Katholiken zeigten Selbstbewusstsein auch gegenüber dem Papst

Eine Frucht der Revolution: Erster Katholikentag vor 175 Jahren

Veröffentlicht am 03.10.2023 um 00:01 Uhr – Von Christoph Arens (KNA) – Lesedauer: 

Bonn ‐ Nicht nur aktuell schaut der Vatikan misstrauisch nach Deutschland. Vor 175 Jahren trafen sich deutsche Katholiken zum ersten Katholikentag – und beriefen sich auf Freiheiten, die die Päpste strikt verurteilt hatten.

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Freiheit und Demokratie lagen in der Luft. Ein Völkerfrühling wie 1989. 1848 war nicht nur das Jahr, in dem das Bürgertum in Deutschland sich mit einer Revolution Freiheiten und Rechte erstreiten wollte. Auch die deutschen Katholiken beriefen sich – mit Blick auf die Frankfurter Paulskirche – auf die revolutionären Errungenschaften: auf die Vereins-, Versammlungs- Presse-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Vor 175 Jahren, vom 3. bis 6. Oktober 1848, fand in Mainz der erste Deutsche Katholikentag statt.

"Die Freiheit der Kirche ist die Mutter einer besseren Zukunft für Deutschland." Dieser Satz aus einer Erklärung des "Katholischen Vereins Deutschlands" umreißt in aller Kürze, wofür die Katholiken 1848 aufgebrochen waren.

Schon seit 1837 hatte sich eine katholische Bewegung gegen staatliche Willkür im stark protestantisch geprägten Preußen formiert. Die Demokratiebewegung bot neue Chancen. Deshalb gründete der Mainzer Domkapitular Adam Franz Lennig am 23. März 1848 in Mainz den ersten "Pius-Verein für religiöse Freiheit", dem deutschlandweit schnell hunderte weitere folgten. Während des Kölner Dombaufestes im August 1848 wurde dann beschlossen, eine Dachorganisation zu gründen.

Katholikentag Mainz 1948
Bild: ©KNA/Bild

Die Katholikentage haben eine lange Geschichte: Teilnehmer auf dem 72. Deutschen Katholikentag 1948 in Mainz.

"Ohne Revolution keine Katholikentage", schreibt der Kirchenhistoriker Hubert Wolf in einem Buch, das zum 100. Katholikentag in Leipzig 2016 erschien. Für ihn ist wichtig, dass die Katholiken dabei nicht nur ihr Selbstbewusstsein gegenüber dem Staat demonstrierten, sondern auch gegenüber dem Papst.

Denn hätten sie den Weisungen aus Rom Folge geleistet, dann hätten sie die revolutionären Errungenschaften strikt ablehnen müssen, so der Historiker. Schließlich hatte Papst Gregor XVI. diese Freiheiten schon 1831 als "geradezu pesthaften Irrtum" verurteilt.

Katholiken nutzten 1848 neues Vereinsrecht

"Die deutschen Katholiken haben sich 1848 gerade nicht hinter die hohen Kirchenmauern ins katholische Ghetto zurückgezogen", betont der Kirchenhistoriker. Sie hätten die moderne Welt nicht als Teufelswerk abgelehnt. Und so paradox es klingt: Sie setzten die vom Papst verurteilten Freiheiten gerade für die Freiheit der Kirche und für den Schutz des Papstes selbst ein. Dazu organisierten sie sich nicht in der klassischen Form frommer Bruderschaften, sondern nach dem neuen bürgerlichen Vereinsrecht.

Als eine "geradezu geniale Idee" bezeichnet es Wolf, dass sich die ersten katholischen Vereine ausgerechnet nach dem damals amtierenden Papst Pius IX. (Amtszeit von 1846 bis 1878) benannten. Für den Kirchenhistoriker auch ein Signal für die heutige Zeit: Die katholische Laienbewegung damals habe keine Denkverbote und Tabus akzeptiert. Und vor allem habe sie "einen Schuss Ungehorsam der Hierarchie gegenüber" gewagt, wenn diese sich den Zeichen der Zeit gegenüber verschließen wollte.

 Hubert Wolf
Bild: ©Andreas Kühlken/KNA

Hubert Wolf ist Professor für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte an der Universität Münster.

Allerdings war der erste Katholikentag in Mainz kein breites Massenereignis. Es handelte sich um eine Delegierten-Versammlung der Piusvereine, zu der 87 Vereinsabgeordnete sowie rund weitere 100 Geistliche und Laien kamen. Sie gründeten dann den Katholischen Verein Deutschlands. Von da an gab es fast jedes Jahr einen Katholikentag.

Bei den Treffen ging es zunächst ausschließlich um politische und soziale Ziele. 1848 waren das vor allem Religions- und Gewissensfreiheit, Unabhängigkeit der Religion und der Kirche vom Staat, Freiheit aller religiösen Assoziationen und die Bekämpfung der sozialen Leiden des Volkes. Spätere Katholikentage verhandelten Themen wie die Arbeiterfrage, Schulpolitik, Soziale Marktwirtschaft, Zuwanderung und Frieden.

Geprägt durch die Katholikentage, entwickelte sich der soziale und politische Katholizismus in Deutschland mit der Zentrumspartei an der Spitze, sagt Kirchenhistoriker Wolf. "Wir machen jetzt das, was Sozialisten, Liberale, Arbeiter, alle möglichen Leute können, um in der Öffentlichkeit, in der Gesellschaft, in der Politik für die Rechte und die Werte, für die Katholizismus steht, einzutreten." Dass Katholikentage sich auch in innerkirchliche Glaubens- und Lehrfragen einmischen, ist eine Sache der letzten Jahrzehnte.

Von Christoph Arens (KNA)