten über die spontane Heilung in Fatima und dem Ende des Weltjugendtags berichteten einige portugiesische Lokalmedien, dass das mutmaßliche Wunder in Alcobaça stattgefunden habe. Doch diese Berichte wurden weder in der portugiesischen noch in der internationalen Presse aufgegriffen. Die Lokalzeitung "Região de Leiria" zitierte eine Betreuerin der Pfarrei für die jungen Pilger, die Jimena und ihre gleichaltrigen Freundinnen aus der Gruppe des Opus Dei als "sehr authentisch" und von großer Spiritualität getragen bezeichnete. Bereits zuvor hatten Medien berichtet, dass sich Hunderte Menschen einer Novene zur Jungfrau Maria während des Weltjugendtags angeschlossen hatten, bei der sie für die Heilung Jimenas beteten. Darunter waren viele der Teilnehmer der Opus-Dei-Gruppe aus Madrid die sich beim Weltjugendtag befand. Entsprechend groß sei die Aufregung und Freude nach der Heilung in der Kirche in Alcobaça gewesen. Die Jugendlichen seien unter Jubel auf den Kirchplatz geströmt, sagte der Ortspfarrer in der Lokalpresse.
Die Novene für Jimenas Heilung, während der die Teilnehmer täglich die Heilige Messe besucht und den Rosenkranz gebetet hatten, habe Maria als "Unsere Liebe Frau vom Schnee" angerufen, zitierten die Medienberichte Jimena. Diese Verehrung der Gottesmutter geht auf das vierte Jahrhundert zurück und bezieht sich auf das sogenannte "Schneewunder" in Rom: Der Legende zufolge erschien Maria in der Nacht auf den 5. August 358 einem Ehepaar, das sich ein Kind wünschte. Die Gottesmutter kündigte an, dass an kommenden Tag Schnee fallen werde; an diesem Ort sollte das Paar eine Kirche bauen. Schließlich fiel der Schnee auf dem römischen Hügel Esquilin. Im fünften Jahrhundert wurde dort die Basilika Santa Maria Maggiore errichtet, die sich auf dieses Wunder zurückführen lässt. Der 5. August ist der Weihetag dieser bedeutenden Kirche – und der Tag der Spontanheilung von Jimena in Portugal.
Auch spanischer Kardinal spricht von Heilung in Fatima
Wahrscheinlich wurden die irrtümlichen Berichte von der Heilung in Fatima auch deswegen unhinterfragt verbreitet, weil der Präsident der Spanischen Bischofskonferenz sie selbst in einer Pressekonferenz aufgriff. Kardinal Juan José Omella aus Barcelona war von einer befreundeten Ordensfrau, die auch Jimenas Familie kennt, auf das mögliche Wunder aufmerksam gemacht worden. Er telefonierte daraufhin mit der 16-Jährigen und ließ sich ihre Heilung schildern. "Es kommt mir phänomenal vor, dass beim Weltjugendtag ein Wunder geschehen ist", zitierten ihn Medienberichte. Bei der Pressekonferenz zeigte sich der Erzbischof von Barcelona etwas nüchterner: "Für das Mädchen war es ein großartiges Ereignis, sagen wir ein Wunder", so der Kardinal. Nun müssten jedoch Ärzte herausfinden, was passiert sei. "Lassen Sie uns nicht allzu großspurig sein, aber unterschätzen wir es auch nicht", so Omella.
Doch war die spontane Heilung von Jimena nun ein Wunder – egal, ob sie sich in Fatima oder Alcobaça ereignet hat? Ein Fachmann für Wunder ist der deutsche Arzt Rolf Theiß. Er gehört zu einer internationalen Kommission von etwa 35 Ärzten, die sich für das "Comité médical international de Lourdes" mit Heilungen in dem französischen Marienwallfahrtsort aus medizinischer Sicht beschäftigt. "Die Kirche erkennt Wunderheilungen in der Regel erst nach einer Überprüfung des Sachverhaltes und des Umfeldes des Geheilten an", sagt der Facharzt für Chirurgie und Orthopädie. In Lourdes gebe es das "Bureau des Constations Médicales" an das man sich wenden könne. "Dann beginnt nach einer Vorprüfung das Anlegen einer medizinischen Akte, in der Unterlagen der ärztlichen Untersuchungen gesammelt werden." Auf dieser Grundlage entscheiden dann die Ärzte des "Comité médical", ob es sich bei dem entsprechenden Fall aus ihrer Sicht um eine unerklärliche Heilung gehandelt hat oder nicht. Daraufhin geben sie ihr Votum an die kirchlichen Stellen in Lourdes weiter, so Theiß.
Auf Nachfrage erklärt das Heiligtum von Fatima, dass es dort kein medizinisches Komitee zur Prüfung von Wundern gebe. "Wir sammeln lediglich die bei uns eingehenden Fälle und danken im Gebet für sie", so Rodeia. Zudem sei das Anliegen von Fatima nicht in erster Linie die Heilung von Kranken – wie in Lourdes –, sondern das Gebet für "die Bekehrung des Herzens". Theiß verweist jedoch darauf, dass sich Menschen, die eine spontane Heilung erfahren haben und diese auf eine göttliche Gnade zurückführen, auch an ihren zuständigen Ortsbischof oder Heimatpfarrer wenden können. "Dieser kann dann eventuell eine ärztliche Untersuchung durchführen lassen, wenn der Geheilte einverstanden ist und die entsprechenden Unterlagen vorlegt", weiß der "Wunderarzt". Gegenüber katholisch.de erklärte das Erzbistum Madrid, auf dessen Gebiet Jimena wohnt, dass dies in der Regel nur bei Selig- und Heiligsprechungsprozessen geschehe. Nichtsdestotrotz hätten sich weder Jimena noch ihre Angehörigen oder das Opus Dei, mit dessen Gruppe die Jugendliche beim Weltjugendtag war, an das Erzbistum wegen einer kirchlichen Prüfung des möglichen Wunders gewandt. Auf Anfragen von katholisch.de zum Fall von Jimena antwortete die spanische Pressestelle des Opus Dei nicht. Auch Jimena oder ihre Familie waren für ein Statement nicht zu erreichen.
In einem Interview sagte Jimenas Vater im vergangenen Monat jedoch, entgegen der Ankündigung von Kardinal Omella, nicht prüfen lassen zu wollen, ob es sich bei der Heilung aus Sicht der Kirche um ein Wunder handelt: "Wir brauchen keine Bestätigung." Jimena werde sich von den Ärzten untersuchen lassen, die sie bereits vorher betreut haben. Doch dabei gehe es nicht um eine kirchliche Bestätigung des Wunders, sondern um ihren aktuellen Gesundheitszustand. "Wir wollen diese Zeit abschließen", so Jimenas Vater. Er selbst sehe das, was seiner Tochter in Portugal geschehen sei, als "ein Geschenk der Gottesmutter an den Weltjugendtag". Und weiter: "Ich glaube, das Schöne dieses Wunders ist es, dass es nicht exklusiv für eine Person oder eine Familie stattgefunden hat." Jimena sei nicht daran interessiert, im Mittelpunkt zu stehen, sondern ihr gehe es um den Glauben und darum, ein normales Leben führen zu können. "Sie will nun Moby Dick lesen, das Buch, das sie las als sie ihre Sehkraft verlor." Gläubige Menschen würden nicht in die Vergangenheit schauen, sondern nach vorne, so der Vater von Jimena.