Mehr als Daten und Fakten
Vor einigen Jahren übernahmen sie das Lebenswerk eines Onkels, der, als er im hohen Alter starb, über hundert teils wälzerstarke Bücher hinterließ. Viele davon aus eigener Feder. Des Lateinischen mächtig hatte er mit Ausdauer und Akribie nicht nur die eigenen Vorfahren erforscht, sondern handschriftlich Ahnenbücher für ganze Ortschaften verfasst.
"Seine lebenslange Leidenschaft hat uns inspiriert und wir haben beschlossen, seine Familienforschung weiterzuführen und Daten zu digitalisieren", erzählt Kurt Weißkopf. Nach und nach entsteht nun am Computer eine Ahnentafel mit Namen, Fotos und unzähligen Geburts-, Sterbe- und Hochzeitsdaten. 4.600 Menschen aus drei Familienzweigen sind mittlerweile darin aufgenommen. Die Aufzeichnungen reichen bis ins Jahr 1560 zurück.
"Es sind vor allem ältere Menschen, die sich der Familienforschung verschreiben, denn es ist ein zeitintensives Hobby", sagt Karl-Heinz Bernardy, stellvertretender Vorsitzender der Westdeutschen Gesellschaft für Familienkunde e.V. Man brauche Ausdauer und Geduld und müsse mitunter auch viel reisen. "Für Berufstätige heißt das, sie müssen Urlaubstage abknapsen." Das sei nicht jedermanns Sache, auch wenn das Interesse für die Ahnenforschung durchaus auch bei Jüngeren vorhanden sei.
Sackgassen bei der Ahnen-Recherche
Das Ehepaar Weißkopf hat auf seinen Recherchereisen schon viele Regionen Deutschlands besucht. Eine Tour führte zum Beispiel nach Ostdeutschland, wo einst ein Urahn ein Kloster gegründet hat. "Wir waren in einem Heimatmuseum in Heiligenstadt und da hing tatsächlich ein Porträt des Abtes", erinnert sich Kurt Weißkopf begeistert. Ein schnelles Foto und schon hatte er ein neues Mosaiksteinchen der Ahnentafel gesichert.
Nicht immer hat man so viel Glück. "Natürlich gibt es auch Sackgassen", weiß Ahnenforscher Bernardy. "Manchmal taucht ein Vorfahr plötzlich in einem Ort auf und man wird niemals herausfinden, wo er eigentlich hergekommen ist." Auch unterschiedliche Schreibweisen eines Namens können für Kopfzerbrechen sorgen. "Die Namen wurden früher so eingetragen, wie man sie gehört hat", sagt Bernardy. "Unter den Vorfahren meiner Kinder gibt es zum Beispiel den Nachnamen Frinny. In Wirklichkeit kam der Urahn allerdings aus der Wallonie und trug den französischen Namen Frenay."
Unterschiedliche Regionen mit unterschiedlicher Datenlage
Für Spannung sorgen auch die unterschiedlichen Dokumentationsweisen der Vergangenheit. So seien Zivilstandsregister oder später Standesamtsregister aussagekräftiger als Kirchenbücher, die von den Pfarrern mal genauer, mal weniger genau geführt wurden. In linksrheinischen Gebieten führte Napoleon 1798 die zivile Beurkundung ein, in anderen Regionen, etwa im ostdeutschen Raum, setzt diese erst 1874 ein und in Österreich sogar erst 1938. "Das bedeutet, man hat es je nach Gebiet mit einer ganz unterschiedlichen Datenlage zu tun", so Bernardy.
Wer in Kirchenbüchern nachlesen will, wendet sich am besten an das zuständige Bistumsarchiv . "Wenn jemand zum Beispiel Daten eines Vorfahren in einem bestimmten Ort sucht - am besten anhand einer Wohnanschrift - können wir herausfinden, welcher Gemeinde die gesuchte Person zugeordnet war und ob sich das Kirchenbuch im Archiv befindet oder in der Pfarrei", erklärt Brigitta Torsy, Mitarbeiterin im Historischen Archiv des Erzbistums Köln.
Entsprechende Anfragen erhalte sie nahezu täglich, allerdings unterlägen persönliche Daten jahrzehntelangen Schutzfristen. "Wenn jedoch ein berechtigtes Interesse besteht, und das ist in der Familienforschung oft der Fall, können wir einzelne Informationen herausgeben."
Liegt das Kirchenbuch in der Pfarrei, so ist das Pfarramt die richtige Anlaufstelle. "Es ist wichtig zu wissen, dass gerade im Osten manche Pfarrämter unbesetzt sind oder nur an einem Tag in der Woche öffnen", so Bernardy. Während der Öffnungszeiten könne man jedoch mit großer Hilfsbereitschaft rechnen. "Als Ahnenforscher muss man mit anderen zusammenarbeiten. Es ist keine Wissenschaft, die man im stillen Kämmerlein betreiben kann."
Totgeschwiegenen Skandalen auf der Spur
So habe er vor einiger Zeit Schwierigkeiten mit einen Eintrag in einem evangelischen Kirchenbuch im sächsischen Freiberg gehabt. "Da stand über einen Vorfahr 'erschoss sich wegen einer ...' und gerade das letzte Wort konnte ich nicht entziffern", erzählt er. "Auch die Mitarbeiter des Pfarrbüros hatten keinen Erfolg, konnten jedoch eine ältere Frau aus dem Ort gewinnen, die das Rätsel löste. Das Wort war 'Melancholie', er war also depressiv gewesen."
Nicht immer kann man sich auf solche Dokumentationen stützen. Gerade mentale Erkrankungen oder Familienskandale wurden früher totgeschwiegen. Das erlebte auch Kurt Weißkopf. "Ich weiß, dass meine Mutter eine Schwester hatte, von der nie gesprochen wurde und ich habe herausgefunden, dass sie in einer Nervenheilanstalt gestorben ist, kurz bevor deren Insassen von den Nationalsozialisten deportiert wurden."
Besuch bei entfernten Familienmitglieder
Auf die Auskunftsfreude der Verwandtschaft stützen sich viele Forschungsergebnisse. Deshalb besuchen Kurt Weißkopf und seine Frau oft entfernte Familienmitglieder. Weißkopf, der insgesamt 15 Onkel und Tanten vorweisen kann, hat auf diese Weise viele Cousins und Cousinen getroffen. Nicht immer geben die Leute ihre Daten preis, und doch gibt es auch viele positive Erlebnisse. "Vor kurzem hatte ich eine Begegnung mit der Frau, die mich nach meiner Geburt 1941 als erstes im Arm gehalten hat. Diese Cousine hat damals ein Pflichtjahr absolviert und sich nach der Entbindung um mich gekümmert."
Es sind solche Geschichten, die die Familienforschung so faszinierend machen. "Es geht um viel mehr, als um Daten und Fakten", sagt Bernardy. Es gehe um Verbindungen und um die Frage: Wie haben meine Urahnen gelebt? Was hat sie angetrieben? Wer übrigens nach Adligen in seiner Ahnentafel sucht, könnte Glück haben. "Viele Fürsten hatten uneheliche Kinder, Bastarde genannt", erklärt der Ahnenforscher. Die Bezeichnung sei kein Schimpfwort gewesen, sondern sogar im Namen geführt worden. "Bastarde waren nicht erbberechtigt, ihre Väter statteten sie jedoch gerne mit hohen Ämtern aus. Auch das Familienwappen durften sie führen und nur ein kleiner goldener Stern markierte ihre eigentliche Herkunft."
Einen Adligen hat Weißkopf unter ihren Vorfahren bisher nicht gefunden. Dafür aber den Tiroler Freiheitskämpfer Josef Eisenstecken, ein Vorfahr seiner Frau, der Seite an Seite mit dem Tiroler Nationalhelden Andreas Hofer gekämpft haben soll. Zumindest waren sie bisher davon ausgegangen. "Allerdings hat sich jetzt herausgestellt, dass Eisenstecken zu Hofers Zeiten schon lange in Deutschland war", erzählt der Familienforscher. Wie sie mit dieser neuen Information weiter verfahren sollen, wissen die Weißkopfs noch nicht. "Ich nehme die Frage zum nächsten Ahnenforschertreffen mit und dann sehen wir weiter."
Von Janina Mogendorf