Jeder zweite Katholik in Deutschland geht nie in den Gottesdienst
Seit Jahren sinkt der Gottesdienstbesuch in Deutschland. Waren es 2010 noch 12,6 Prozent der Katholiken, die in den Sonntagsgottesdiensten gezählt wurden, weist die jüngste Kirchenstatistik der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) für das Jahr 2022 nur noch 5,7 Prozent aus. Das ist zwar über dem Wert für das Vorjahr, bleibt aber selbst hinter dem ersten Corona-Jahr mit seinen strikten Beschränkungen öffentlicher Veranstaltungen und Gottesdienste zurück.
Im Auftrag von katholisch.de hat das Meinungsforschungsinstitut YouGov nun eine repräsentative Erhebung des Gottesdienstbesuchs nach einer anderen Methodik angefertigt und die Frage nach der Häufigkeit des Gottesdienstbesuchs gestellt. Die Ergebnisse sind ähnlich ernüchternd wie die jährliche Kirchenstatistik: 64 Prozent der Menschen in Deutschland ab 18 Jahren besuchen nie einen Gottesdienst, nur sechs Prozent gehen mindestens einmal in der Woche in die Kirche. In diesen Zahlen sind aber alle Befragten einbezogen, unabhängig von ihrem Glauben – also auch Konfessionslose.
Muslime trifft man häufiger in der Moschee als Christen in der Kirche
Nach Konfessionen aufgeschlüsselt zeigt sich bei den großen Kirchen große Einmütigkeit: Jeweils etwa die Hälfte der Katholiken und landeskirchlichen Protestanten besuchen nie einen Gottesdienst – bei den Katholiken mit 49 Prozent etwas weniger als bei den Protestanten mit 53 Prozent. Im Vergleich dazu sind Muslime deutlich häufiger in der Moschee: Nur 22 Prozent von ihnen geben an, nie Gottesdienste zu besuchen. Andere Konfessionen sind in Deutschland so gering vertreten, dass unter den Befragten nicht genug Menschen waren, um aussagekräftige Ergebnisse abzulesen.
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Unter katholischen Gläubigen ist der mindestens allwöchentliche Gottesdienstbesuch verhältnismäßig stärker verankert als bei Protestanten – zehn gegen vier Prozent sprechen eine deutliche Sprache, beide Werte bleiben wiederum hinter den Muslimen mit 17 Prozent zurück. Immerhin: Die zehn Prozent sind fast doppelt so hoch wie die Zahl aus der offiziellen Kirchenstatistik der Bischofskonferenz.
Ein direkter Vergleich ist aber angesichts der sehr unterschiedlichen Methodik schwierig: Die offiziellen Zahlen der DBK entstehen durch Zählungen an zwei Sonntagen im Jahr. Im Frühjahr werden die Zahlen jeweils am zweiten Fastensonntag erhoben, im Herbst jeweils am zweiten Sonntag im November. Die Zählung findet bewusst an "normalen" Sonntagen statt – und nicht an Hochfesten oder anderen bedeutenden Tagen im Kirchenjahr mit vielen Gottesdienstbesuchern –, um möglichst realistische Zahlen zu erfassen. Wer am Sonntag oder in der Vorabendmesse da ist, wird gezählt, wer nicht da ist, wird nicht gezählt. Wer in dieser Woche einen Werktagsgottesdienst oder einen Online-Gottesdienst mitfeiert, bleibt außen vor. Dagegen geben bei der Erhebung des Meinungsforschungsinstituts die Befragten selbst Antworten auf Grundlage ihrer eigenen unhinterfragten Einschätzung, was sie unter Gottesdienstbesuch verstehen.
Altersverteilung anders als erwartet
Überraschend ist in den Zahlen von YouGov die Altersverteilung: Die geringste abgefragte Frequenz, "ca. einmal im Halbjahr", schwankt über alle Altersstufen zwischen 13 und 17 Prozent der Befragten. Hier gibt es noch eine verhältnismäßig geringe Variation. An den jeweiligen Enden der Skala, "nie" und "ca. mindestens einmal wöchentlich" sind die Ausschläge stärker: Je älter die Befragten sind, desto mehr von ihnen geben an, nie Gottesdienste zu besuchen. Die 25–34-Jährigen haben mit 48 Prozent den geringsten Anteil der Abstinenten, den höchsten hat die Altersgruppe ab 55 Jahren.
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Angesichts des Eindrucks über den Altersdurchschnitt, der sich bei vielen Gottesdiensten ergibt, ist das kein unbedingt naheliegendes Ergebnis – allerdings fallen in die älteste Altersgruppe auch die besonders geburtenstarken Jahrgänge, so dass eine höhere relative Abstinenz absolut immer noch eine hohe Zahl an Gottesdienstbesuchern ergibt. Der Einschnitt scheint bei 45 Jahren zu liegen: In den Altersgruppen zwischen 18 und 44 Jahren liegt der mindestens wöchentliche Gottesdienstbesuch bei acht bis zehn Prozent, dann bricht er rapide herunter auf vier bis fünf Prozent der Befragten. Die Tendenzen beim häufigen Gottesdienstbesuch ziehen sich durch die anderen Antwortoptionen zwischen den Extremen.
Viele Unbekannten – aber es gibt Chancen
Ob das an der Demographie liegt oder an anderen Faktoren, lässt sich nicht ermitteln: Schlüsselt man die 2018 Befragten zugleich nach Glaubenszugehörigkeit und Alter auf, liegen jeweils zu wenige Daten vor. Denkbar wäre ein Einfluss einer unterschiedlichen Altersverteilung in den verschiedenen Gruppen. Bekannt ist etwa, dass in Deutschland Ausländer und Deutsche mit Migrationshintergrund in der Altersverteilung einen deutlich geringeren Überhang von Menschen über 50 haben als Deutsche ohne Migrationshintergrund.
Wenn eine gesellschaftliche Gruppe gleichzeitig eine überdurchschnittliche religiöse Bindung und eine überdurchschnittliche Geburtenrate hat, könnte das das Ergebnis verzerren. Dann gibt es nämlich in den jüngeren Generationen relativ gesehen mehr Angehörige dieser Gruppe. Das ist aber Spekulation und auf der Grundlage der vorhandenen Daten nicht belegbar. Eine Renaissance des Gottesdienstes bei jüngeren Christen lässt sich nicht belegen. Denkbar, aber ebenso spekulativ wäre auch ein günstiger Einfluss von Jugendarbeit und Kindergottesdiensten.
Mit den nun erhobenen Zahlen gewinnen die Ergebnisse der Zählsonntage mehr Konturen, auch wenn die beiden Erhebungen aufgrund der unterschiedlichen Methodik nicht direkt vergleichbar sind. Die in den Gottesdiensten gezählten 5,7 Prozent Gottesdienstbesucher gibt Anhaltspunkte für den Anteil der Katholiken, die man an beliebigen Sonntagen in der Kirche antrifft. Sie verstellt aber zugleich den Blick darauf, dass der Gottesdienst bei allen nach unten zeigenden Kurven mehr als nur knapp sechs Prozent der Katholiken erreicht. 49 Prozent der volljährigen Mitglieder gar nicht zu erreichen, ist kein Ruhmesblatt. Und die "Sonntagspflicht" gibt es nur noch auf dem Papier – die übergroße Mehrheit der Katholiken erfüllt sie seit langem nicht mehr. Gut die Hälfte der erwachsenen Kirchenmitglieder hat aber mindestens ein- bis zweimal im Jahr Kontakt mit einem Gottesdienst. Das ist eine größere Chance, als 5,7 Prozent vermuten lassen.
Datengrundlage
Die verwendeten Daten beruhen auf einer Online-Umfrage der YouGov Deutschland GmbH, an der 2018 Personen zwischen dem 5. und 7. September 2023 teilnahmen. Die Ergebnisse wurden gewichtet und sind repräsentativ für die deutsche Bevölkerung ab 18 Jahren.
Die Zahlen der Deutschen Bischofskonferenz beruhen auf den Angaben der Kirchenstatistik für das Jahr 2022.