Präsident Khevenhüller über aktuelle und künftige Herausforderungen

"Wegen katholischem Profil attraktiv": Malteser Hilfsdienst wird 70

Veröffentlicht am 30.09.2023 um 12:20 Uhr – Von Christoph Arens (KNA) – Lesedauer: 

Köln ‐ Der Malteser Hilfsdienst in Deutschland feiert an diesem Samstag sein 70-jähriges Bestehen. Im Interview erläutert Präsident Georg Khevenhüller die Ziele der Hilfsorganisation, die einst auf Anregung von Bundeskanzler Konrad Adenauer gegründet wurde.

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Viele Katastrophen der vergangenen Jahre haben gezeigt, wie verletzlich die Gesellschaft ist. Der Malteser Hilfsdienst ist vor 70 Jahren gegründet worden, um Menschen in Nöten beizustehen – mit einem klaren katholischen Profil. Zum 70. Geburtstag der Hilfsorganisation spricht ihr Präsident Georg Khevenhüller über aktuelle und zukünftige Herausforderungen.

Frage: Herr Khevenhüller, die Malteser sind zu einer großen Hilfsorganisation geworden. Was treibt Sie an?

Khevenhüller: Wir haben in den 50er Jahren mit Erste-Hilfe-Kursen und einer Schwesternausbildung angefangen. Heute haben wir sechs große Tätigkeitsfelder, die vom Krankenhausbereich über die Altenpflege, den Katastrophenschutz und die ehrenamtlichen Sozialdienste sowie Migrationsdienste und Schulen bis zur internationalen Nothilfe unter Malteser International reichen. Was uns antreibt, hat schon der Gründer des Malteserordens, der Selige Gerhard, im 11. Jahrhundert in Jerusalem formuliert, als er sagte: Unsere Bruderschaft wird unvergänglich sein, weil der Boden, auf dem diese Pflanze wurzelt, das Elend der Welt ist, und weil, so Gott will, es immer Menschen geben wird, die daran arbeiten, dieses Leid geringer, dieses Elend erträglicher zu machen. Und es gibt immer neue Nöte – auch und gerade in unserer modernen Gesellschaft.

Frage: Welche neuen Nöte sehen Sie insbesondere?

Khevenhüller: Ein riesiges und zunehmend bedrückendes Thema ist die Einsamkeit in unserer Gesellschaft. Familienstrukturen verändern sich, und insbesondere immer mehr ältere Menschen fühlen sich komplett alleingelassen. Das Gefühl, nicht mehr dazuzugehören und nicht mehr gebraucht zu werden, weckt Depressionen und Suizidgedanken. Wir Malteser sind deshalb im von der Bundesregierung geförderten Kompetenznetz Einsamkeit vertreten, um Konzepte gegen Vereinsamung und für gesellschaftlichen Zusammenhalt zu entwickeln. Im Rahmen unserer Besuchs- und Begleitungsdienste besuchen rund 2.500 Ehrenamtliche in mehr als 200 Städten und Gemeinden Seniorinnen und Senioren zu Hause und in Altenhilfeeinrichtungen – manchmal sogar mit Begleithund. Wir bieten auch Einkaufsdienste, Telefonbesuchsdienst, Hospizdienste oder Trauerbegleitungen. Solche Angebote werden in Zukunft immer wichtiger. Wir brauchen ein breites Netzwerk im Kampf gegen Einsamkeit.

Georg Khevenhüller
Bild: ©KNA/Malteser Hilfsdienst/Lena Kirchner

"Längerfristige und große Notlagen lassen sich mit den derzeit bestehenden Strukturen kaum bewältigen", sagt Georg Khevenhüller. Deshalb fordert der Präsident des Malteser Hilfsdienstes, dass der Staat ehrenamtliches und zivilgesellschaftliches Engagement fördert.

Frage: In Ihrem Verband arbeiten rund 40.000 Hauptamtliche und fast 55.000 Ehrenamtliche. Gibt es einen Trend zur Professionalisierung?

Khevenhüller: In vielen Bereichen kann man das so sagen. Wer Krankenhäuser betreibt, Rettungsdienste oder stationäre Altenhilfe anbietet, braucht viele professionelle Mitarbeiter. Dafür sorgen schon die ständig steigenden Anforderungen durch Vorschriften und Gesetze. Der Fachkräftemangel ist auch für uns in vielen Bereichen eine Herausforderung und wir arbeiten kontinuierlich daran, ein attraktiver Arbeitgeber im Gesundheits- und Sozialwesen zu sein.

Frage: Und wie wichtig ist das Ehrenamt für Sie?

Khevenhüller: Wir kommen als Verband, aber auch als Gesellschaft, ohne verstärkte ehrenamtliche Arbeit nicht weiter. Wir müssen als Bürger schon auch selbst für uns Verantwortung übernehmen und unseren Beitrag leisten. Das ehrenamtliche und zivilgesellschaftliche Engagement ist eine große Stärke Deutschlands. Das muss der Staat aber auch fördern und ermöglichen.

Frage: Können Sie das an einem Beispiel verdeutlichen?

Khevenhüller: Schauen Sie sich den Katastrophenschutz an. Die Flutkatastrophe in NRW und Rheinland-Pfalz, die Corona-Pandemie und auch der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine zeigen uns, wie verletzlich unsere Gesellschaft ist und wie schnell wir im Gesundheitssystem und der Katastrophenhilfe an unsere Grenzen stoßen. Längerfristige und große Notlagen lassen sich mit den derzeit bestehenden Strukturen kaum bewältigen.

Frage: Was ist zu tun?

Khevenhüller: Wir müssen den Bevölkerungsschutz dringend auf breitere Füße stellen. Wir haben deshalb das Konzept eines auf vier Jahre angelegten freiwilligen "Gesellschaftsdienstes im Bevölkerungsschutz" entwickelt: Menschen jeden Alters und jeglicher Herkunft sollen medizinisch, pflegerisch und technisch so ausgebildet werden, dass sie im Katastrophenfall zur unmittelbaren Gefahrenabwehr beitragen können. Ähnliches gilt ja übrigens auch für den Rettungsdienst. Wir beteiligen uns als Malteser daran, Ersthelfer-Alarmierungssysteme einzurichten wie zum Beispiel den Gemeindenotfallsanitäter oder den first responder. Wenn jemand auf der Straße oder am Arbeitsplatz zusammenbricht und oder sich ein Unfall ereignet, können Ersthelfer, die sich in der Nähe aufhalten, über Smartphone-Apps alarmiert werden und Erste Hilfe leisten bis der Notarzt eintrifft.

„Wir kommen als Verband, aber auch als Gesellschaft, ohne verstärkte ehrenamtliche Arbeit nicht weiter. Wir müssen als Bürger schon auch selbst für uns Verantwortung übernehmen und unseren Beitrag leisten.“

—  Zitat: Georg Khevenhüller

Frage: Das würde ja gut zur Idee einer Pflichtzeit von Bundespräsident Steinmeier passen...

Khevenhüller: Wir haben unser Konzept schon im Bundesinnenministerium sowie in der Innenministerkonferenz vorgestellt und sind zunächst auf großes Interesse gestoßen. Doch mittlerweile haben wir den Eindruck, dass die Ampel diesen Weg der Stärkung des Bevölkerungsschutzes in dieser Legislaturperiode nicht mehr anpacken will. Das ist angesichts der vielen Baustellen derzeit nachvollziehbar. Allerdings ich bin mir sicher: Die nächste Katastrophe kommt bestimmt. Und dann stellt sich die Frage, ob wir gut aufgestellt sind.

Frage: Haben Sie grundsätzlich den Eindruck, dass der Staat ihr Engagement ausreichend wahrnimmt?

Khevenhüller: Es gibt da durchaus Fragen. Wir fordern beispielsweise eine flächendeckende Gleichstellung unserer ehrenamtlich Helfenden mit denen der freiwilligen Feuerwehren und des Technischen Hilfswerks THW. Länder und Bund müssten die Freistellung der Ehrenamtlichen von der Arbeit im Falle eines Krisenfalls gesetzlich verankern. Dem Arbeitgeber müssen die Lohnkosten ersetzt werden. Hilfsorganisationen müssen auch technisch besser ausgestattet werden, um im Katastrophenfall reagieren zu können. Außerdem brauchen wir staatliche Unterstützung bei der Gewinnung, Ausbildung und Begleitung ehrenamtlicher Helfer. Das Ehrenamt hat sich verändert. Die Bereitschaft zu Hilfe und Engagement ist nach wie vor hoch. Doch viele Menschen möchten keine langfristigen Bindungen an einen Verein oder Verband mehr eingehen. Umso schwieriger ist es, unsere Arbeit langfristig zu sichern. Damit müssen wir uns auseinandersetzen.

Frage: Die Malteser sind ein explizit katholischer Verband. Schlagen der Missbrauchsskandal und das sinkende Vertrauen in die Kirche auch auf Ihre Arbeit durch?

Khevenhüller: Nein. Wir sind und bleiben gerade auch wegen unserem klaren katholischen Profil attraktiv für die Menschen. Was die hauptamtlichen Mitarbeitenden angeht, hat uns die Neuformulierung der bischöflichen Grundordnung, also des kirchlichen Arbeitsrechts, eine Vielzahl an Lockerungen gebracht. Bei den Ehrenamtlichen und bei unserer Positionierung in der Gesellschaft ist es entscheidend, dass die Menschen wissen, wofür wir stehen: Wir helfen Menschen jeglicher Herkunft und Religion in der Not und das aus Nächstenliebe. Weil wir im armen und kranken Menschen Jesu Christi sehen, dem wir uns schenken wollen.

Von Christoph Arens (KNA)