Kardinal Marx: Ich würde auch ein homosexuelles Paar segnen
Der Münchner Kardinal Reinhard Marx hätte kein Problem damit, ein homosexuelles Paar zu segnen. "Warum nicht? Es kommt immer auf die jeweilige Situation an. Wenn Menschen mich um einen Segen bitten, dann werde ich das auch tun", sagte Marx dem "Münchner Merkur" (Dienstag). Beim Synodalen Weg, dem Reformprojekt der katholischen Kirche in Deutschland, sei im Übrigen bewusst von einer "Segnung für Menschen, die sich lieben" gesprochen worden. "Wir wollen keine Fokussierung ausschließlich auf eine Gruppe."
Es gebe Paare, die kirchlich gesehen kein Ehesakrament empfangen könnten, erklärte der Erzbischof von München und Freising. "Aber es kann doch nicht sein, dass sie deshalb in der Pastoral ausgeschlossen werden!" Auf der Ebene der Bischofskonferenz solle dazu noch eine Handreichung erarbeitet werden. Darauf müssten die Pfarrer aber nicht warten: "Wenn Menschen, die sich lieben, einen Segen erbitten, werden die Seelsorgerinnen und Seelsorger einen Weg finden, damit gut umzugehen und es zu tun."
"Mir war klar, dass wir daran lange, lange arbeiten müssen"
Im Interview bedauerte Marx ebenfalls, das Thema Missbrauch in der katholischen Kirche anfangs zu wenig ernst genommen zu haben. "Als das in den USA vor mehr als 20 Jahren bekannt wurde, dachten wir: Bei uns ist das nicht so", sagte er. Für ihn sei es ein Schock gewesen, dass sein Idealbild von Kirche, das er als junger Priester gehabt habe, so konfrontiert worden sei mit einer dunklen Seite. "Aber ich muss damit leben, und wir müssen das besser machen."
Der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche in Deutschland sei ein Einschnitt gewesen, führte der Kardinal aus. "Mir war klar, dass wir daran lange, lange arbeiten müssen." Bei all dem Furchtbaren müsse man aber auch sehen, dass viel in der Aufarbeitung und in der Prävention gemacht worden sei. Seit der Veröffentlichung des zweiten für die Erzdiözese in Auftrag gegebenen Gutachtens bemühe man sich noch einmal verstärkt um die Betroffenen.
In der Öffentlichkeit vermisse er aber, so Marx, dass zuweilen nicht gesehen werde, was in den vergangenen 13 Jahren geleistet worden sei: "Keine andere Institution beackert das Thema so gründlich wie wir – auch der Staat nicht!" Seine Zeit als Erzbischof sei davon geprägt. "Hoffentlich wird man in 50 und 100 Jahren sagen: Die haben aber was getan, die haben es nicht schleifen lassen. Und daran arbeiten wir", sagte der Kardinal.
Die steigende Zahl der Kirchenaustritte bedrücke ihn sehr, erklärte Marx. Inzwischen merkten aber einige auch, was passieren werde, wenn die Präsenz der Kirchen marginal werde. Zu wenig sei bewusst, dass die Kirchensteuer einen großen Beitrag für das Gemeinwohl leiste. "Nehmen wir nur die wunderschönen Kirchen bei uns: Diese Barockkirchen sind ein Fest! Ohne Kirchensteuer könnten wir das gar nicht auf dem Niveau halten!" Auch die Kirchensteuerzahler würden nicht ausreichend wertgeschätzt, sagte Marx: "Sie zahlen zweimal: durch ihre Steuern an den Staat und durch ihre Kirchensteuer. Ich sage den Kirchensteuerzahlern dafür herzlichen Dank!"
"Lust habe ich immer, etwas zu gestalten"
Darüber, dass er bei der im Oktober beginnenden Weltsynode nicht dabei ist, ist Marx nach eigenen Worten nicht enttäuscht. Er habe schon so viele Synoden mitgemacht. "Jetzt können andere ihre Stimme einbringen. Aber: Lust habe ich immer, etwas zu gestalten." Die Synode sei erst der Anfang. Im Erzbistum München und Freising und in der Deutschen Bischofskonferenz gehe es dann weiter.
Papst Franziskus habe 2015 zum ersten Mal von einer "synodalen Kirche" gesprochen, erinnerte der Kardinal. Das werde nun Schritt für Schritt konkreter. Die Kirche müsse nicht "monarchisch" strukturiert sein, ihre äußere Gestalt könne sich verändern. Die Substanz – das Evangelium und die Feier der Sakramente – bleibe. Das gehe nicht ohne Schmerzen, weil das Alte stark sei und das Neue sich erst durchsetzen müsse. Das könne nur in einem Miteinander gelingen.
Er erhoffe sich, dass sich nicht von heute auf morgen alle Wünsche der einen Seite und alle Ängste der anderen Seite bewahrheiten, ergänzte Marx. Er setze darauf, dass sich ein gemeinsamer Prozess entwickle, in dem die Transformation nach und nach vorangehe. Das sei in einer Weltkirche aber sehr schwer.
„Ich denke oft an den Tod. Das macht mir keine Angst. Aber die Frage, wie man stirbt, ob man leiden muss, ob man dement wird, das beschäftigt mich.“
Im Hinblick auf seinen 70. Geburtstag am Donnerstag bekannte Marx, dass er sich eine gute Sterbestunde wünschen würde, hätte er drei Wünsche drei. "Ich denke oft an den Tod. Das macht mir keine Angst. Aber die Frage, wie man stirbt, ob man leiden muss, ob man dement wird, das beschäftigt mich", sagte er im Interview. Er bete dafür, dass der Herrgott sich erbarmen möge und ihm eine gute Sterbestunde schenke, "dass ich in guter Weise gehen kann".
Zuvor aber wünsche er sich, in seinem Amt geistig und körperlich fit zu bleiben und dass sich seine Anwandlungen von Melancholie und Resignation nicht durchsetzten, so der Kardinal: "Das ist eine Gnade, und die muss ich immer wieder erbitten." Wenn man älter werde, habe man den Eindruck, es gehe immer schneller. Es gehe darum, das, was noch an Zeit bleibe, gut zu gestalten. Auch wenn er manche Aufgaben inzwischen abgegeben habe, ziehe er sich nicht zurück, betonte der Erzbischof von München und Freising. "Ich würde auch nicht sagen, dass ich weniger arbeite." Vielleicht mit ein bisschen mehr Ruhe. Aber mit 70 könne er nicht durch Gegend rennen wie mit 40.
"Ohne die Heilige Messe könnte ich nicht leben"
Auf die Frage, ob er heute wieder Priester werden würde, entgegnete Marx, er glaube schon. "Das füllt mein Leben aus. Ohne die Heilige Messe könnte ich nicht leben." Vor 44 Jahren sei er mit großem Enthusiasmus und einer wahnsinnigen Freude in den Dienst gegangen. Er habe viel Schönes erlebt, unglaublich starke Erfahrungen und Begegnungen gehabt. Aber da sei eben auch das andere. "Ich habe nicht gedacht, dass es so schwer wird."
Die Gewissheit im Sinne einer idealen Vorstellung von Kirche habe er verloren, bekannte der Kardinal. Früher habe er gedacht, die dunkle Seite von Kirche sei Geschichte. "Das war naiv!" Trotzdem sei sein Glaube nicht schwächer geworden, sondern habe sich intensiviert auf das Wesentliche: neu zu sehen, was diesen Jesus von Nazareth umgetrieben habe. Nach Ansicht von Marx wird es eine größere Transformation der äußeren Gestalt der Kirche geben, aber die Botschaft werde weitergehen. "Jetzt müssen wir – auch ich mit 70 – die Wege dafür ebnen. Müssen Entscheidungen treffen, uns von manchem befreien, etwa bei Immobilien oder auch Strukturen." (cbr/KNA)