"Man hat mir vorgeworfen, ich würde die Kirche beschmutzen"

Nach Missbrauchs-Whistleblowing: Ex-Generalvikar erhielt Morddrohungen

Veröffentlicht am 06.11.2023 um 13:49 Uhr – Lesedauer: 

Bern ‐ Nicolas Betticher brachte Untersuchungen gegen Schweizer Bischöfe wegen Vertuschung ins Rollen. Seither gilt der frühere Generalvikar der Diözese Lausanne, Genf und Fribourg einigen als Nestbeschmutzer. Manche drückten ihren Hass ganz explizit aus.

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Der frühere Generalvikar der Schweizer Diözese Lausanne, Genf und Fribourg, Nicolas Betticher (61), hat laut eigener Aussage nach Vertuschungsvorwürfen gegen mehrere Schweizer Bischöfe anonyme Todesdrohungen erhalten. "Es kamen Morddrohungen, anonyme Briefe, in denen ich verflucht werde", sagte Betticher am Wochenende in einem Interview mit der Schweizer "SonntagsZeitung". Vor seiner Tür habe ein gebastelter Sarg voller schwarzer Kreuze gelegen, an die Tür seiner Berner Pfarrkirche seien satanische Zeichen gemalt worden. Selbst die  Kantonspolizei habe ihn angerufen und mittgeteilt, dass sie in Sorge sei. "Auf meiner Facebook-Seite gab es eine Schlammschlacht. Man hat mir vorgeworfen, ich würde die Kirche beschmutzen."

Wenige Tage vor der Veröffentlichung der Schweizer Pilotstudie zu Missbrauch in der Kirche Mitte September waren Inhalte eines Briefes von Bötticher an den Nuntius in der Schweiz, Erzbischof Michael Krebs, bekannt geworden. Darin wirft Betticher mehreren, zum Teil noch amtierenden Schweizer Bischöfen sowie weiteren hochrangige Klerikern Missbrauchsvertuschung und in einem Fall einen sexuellen Übergriff gegen einen Jugendlichen vor. Der Vatikan hatte daraufhin eine kirchenrechtliche Voruntersuchung angeordnet und Bischof Joseph Bonnemain von Chur als Untersuchungsleiter eingesetzt.

Viel Unterstützung –offenbar auch vom Papst

Neben Drohungen habe er auch viel Unterstützung erhalten, so Betticher weiter. "Nie habe ich so viele Mails in einer Woche erhalten. Jemand schickte einen Blumenstrauss mit der Bitte: Machen Sie weiter so. Kämpfen Sie für die Gerechtigkeit den Opfern gegenüber." Mitte September sei ein Mitbruder von ihm bei Papst Franziskus gewesen und habe ihm den entsprechenden Medienbericht gezeigt. "Der Papst soll gesagt haben: 'Sagen Sie ihm, er soll weiterkämpfen, auch wenn er Bischöfe weiterhin kritisieren muss. Ich bete für ihn.'"

Vorwürfe, wonach er 2001 bei einem Missbrauchsfall selbst zu spät reagiert habe, wies Betticher zurück. Er habe zwar öffentlich nichts darüber gesagt, sich aber intern beschwert. "Ich wurde jedoch überhört." Er habe den Brief an den Nuntius geschrieben, weil er im Rahmen der Schweizer Pilotstudie befragt und aufgrund des Kirchenrechts seine Aussagen auch an den Heiligen Stuhl habe weiterleiten müssen.

Zu den Plänen der Schweizer Bischofskonferenz, ein nationales Kirchenstrafgericht einzuführen, sagte Betticher, der auch selbst Kirchenrechtler ist, dass es zwar nationale Lösungen brauche, er von der konkreten Idee, die sich an das Vorbild der Kirche in Frankreich anlehnt, allerdings wenig halte. Das französische Straf- und Disziplinargericht könne nämlich weder über Missbrauchsfälle von minderjährigen Opfern noch über Bischöfe richten. Wichtig wäre aus seiner Sicht, dass Papst Franziskus der Kirche in der Schweiz ein Partikularrecht einräume, um selbst ein Gericht einzusetzen, bei dem etwa Strafrechtler oder ehemalige Staatsanwälte beschäftigt werden könnten, unterstrich Betticher: "Ein kompetentes Gericht könnte agieren und Prozesse und Verfahren durchführen." (mal)