Bürger und Präsident
Der ehemalige evangelisch-lutherische Pastor ist ein begnadeter Redner, der seinen Auftritt auch mal staatsreligiös aufzuladen weiß. Mit sonorer Stimme und klaren Worten weiß er Menschen für sich einzunehmen. Als Staatsoberhaupt scheint er seine späte Berufung gefunden zu haben.
Ihm kommt zugute, dass kaum ein Bundespräsident sich von vornherein auf eine so breite Mehrheit stützen konnte. Allerdings erst beim zweiten Anlauf. Schon 1999 hatte ihn die CSU ins Gespräch gebracht, 2010 wurde er dann von SPD und Grünen - vergeblich - ins Rennen geschickt. Schließlich drückte ihn 2012 die FDP gegen CDU-Chefin Angela Merkel als Kandidat der Koalition durch - vielleicht scheute Merkel das unberechenbare Charisma.
Hüter der Freiheit
Nur die Linke und die NPD versagten dem ehemaligen Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde ihre Zustimmung. Die Antipathie der PDS-Nachfolgepartei dürfte sich seither noch vertieft haben. Gaucks Vorbehalte gegen Bodo Ramelow als erstem Ministerpräsidenten der Linkspartei und seine scharfen Worte gegen Putins Außenpolitik am 75. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen in Danzig trugen dazu bei.
Gauck sieht sich als Hüter der Freiheit in der großen Tradition des Westens von der Französischen Revolution bis zu Vaclav Havel. Er sei ein Bürger, der Verantwortung übernehme - eine Verpflichtung, die "aus dem Glück der Freiheit" erwachse, meinte er einmal. Mit der Aussage, dass es dieses Menschenrecht notfalls mit Waffen zu verteidigen gelte, löste Gauck eine erhitzte Debatte aus. Ebenso mit seiner Forderung, Deutschland solle mehr außenpolitische Verantwortung übernehmen. Er selbst sorgte für einen Eklat, als er bei einer Türkeireise dem damaligen Regierungschef Recep Erdogan Demokratiedefizite vorwarf.
Gauck bezieht seine Überzeugungskraft aus einem staatsbürgerlichen Sendungsbewusstsein, das er biografisch herleitet. Die Sowjets verschleppen 1951 seinen Vater für fünf Jahre nach Sibirien. Nach dem Abitur verwehrte ihm das SED-Regime ein Germanistikstudium. Als einzige Geisteswissenschaft stand ihm die Theologie offen. Zunächst in Lüssow, seit 1971 im Rostocker Plattenbau-Stadtteil Evershagen zog er sich rund 20 Jahre lang allsonntäglich den Predigertalar über.
Gauck zeigte Distanz zur SED-Diktatur, fuhr aber keinen harten Konfrontationskurs. Erst Ende 1989 schloss er sich der Protestbewegung an, 1990 vertrat er das "Neue Forum" in der frei gewählten Volkskammer. Mit seinem Namen verband sich später die Behörde zur Aufarbeitung des DDR-Unrechts, die "Gauck-Behörde" für die Stasi-Akten, die er zehn Jahre lang leitete.
Religion tut dem säkularen Staat gut
Seine frühere Tätigkeit als Pastor mag ihn zunächst zur Zurückhaltung beim Thema Religion bewogen haben. Inzwischen äußert er sich dazu ebenso unbefangen wie seine protestantisch geprägten Vorgänger Heinemann, von Weizsäcker oder Rau. Auch sie handelten aus der Überzeugung, dass der säkulare Staat nicht nur Religion verträgt, sondern dass sie ihm gut tut. Dabei nimmt Gauck immer wieder den Linksprotestantismus aufs Korn. Er erlaubt sich aber auch, der katholischen Kirche ein Drittes Vatikanisches Konzil zu empfehlen.
Im Privatleben folgt Gauck einem liberalen Freiheitsverständnis. Nach 1989 verließ er seine Frau Hansi und ging eine Beziehung mit der Journalistin Helga Hirsch ein. Nun ist er seit längerem mit Daniela Schadt zusammen. Das Protokoll des Präsidialamts verzeichnet somit erstmals eine "Lebensgefährtin" des Bundespräsidenten. Für manchen Konservativen war das ein Grund des Anstoßes. Gauck vermochte dieser wie anderer Kritik immer wieder mit Charme zu begegnen. Der politische Quereinsteiger hat ein außergewöhnliches Gespür für öffentliche Wirkung und Stimmung - was ihm bisweilen auch den Vorwurf des Populismus einbingt. Solange ihn dieses Gespür nicht verlässt, kann er sich weiterhin seiner Popularität gewiss sein.
Von Christoph Scholz (KNA)