Gipfelkreuz-Fotograf: "Plötzlich prangt das Wort Christus vor mir"
Seit einiger Zeit stehen Gipfelkreuze vermehrt in der Kritik – dabei haben sie eine jahrhundertelange Tradition. Für den Fotografen Ludwig Watteler sind die Kreuze auf den Bergspitzen vor allem interessante Motive für sein Foto-Projekt "Gipfelkreuze – Schwarzweiß Fotografien". Im Interview erzählt Watteler, was er fühlt, wenn er während einer Bergtour am Gipfel ankommt und weshalb er sich mehr Respekt für die Gipfelkreuze wünscht.
Frage: Herr Watteler, Sie fotografieren für ein Fotoprojekt seit Jahren Gipfelkreuze. Woher stammt diese Faszination?
Watteler: Die Struktur der Gipfelkreuze kommt meinem Blick durch die Kamera entgegen. Der senkrechte und der waagerechte Balken haben eine klare Struktur. Das Gipfelkreuz wirkt auf mich so, als ob ich empfangen und begrüßt werde. Jedes Gipfelkreuz ist individuell: es gibt alte und neue Kreuze, hölzerne und stählerne, mit Korpus und ohne. Das alles ist für mich aber vollkommen unerheblich. Das Gipfelkreuz an sich ist mir bei meinem Kunstprojekt das wichtigste. Alles andere, das damit verbunden ist, also der christliche Glaube oder die Menschen, die das Kreuz aufgestellt haben, stehen dabei erst einmal nicht im Fokus. Wenn ich eine Bergtour mache und auf den Gipfel steige, fühle ich, dass mich ein Gipfelkreuz erwartet. Meine persönliche Wahrnehmung des Gipfelkreuzes bei meiner Ankunft versuche ich mit der Fotografie einzufangen.
Frage: Viele Bergsteiger sagen, dass sie auf Gipfel steigen, weil sie dort einen anderen Blick auf die Welt bekommen und sich dem Himmel näher fühlen. Können Sie das bestätigen?
Watteler: Meinem Projekt "Gipfelkreuze – Schwarzweiß Fotografien" habe ich den Titel "Verbindungen zwischen Himmel und Erde" gegeben. Denn ganz nüchtern betrachtet ist ein Kreuz eine Verbindung: Gipfelkreuze berühren oben und unten. Ich als Mensch stehe dazwischen und nehme war, dass ich ein Bestandteil des großen Ganzen bin. Das ist die Grundsymbolik eines Kreuzes, ganz gleich was das Material ist. Über die Jahrhunderte hinweg haben sich viele Menschen viel Mühe bei der Gestaltung der Gipfelkreuze gegeben. In meinen Fotos möchte ich den Blick aber auf das Kreuz reduzieren.
Frage: Ist es für Sie eine religiöse Erfahrung, wenn Sie am Gipfelkreuz ankommen?
Watteler: Dieser Moment ist für mich eine Melange aus Kunst, Mystik und Spiritualität. Im Erzbistum München und Freising bin ich auch als Leiter von Bergexerzitien tätig und veranstalte spirituelle Tage in den Bergen. Beim Wandern kommen natürlich andere Aspekte zum Vorschein. Aber meine Wahrnehmung ist, dass sich der Mensch in den Bergen öffnet. Wenn ich beim Gipfelkreuz ankomme, ist plötzlich das Neue, Andere, Geometrische da. Auf einigen meiner Fotos ist dann ja auch das Licht sehr stark, weil ich es so auf dem Gipfel wahrnehme. Das ist für mich in Ordnung, denn Licht ist auch eine Dimension, die durch das Kreuz hindurchdringen will. Genauso gehören die Wolke am Himmel oder das schlechte Wetter in dem Moment der Aufnahme zu meiner Wahrnehmung des Kreuzes dazu. Ich bin daran interessiert, Situationen darzustellen, wie sie gerade sind. Ich hatte zum Beispiel mal eine Situation im Nebel, als ich auf einer Bergwanderung war. Da musste ich beim Fotografieren vorsichtig sein, aber dennoch habe ich ein Bild gemacht. Und auf dem Foto ist das Kreuz zwar kaum zu sehen, aber es ist dennoch da. Genauso hatte ich es in jenem Moment wahrgenommen.
Frage: Das scheint ganz ähnlich wie bei den Bergexerzitien zu sein: Man kommt als Mensch immer unterschiedlich zum Kreuz oder auch zu Christus. So wie ihre Fotos individuell sind, sieht es im Inneren eines Menschen auch anders aus.
Watteler: Ich bin froh, dass ich eine Sehweise habe, die das Besondere in den Vordergrund stellt. Manchmal habe ich meine spezielle Brille auf und den Fokus woanders. An eine Situation hierzu kann ich mich erinnern: Ich gehe gen Gipfel und sehe nur den Berg, dann macht der Pfad eine Biegung und ein Teil des Kreuzes kommt aus dem Nichts. Plötzlich prangt das Wort Christus vor mir. Durch diesen Blick entstand eine Atmosphäre der Spannung und Neugierde.
Frage: Sie fotografieren immer in schwarz-weiß – warum?
Watteler: Ich bin gelernter Grafiker und Fotograf, sozusagen aus der alten Schule – da gefällt mir diese Art von Fotos besonders gut. Außerdem bin ich der Meinung, dass die Schwarz-Weiß-Fotografie durch ihre Kontraste stärker und besser für das Projekt ist. Aber meine Freunde ziehen mich damit auf, dass der Himmel so schön blau ist und ich daraus ein Schwarz-Weiß mache. (lacht) In der Ausstellung wirkt es besonders schön, denn die Bilder werden in einem hochwertigen Fine-Art-Print-Druckverfahren ausgedruckt und für die Rahmung mit einem Schrägschnitt-Passepartout versehen. Ich glaube, das passt mit seiner besonderen Ausdruckskraft besonders gut zu Gipfelkreuzen. Außerdem: Wenn ich gegen die Sonne zum Gipfelkreuz schaue, dann sehe ich sowieso nichts anderes als schwarz und weiß beziehungsweise wenige Farbtöne und Kontraste, weil ich so geblendet werde. Ein Gipfelkreuz ist eben immer sehr beeindruckend und das gehört auch entsprechend umgesetzt. Alle Motive sind übrigens käuflich zu erwerben.
Frage: In den letzten Jahren gab es vermehrt Diskussionen, ob Gipfelkreuze noch zeitgemäß sind. Was halten Sie von diesen Debatten?
Watteler: In unserer Gesellschaft gehört es heute dazu, dass die Leute immer ihre Befindlichkeiten kundtun. Die Diskussion um die Gipfelkreuze ist inzwischen groß geworden, sogar Ministerpräsident Markus Söder und Bergsteiger-Legende Reinhold Messner haben sich eingeklinkt. Aber die Menschen sehen leider nicht, dass es bei Gipfelkreuzen um das große Ganze und eine lange Tradition geht. Ich habe kein Problem mit Gipfelkreuzen und finde sie sehr schön, wie man sich vorstellen kann. Ich fotografiere sie schließlich mit Vorliebe! Aber ich nehme wahr, dass es Menschen gibt, die die Gipfelkreuze nicht respektieren: Sie klettern auf die Kreuze, wenn sie oben auf dem Berg angelangt sind, oder heften Aufkleber an sie. In der Nähe von München hat man mehrmals ein Gipfelkreuz des nachts abgeschlagen. Aber die Gipfelkreuze dürfen meiner Meinung nach einfach da sein – sie stören schließlich auch niemanden.
Frage: Aber können Sie nicht verstehen, dass nicht-religiöse Menschen, von denen es immer mehr gibt, sich von einem Kreuz auf dem Gipfel gestört fühlen? Es ist schließlich immer noch ein religiöses Symbol.
Watteler: Das ist noch lange kein Grund, ein Kreuz gewaltsam zu entfernen oder zu demolieren. Diese Tradition sollte man respektieren. Und vom ästhetischen Gesichtspunkt her, ist ein Gipfelkreuz nicht immer nur schön: es kann kaputt, zerbrochen sein oder einfach sein. Ein Kunsthistoriker sagte zu mir, als ich ihm ein einfaches Gipfelkreuz gezeigt habe: "Damit ist alles gesagt und zum Ausdruck gebracht worden."
Frage: Gibt es ein Gipfelkreuz, das Sie ganz besonders beeindruckt hat?
Watteler: Meine Gipfelkreuz-Fotografie hat damit begonnen, dass ich eine neue Perspektive bekommen habe, als ich unter einem Gipfelkreuz saß und meinen Kopf nach oben gedreht habe. Es war für mich entscheidend, wie ich das Gipfelkreuz gesehen habe. Daraus hat sich ein besonderes Foto ergeben, das ein Gipfelkreuz mit Korpus zeigt, das mit Schnee bedeckt ist, der vom Wind in eine Richtung geweht wird. Die Vergänglichkeit dieser Szene, dieses Moments fasziniert mich: Ein paar Grad wärmer und der Schnee schmilzt weg. Das ist einmalig und nicht wiederherzubringen. Oder ein anderes Foto: Dort sieht man ein Gipfelkreuz auf Höhe des Korpus und im Hintergrund zwei Wolken am Himmel. Man unterstellt mir, dass ich diese Wolken reinretuschiert habe, weil sie so perfekt aussehen. (lacht) Aber es war einfach genau der richtige Moment. Das Besondere an diesen Fotografien ist ihre Authentizität: Es gibt keine Bildveränderungen, kein Composing und keine Manipulation durch Bildbearbeitungsprogramme.
Hinweis: Die in diesem Interview abgebildeten Fotografien von Ludwig Watteler wurden in ihrem Format für die Veröffentlichung auf katholisch.de verändert. Im Original haben sie einen größeren Zuschnitt.