Regisseur: Hatte nie das Gefühl, dass Ordensleute sich unfrei fühlten
Was fasziniert Menschen am Klosterleben? Die sechsteilige Doku-Reihe "Mauern der Freiheit" des Regisseurs Johannes Rosenstein, eine Koproduktion von BR und ORF, schaut hinter die Mauern von Klöstern in Bayern und Österreich und porträtiert Menschen, die dort nicht nur ihre Berufung, sondern auch ihre Freiheit gefunden haben. Den Auftakt machen an diesem und nächstem Montag Folgen über das Kloster Vierzehnheiligen in Oberfranken und das Benediktinerinnenstift Nonnberg in Salzburg; für 2024 sind weitere Folgen geplant. Mit katholisch.de sprach Regisseur Rosenstein über die Faszination Klosterleben und seine Eindrücke durch die Dreharbeiten.
Frage: Herr Rosestein, Sie waren vor ein paar Jahren schon einmal im Kloster Niederaltaich, um einen Film zum Thema Ordensleben zu machen. Was machen solche Orte mit Ihnen persönlich?
Rosenstein: Kein Kloster, keine Gemeinschaft ist gleich; ich erlebe eine enorme Vielfalt, sowohl was das klösterliche Leben als auch was die Menschen angeht, die sich für ein Leben darin entscheiden. Auch wenn es wenig originell klingt: Jedes Kloster hat eine Schwingung, es atmet und erzählt von sich. Es ist Stein gewordene Geschichte. Ich schnuppere sozusagen an einer Lebensform, die über das reine einzelne Menschenleben hinausgeht. Einerseits verspüre ich eine große Ruhe, ein Zu-Sich-Kommen, andererseits bin ich auch ein wenig der kleine Junge, der sich darüber freut, durch jahrhundertealte Gänge zu laufen, zu wissen, ich habe die unglaublich privilegierte Möglichkeit, Einblicke und Einsichten zu gewinnen, weil mir Ordensmenschen ihre Türen öffnen.
Frage: Was ist es, was Sie gerade am klösterlichen Leben beeindruckt?
Rosenstein: Bei aller Unterschiedlichkeit, die ich erfahren habe: Am stärksten fasziniert mich eine tiefe und oft heitere Gelassenheit, die die Mönche und Nonnen ausstrahlen, zumindest diejenigen, die ich länger habe kennenlernen können. Ich merke schon, dass es ein Geheimnis der Berufung gibt, das nicht zerredet werden kann, oft kann es nicht mal in Worte gefasst werden. Und das zweite, was ich zu Anfang so nicht erwartet hätte, ist, wie oft und wie sehr die Schwestern und Brüder ganz fest mitten im Leben stehen. Bete und arbeite – im Kloster geht es wirklich um beides, und die Arbeit kommt nirgends zu kurz. Ich habe selten Menschen getroffen, die so aktiv waren wie Ordensleute!
Frage: Wie tief sind Sie für die aktuelle Reihe ins Klosterleben eingetaucht?
Rosenstein: Nach dem Erstkontakt, bei der es ganz grundsätzlich darum geht, ob ein Filmdreh möglich sein könnte, reise ich zu einem mehrtägigen Recherchebesuch in die jeweilige Gemeinschaft. Dort versuche ich dann, den Rhythmus des Lebens, den Alltag zwischen Gebet und Arbeit kennenzulernen. Ich führe Gespräche mit verschiedenen Leuten und darf oft beim Mittag- oder Abendessen und den Chorgebeten dabei sein. Mir ist wichtig, dass die Gemeinschaft auch Gelegenheit bekommt, mich kennenzulernen – das ist die Grundlage für alles Weitere. Letztlich geht es darum, Vertrauen aufzubauen. Und mir geht es auch darum, etwas vom Geist, von der Energie, vom Spirit der Gemeinschaft mitzubekommen, damit ich für den Dreh Situationen identifizieren kann, um diesen Spirit auch erzählerisch und visuell umzusetzen.
Frage: Was ist aus ihrer Sicht an der aktuellen Reihe besonders spannend?
Rosenstein: Am meisten beeindruckt mich, wie ich schon angedeutet habe, die Vielfalt des klösterlichen Lebens. Und die total unterschiedlichen Charaktere, mit denen ich zu tun habe. Die Bandbreite ist enorm groß: ob ich ein Kloster mit strenger Klausur und sieben Gebeten pro Tag habe, die noch dazu gesungen werden, wie es auf dem Nonnberg der Fall ist, oder ob ich einen Wallfahrtsort habe, den die Franziskaner in Vierzehnheiligen betreuen, und die deshalb einen großen Durchlauf an Gästen haben. Das ist einfach ein Riesenunterschied, was Tagesablauf und Organisation des Konvents angeht. Und das gleiche gilt für die Menschen; da sind diejenigen, die schon mit 14 Jahren wussten: "Ich will ins Kloster!" – und diejenigen, die schwanken, die sich zwischen einem Beruf und einer Familie entscheiden müssen. Ich habe eine Ewige Profess gedreht, die Schwester war 49 Jahre alt. Dann gibt es Leute, die sagen von sich, sie brauchen die Disziplin, die das Kloster bietet. Und es gibt andere die sagen: Ich will einfach einen Beruf, der zu mir passt und bei dem ich mich nicht verbiegen muss. Diese Diversität finde ich großartig. Und ganz nebenbei: Davon kann Kirche eigentlich nicht genug haben.
Frage: Die Reihe heißt "Mauern der Freiheit". Inwiefern können Klöster, in denen das Leben nach strengen Vorgaben läuft, Orte der Freiheit sein?
Rosenstein: Klöster sind abgeschlossene Orte, und ja, es gibt immer eine Klosterregel, nach der man lebt. Doch innerhalb dieses Regelwerks und innerhalb der Klostermauern stecken meiner Erfahrung nach viele Möglichkeiten der Entfaltung. Erstens haben sich alle Menschen, die ich in den Filmen porträtiere, aus freien Stücken für ein Leben im Kloster entschieden. Sie haben eine freie Entscheidung getroffen, dass ihnen diese Art der Gottessuche oder Nachfolge am wichtigsten ist. Und zweitens bieten viele Klöster Freiräume, in denen man seinen Begabungen nachgehen kann. Auch ist man frei von anderen Bindungen, und kann sich voll und ganz seiner Berufung widmen. Ich hatte nie das Gefühl, dass Ordensleute sich unfrei fühlten – eher im Gegenteil. Und manche haben sogar enorm elaborierte Hobbies, wer kann schon im normalen Leben einfach so Orgel spielen oder sich mit Mineralien oder Graphiken beschäftigen? Viele Klöster haben irrsinnig große Sammlungen, die über die Jahrhunderte angewachsen sind.
Frage: Wirken die Menschen, denen Sie in den Klöstern begegnet sind, auf Sie in gewisser Weise freier als andere?
Rosenstein: Glaube macht frei – oder genauer: kann frei machen. Glaube, falsch verstanden und falsch vermittelt, kann auch enorm unfrei machen. Ich denke, wer sich auf klösterliches Leben einlässt, der macht sich diese Entscheidung nicht leicht. Und dann hat man ja auch einige Jahre Zeit, diese Entscheidung zu leben, zu testen, ob man in die Gemeinschaft passt und die Gemeinschaft zu einem passt. Wer durch diese Schule gegangen ist, der setzt sich mit vielen Fragen und Zweifeln auseinander und für den bedeutet oft die Ewige Profess, nun wirklich angekommen zu sein – dort, wo man hinwollte. Deshalb: Ob Klostermenschen freier sind als andere, das vermag ich nicht zu beurteilen – aber dass sie eine innere Freiheit erlangt haben, sich unabhängig zu machen vom Urteil ihrer Umwelt, das glaube ich schon.
Frage: Viele Klöster haben arge Zukunftssorgen. Wie haben Sie die Gemeinschaften vorgefunden? Haben Sie auch manchen Zweifel gespürt?
Rosenstein: Sicher gibt es Klostergemeinschaften, die gerade in stürmischen Gewässern segeln. Die sagen dann aber keinem Filmteam zu, sich bei dieser Reise begleiten zu lassen. Insofern sind die sechs Klöster, die ich porträtiere, sicherlich Gemeinschaften, die mit einem Grundvertrauen unterwegs sind. Darunter gibt es welche, bei denen es gerade einen Wechsel an der Spitze gegeben hat; in einem anderen Kloster gibt es drei Neueintritte. All das verändert natürlich die Dynamik der jeweiligen Gemeinschaft. Doch durch die Bank weg habe ich immer das Gefühl bekommen: Auch wenn es herausfordernde Zeiten sind, für die Kirche allgemein, für Klöster im Besonderen, so herrscht doch immer eine Art sportliche Gelassenheit. Nicht in dem Sinne, dass man sagt, Gott wird’s schon richten, sondern eher: Wir tun was wir können, und manches können wir halt nicht allein.
Frage: Wie blicken Sie persönlich mit Ihren Eindrücken auf die Zukunft der Gemeinschaften?
Rosenstein: Ich teile die Sorgen. Und auch wenn für mich persönlich klösterliches Leben keine Option wäre, so fände ich es doch schade, wenn es diese Art der Lebensführung nicht mehr geben sollte. Ich bin sehr für Diversität; und die Entscheidung, sich für ein Leben in einer Klostergemeinschaft zu entscheiden, gehört für mich zur Vielfalt dazu. So gesehen kann ich eigentlich nur das wiederholen, was die Mönche und Nonnen mir antworten, wenn ich sie mit dieser Frage konfrontiere: "Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen." Ehrlicherweise muss ich hinzufügen: Klöster haben schon viel schwierigere Zeiten überstanden im Laufe der Jahrhunderte. Deshalb denke ich, auch wenn die Gemeinschaften sicher im Schnitt schrumpfen, so werden sich doch unerwartet Wege in die Zukunft finden lassen. Nicht für alle Klöster, aber für viele.
Hinweis
Die ersten beiden Filme der Reihe "Mauern der Freiheit" sind am Montag, 9. und 16. Oktober, jeweils um 21.00 Uhr im BR Fernsehen zu sehen. Beide Sendungen stehen bereits in der ARD Mediathek zur Verfügung. Mitproduziert wurden die Filme von der Tellux-Film GmbH.